Integrierte Versorgung

Hoffnungsträger oder große Illusion?

Sie war die große Hoffnung, die Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitswesens einzureißen: Doch die Integrierte Versorgung schrumpft seit zwei Jahren. Aktuell sieht es aber so aus, dass die Kassen neuen Anlauf nehmen. Sie wollen ihr Profil im Wettbewerb schärfen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

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Über 6400 Verträge, ein Umsatzvolumen von gut 800 Millionen Euro - im Jahr 2008 erreichte die acht Jahre zuvor eingeführte Integrierte Versorgung (IV) ihren vorläufigen Höhepunkt. Seitdem geht es steil bergab. Die Anschubfinanzierung von einem Prozent der Gesamtvergütungen für Ärzte und Krankenhäuser ist Ende 2008 ausgelaufen. IV muss sich seitdem selbst finanzieren.

Zudem: Investitionskultur ist keine Stärke der Krankenkassen. Das Denken ist aufs Budgetjahr fokussiert. Das Wettbewerbs-Stärkungsgesetz, mit dem ab 2009 der Morbi-RSA und der Gesundheitsfonds eingerichtet wurden, lieferte den Krankenkassen weitere Gründe, von Investments in Projekte abzusehen, die einen längeren Atem erfordern. Und aktuell sind es die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, die als Rechtfertigung dafür dienen, neue Versorgungsmodelle zu unterlassen.

Dennoch: Die Integrationsversorgung ist nicht tot. Das zeigt das "Monitoring-IV", eine Erhebung des Competence Center E-Commerce der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Professor Martin Gersch, die jetzt beim Bundeskongress der Deutschen Gesellschaft für Integrierte Versorgung auf dem Petersberg bei Bonn vorgestellt worden ist.

An der Erhebung haben 17 Kassen teilgenommen, bei denen rund die Hälfte der Deutschen versichert ist. Der Hintergrund: Es gibt keine systematischen Erhebungen mehr, seit die Anschubfinanzierung ausgelaufen ist.

Tatsache ist: Mit einem Anteil von 0,51 Prozent am Gesamtbudget der antwortenden Kassen ist die IV in ihren Bedeutung in diesem Jahr rückläufig. 2009 waren es noch 0,64 Prozent. Aber bereits für 2011 und 2012 planen die Kassen wieder einen Ausbau auf Budgetanteile von 0,73 und 0,76 Prozent.

Der Grund ist: Für die Zukunft wird der Integrationsversorgung eine wachsende Bedeutung zuerkannt. Davon sind immerhin 80 Prozent der Kassen überzeugt.

Zwei wesentliche Argumente sprechen offenkundig für den Ausbau der Integrationsversorgung: die demografische und wirtschaftliche Entwicklung, die neue Lösungsansätze erfordert, und die Möglichkeit, dass Akteure, also auch die Kassen, mit besonderen Versorgungsformen ihre Position verbessern können.

Außerdem erwartet man, dass neue Informationstechnologien vor allem im Gesundheitswesen komplexere Prozesse der Leistungserbringung effizienter steuern können.

Dabei zeigt sich: Wer in Zukunft der IV eine größere Bedeutung zumisst, setzt zugleich auch auf eine Profilierung im Wettbewerb. Allerdings gestehen auch diese "Progressiven", dass die besonderen Versorgungsformen bislang die ökonomischen Erwartungen nicht erfüllt haben. Wer hingegen nicht an eine wachsende Bedeutung der IV glaubt, sieht neue Versorgungsformen vor allem als politisch gewollt an.

Was erhoffen sich die Protagonisten: eine bessere Gestaltung der Strukturen im Gesundheitswesen und eine stärkere Selektion der Akteure. Als Maßstab dafür gelten Kostensenkungen und eine allgemeine Qualitätssteigerung in fast gleichem Ausmaß.

Notwendig dazu sei es aber, die richtigen Akteure für eine Kooperation zu finden und mit diesen klare Ziele zu vereinbaren.

Als Hemmnisse werden zu geringe Fallzahlen, fehlende finanzielle Voraussetzungen und mangelnde Evidenz für die Wirksamkeit gesehen. Studienleiter Gersch: "Die Intransparenz über Existenz, Ausgestaltung und Einschätzung besonderer Versorgungsformen ist extrem hoch."

Schwerpunkt Integrierte Versorgung: Hoffnungsträger oder große Illusion? Das Problem Multimedikation Implus für Innovationen Gesundes Leben, gesunde Arbeit Was ist nötig? Anreize und Ruhe an der Gesetzesfront Die Chronik der Integrierten Versorgung Kommentar: Was fehlt, ist Geduld

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