Interview

"Patienten sollen rasch von Forschung profitieren"

Was plant die EU in Sachen Gesundheitsforschung? Darüber sprach unser Mitarbeiter Thomas A. Friedrich mit EU-Forschungskommissarin Maire Geoghegan-Quinn.

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EU-Kommissarin für Forschung Maire Geoghegan-Quinn.

EU-Kommissarin für Forschung Maire Geoghegan-Quinn.

© dpa

Ärzte Zeitung: In 2011 gibt die EU mit 6,4 Milliarden Euro, so viel Geld wie nie zuvor, für Forschung aus. Wo liegen in der Gesundheitsforschung die Schwerpunkte?

Maire Geoghegan-Quinn: Im Bereich Gesundheitsforschung legen wir den Schwerpunkt auf kleine und mittlere Unternehmen sowie Innovationen. Allein 200 Millionen Euro sind hier für zehn Projekte vorgesehen. Erstmals werden Vorhaben der klinischen Forschung mit einem Betrag von ebenso 200 Millionen Euro bedacht. Wir wollen strategische Projekte auf den Weg bringen, um Forschungserkenntnisse in der Immunologie und Epigenetik nutzbar zu machen. Ferner wollen wir die internationale Zusammenarbeit bei Diabetes und der Hirnforschung stärken.

Ärzte Zeitung: Die Klinische Forschung bei der Entwicklung von neuen Therapien für Patienten und der Medikamentenforschung fällt gegenüber den USA zunehmend zurück. Sehen Sie Abhilfe?

Geoghegan-Quinn: Unser Ziel ist es, den Transfer wissenschaftlicher Entdeckungen vom Labor zum Krankenhausbett zu erleichtern. Der klinischen Forschung kommt hier eine entscheidende Rolle zu. Innovationen sollen rasch in den Kliniken ankommen. Die klinische Forschung bildet dabei ein Hauptelement im Kampf gegen Krebs, neurodegenerative Erkrankungen, Diabetes und Fettleibigkeit sowie seltene Krankheiten. Wir wollen Fragmentierung und Doppelarbeiten vermeiden.

Ärzte Zeitung: Und wie sieht es mit der Arzneimittelforschung aus?

Maire Geoghegan-Quinn

Geoghegan-Quinn: Ein Drittel des EU-Gesundheitsforschungsbudgets 2011 - nämlich 206 Millionen Euro - ist für klinische Forschung zugunsten regenerativer Medizin, Antibiotikaresistenzen sowie therapeutischen Anwendungen bei älteren Menschen und seltenen Krebsarten vorgesehen. Klinische Forschung, die auf verbesserte therapeutische Anwendungen abzielt, trifft nicht unbedingt auf Interesse der pharmazeutischen Industrie. Dennoch trägt derartige Forschung dazu bei, die Effektivität von Therapien in Bezug auf Arzneien, Pflegemaßnahmen sowie medizinische Hilfsmittel zu überprüfen. Wir hoffen dadurch, maßgeschneiderte Therapien für seltene Krankheiten sowie für spezifische Bevölkerungsgruppen wie Kinder oder ältere Menschen generieren zu können

Ärzte Zeitung: Mit einer Milliarde Euro fördert die EU die Initiative für Innovative Medizin (IMI). Den gleichen Betrag steuert die pharmazeutische Industrie bei. Wie sieht die Zwischenbilanz aus?

Geoghegan-Quinn: IMI wartet mit einem erfolgreichen Start auf. In den beiden ersten Aufrufen unterbreiteten insgesamt 2400 Interessenten 250 Vorschläge. Die ersten 15 Projekte mit über 400 Teilnehmern von 155 Universitäten und Forschungsorganisationen aus 22 Ländern sind angelaufen. Dafür werden 110 Millionen Euro IMI-Gelder bereitgestellt, 132 Millionen kommen von der pharmazeutischen Industrie. Die finanzierten Projekte befassen sich mit der Toxizität von Lebererkrankungen, Pharmakovigilanz, computergestützten Abschätzungen von Arzneimittelunverträglichkeiten, Schmerzforschung, neurodegenerativen Erkrankungen wie Depressionen, Schizophrenie und Alzheimer oder Asthmaerkrankungen. 78 Millionen Euro sind geplant für Biomarker bei Krebs, inflammatorische Erkrankungen sowie neue Diagnosen bei Infektionserkrankungen.

Ärzte Zeitung: Trägt die Strategie "EU 2020" mit dazu bei, dass Europa wieder zur führenden Apotheke in der Welt aufsteigt?

Geoghegan-Quinn: Die IMI Initiative und die "Europa 2020"-Strategie, die vor allem auf Forschung und Innovation setzt, ergänzen sich. Wir benötigen in der Europäischen Union darüber hinaus eine integrierte Forschungs- und Entwicklungsstrategie. Wir benötigen mehr Private-Public- Partnership-Projekte und wollen den pharmazeutischen Sektor zu stärkeren Forschungsleistungen ermuntern. Ebenso wichtig ist das Zusammenführen von nationalen Forschungsbudgets in gemeinsame Projekte. Das unlängst gestartete Projekt zu Alzheimer ist ein gutes Beispiel für die Bündelung von Ressourcen.

Ärzte Zeitung: HIV ist nicht länger allein ein Problem der Entwicklungsländer.Von den jährlich drei Millionen Neuansteckungen entfällt ein Prozent auf die EU, vor allem in den mittel- und osteuropäischen Staaten. Was leistet die EU-Forschung hierbei?

Geoghegan-Quinn: Seit dem Ausbruch der HIV-Pandemie hat die EU-Kommission den Kampf gegen Aids zur Priorität erhoben. Im siebten EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) sind 83 Millionen Euro für Forschungsprojekte vor allem in den Ländern vorgesehen, die am stärksten von der Krankheit betroffen sind. Darüber hinaus richten wir unser Augenmerk auf epidemiologische Trends in den mittel- und osteuropäischen Staaten. Die EU unterstützt mit zehn beziehungsweise zwölf Millionen Euro die Netzwerke CHAIN und Eurocoord zugunsten epidemologischer und klinischer Forschung in diesen Regionen.

Ärzte Zeitung: Frauen beispielsweise mit kardiovaskulären Erkrankungen werden in Kliniken wie männliche Patienten behandelt, obwohl sie andere Therapien benötigen. Wie kann die geschlechtsspezifische Medizin verbessert werden?

Geoghegan-Quinn: Nie zuvor wurde der geschlechtsspezifischen Medizin mehr Beachtung geschenkt als zur Zeit. Mehrere EU-Forschungsprojekte in der Gesundheits- und Medizinforschung widmen sich geschlechtsspezifischen Ausprägungen von Krankheitsbildern und berücksichtigen systematisch derartige Aspekte. Als ein Beispiel möchte ich das EU-kofinanzierte Projekt TRANSBIG (Translating molecular knowledge into early breast cancer management) erwähnen, das bei Brustkrebs auf geschlechtspezifische Fragen eingeht.

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