Honorar für Qualität? Die Idee ist gut - aber...

"Pay for Performance" - dieses Honorarprinzip wird bei Ärzten zunehmend akzeptiert. Auch Qualitätsvergleiche unter verschiedenen Praxen halten Ärzte für sinnvoll. Ob das machbar ist, hat die Uni Witten untersucht.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:

Die Orientierung der ärztlichen Vergütung an Qualitätsindikatoren stößt bei der Mehrheit der niedergelassenen Ärzte auf ein entscheidendes Hindernis: Die für die Messung der Qualität notwendigen Daten sind in den Praxen nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand abrufbar. "Das ist ein großer Pferdefuß für die Weiterentwicklung Performance-orientierter Vergütungssysteme", sagte Professor Max Geraedts beim 5. "Tag der Forschung in der Hausarztpraxis" an der Universität Witten/Herdecke.

"Die für Qualitätsmessung notwendigen Daten bekommt man nur mit großem Aufwand." Professor Max Geraedts, Uni Witten Herdecke

Das AQUIK-Projekt der KBV auf dem Prüfstand

Geraedts ist Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung an der privaten Universität. Er hatte im Auftrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) die von ihr entwickelten Qualitätsindikatoren für das AQUIK-Projekt (Ambulante Qualitätsindikatoren und Kennzahlen) einem Machbarkeitstest unterzogen. Die Indikatoren sollen dazu dienen, die Qualität der ärztlichen Leistungen zu messen und transparent zu machen, etwa gegenüber den Kostenträgern. Langfristig sollen sie eine qualitätsorientierte Vergütung ermöglichen, die als Pay for Performance bekannt ist.

Getestet wurden 48 Qualitätsindikatoren, die zehn Fachgruppen zugeordnet sind. Einbezogen waren 103 Praxen, darunter 20 hausärztliche, zwölf internistische und elf pädiatrische. Allgemeinmediziner und Internisten waren bei der Befragung etwas überrepräsentiert. Immerhin geht die KBV bei 46 der 48 Indikatoren davon aus, dass sie für die Arbeit von Hausärzten wichtig sind. Die teilnehmenden Ärzte waren im Durchschnitt 51 Jahre alt, 17 Prozent von ihnen waren weiblich.

Bei den Ärzten haben die Wissenschaftler über eine schriftliche Befragung und einige ausführliche Interviews ermittelt, ob die Indikatoren überhaupt relevant sind, ob es die notwendigen Daten gibt und ob sie abrufbar sind. Außerdem sollten die Ärzte die Indikatoren bewerten. Ihr Augenmerk haben die Forscher vor allem auf die Indikatoren gelegt, von denen mindestens zwei Drittel der Praxisinhaber angaben, dass sie für sie relevant waren.

Bei AQUIK gibt es beispielsweise drei Indikatoren zum Thema Demenz: Anteil der Patienten mit neu diagnostizierter Demenz, die ein Screening auf das Vorliegen einer Depression erhielten; Anteil der Patienten mit neu diagnostizierter Demenz, deren Medikamentenliste hinsichtlich Substanzen überprüft wurde, die kognitive Beeinträchtigungen hervorrufen können; Anteil der Patienten mit Demenz, die unter Einbezug von Angehörigen/Betreuern über Diagnose, Prognose und Unterstützungsangebote informiert wurden.

Beim Machbarkeitstest zu den 48 Indikatoren schälten sich über alle Fachgruppen drei Ergebnisse klar heraus: Die meisten Ärzte gehen davon aus, dass sie die notwendigen Informationen in ihren Praxen dokumentieren. Auch die Einschätzung der Indikatoren ist überwiegend positiv, vor allem auch bei Hausärzten. Nur eine Minderheit der Ärzte hält es allerdings für möglich, die Daten in den Praxen mit vertretbarem Aufwand abzurufen und zusammenzuführen. "Das schränkt die Machbarkeit insgesamt ein", sagte Geraedts.

Ein Projekt, bei dem die Vorreiter belohnt werden

Das gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich an der Untersuchung überdurchschnittlich viele große und kooperativ tätige Praxen beteiligt hatten sowie zertifizierte Praxen und solche mit voll elektronischer Dokumentation. Bei diesen Praxen hatten die Wissenschaftler eine höhere Machbarkeit festgestellt als bei den anderen. Die KBV sei sich der Tatsache bewusst, dass die meisten Ärzte noch nicht mit den Indikatoren arbeiten können, sagte Geraedts. "Deshalb werden zunächst die belohnt, die es schon können." Die anderen sollten aber die Hände nicht in den Schoß legen. Die Entwicklung hin zur qualitätsorientierten Vergütung ist seiner Ansicht nach nicht mehr aufzuhalten. "Als Arzt muss ich mir überlegen, wie ich meine EDV so hinbekomme, dass ich populationsbezogene Auswertungen machen kann."

Ein Hausarzt im Publikum begrüßte das Konzept der Qualitätsindikatoren. "Ich fände es Klasse, wenn ich meine Qualität abrufen und mit der von Kollegen vergleichen könnte." Er sieht jetzt vor allem die Softwareindustrie gefordert, die für geeignete Schnittstellen sorgen müsse.

Tag der Forschung in der Hausarztpraxis

Mit dem "Tag der Forschung in der Hausarztpraxis" will das Interdisziplinäre Zentrum für Versorgungsforschung an der Universität Witten/Herdecke (UWH) die Forschungsprojekte der Uni aus Sicht der Praxis beleuchten. 

"Wir wollen prüfen, was der Hausarzt von den Ergebnissen der Projekte hat. Sie müssen für ihn einen Nutzen haben", sagt Dr. Stefan Wilm, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin der UWH. Wilm ist Allgemeinmediziner in Köln tätig. 

Bei der jüngsten Tagung standen neben den Qualitätsindikatoren der KBV auch die Wünsche von Patienten zu Beipackzetteln, die Arzneimittelsicherheit in Altenheimen,speziell bei Demenz, auf dem Programm. (iss)

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