"Nutzenbewertung funktioniert nur, wenn wir alle Partner werden"

Als Deutschland-Chef von MSD sieht Hanspeter Quodt die Reformen des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) mit gemischten Gefühlen. Er plädiert für ein konstruktives Miteinander von Politik, Institutionen, Ärzten und Pharmaindustrie, um die vorhandenen Chancen zu nutzen. Sein Unternehmen sieht er auf einem guten Kurs: Fast 20 Entwicklungsprogramme stehen in der Phase III, und der Zusammenschluss mit Essex hat viel Handlungsfreiheit eingebracht. Mit "Springer Medizin" spricht Quodt über die großen aktuellen Problemlagen.

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Die schnelle Nutzenbewertung stellt nach Ansicht von Hanspeter Quodt einen signifikanten Paradigmenwechsel dar. Dazu bedarf es eindeutiger Spielregeln. Sein Petitum: mehr Transparenz und die Beteiligung aller Akteure.

Die schnelle Nutzenbewertung stellt nach Ansicht von Hanspeter Quodt einen signifikanten Paradigmenwechsel dar. Dazu bedarf es eindeutiger Spielregeln. Sein Petitum: mehr Transparenz und die Beteiligung aller Akteure.

© Sigi Müller

Springer Medizin: Herr Quodt, im September 2009 waren wir alle davon ausgegangen, dass die aktuelle Bundesregierung nicht durch Vorschaltgesetze den Markt beeinträchtigen würde. Schon nach wenigen Monaten wurden wir eines Besseren belehrt, als FDP-Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler ein Preismoratorium und einen Zwangsrabatt für die pharmazeutischen Hersteller anschob. Wie schwer trifft Sie das?

Hanspeter Quodt: In der Tat war das eine Überraschung, und ganz klar ist MSD davon betroffen. Es kostet uns jedes Jahr einen höheren zweistelligen Millionenbetrag.

Spinger Medizin: Das heißt, bis Dezember 2013 müssen Sie auf zehn Prozent Ihres Umsatzes verzichten…

Quodt: … Moment! Es sind 16 Prozent. Bisher haben wir bereits sechs Prozent Herstellerrabatt, den wir den Krankenkassen gewähren müssen. Nun kommen noch einmal zehn Prozentpunkte hinzu.

Spinger Medizin: Könnte es soweit kommen, dass Sie den deutschen Absatzmarkt in Frage stellen müssen?

Quodt: Wir haben durch die Übernahme von Schering-Plough 2009 bereits einiges an Synergien gehoben, weshalb wir eine günstige Kostenbasis haben. Wir müssen zwar aufmerksam bleiben, aber wir bekennen uns nachdrücklich zum Standort Deutschland - und damit zu unserer Verantwortung für die Patienten. MSD hat in Deutschland außerhalb der USA übrigens den größten Standort für klinische Forschung, auch das darf man als Commitment sehen.

Springer Medizin: Stichwort Forschung: Hierzulande wird 2011 die "schnelle Nutzenbewertung" eingeführt. Wie können faire Bedingungen dafür gestaltet werden?

Quodt: Zunächst einmal möchte ich betonen, dass wir die Nutzenbewertung prinzipiell unterstützen. Angesichts einer älter werdenden Bevölkerung und knapper Ressourcen ist sie logisch. Die Frühbewertung wird die Diskussion mit den verschiedenen Institutionen und auch die Bereitstellung der Daten verändern. Sie stellt einen signifikanten Paradigmenwechsel dar, den wir mitvollziehen wollen. Allerdings brauchen wir einige Spielregeln. Zunächst einmal ist Transparenz zu gewährleisten, alle Beteiligten müssen mit einbezogen werden. Des Weiteren wünschen wir uns dringend, dass noch externer, neutraler Sachverstand in den Prozess einbezogen wird - ähnlich wie bei der FDA in Amerika oder eben dem IQWiG. Nur wenn diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, können wir die Begründungen von Nutzenbewertungen nachvollziehen.

Springer Medizin: Also plädieren Sie für eine reinere Form des "Schottischen Modells", das für unsere neuen Regeln ja eigentlich Pate stand?

Quodt: Ich bin eher gegen dieses "Rosinenpicken" in den Systemen anderer Länder, wir müssen uns auf die Notwendigkeiten in Deutschland konzentrieren. Und genau deshalb ist uns neben Transparenz und externem Sachverstand noch ein "weiches" Kriterium wichtig: ein fundamentales Umdenken aller Beteiligten. Wir alle müssen von Parteien zu Partnern werden. Ich denke, dass ist die größte Herausforderung.

Springer Medizin: Ist der personelle Wechsel an der Spitze des IQWiG ein Schritt zu einem stärkeren Miteinander?

Quodt: Personalwechsel bringen immer neue Perspektiven mit sich. Ich schließe unsere Industrie aber mindestens genau so bestimmt ein, wenn ich fordere, die alten, verkrusteten Strukturen zu überwinden. Nur dann können wir die Chancen nutzen, die uns das AMNOG bietet, um für die Patienten das Beste zu erreichen.

Springer Medizin: Erklären Sie doch einmal, wie MSD seinen Teil zu dieser neuen, konstruktiven Atmosphäre beitragen will.

Quodt: Dafür ist die Entwicklung von Anacetrapib, für Patienten mit Fettstoffwechselstörungen, ein gutes Beispiel. Wir wussten ja, dass wir belastbare Daten schon sehr früh würden liefern müssen. In unserer Phase-III-Studie mit über 1600 Patienten konnten wir eine signifikante Reduktion des LDL und eine noch signifikantere Erhöhung des HDL bereits belegen, und wir sahen schon einen Trend für kardiovaskuläre Endpunkte. Nun werden wir noch vor der Zulassung viel Geld in die Hand nehmen und eine Studie mit 30 000 Patienten durchführen. Endpunkt-Daten werden damit bereits zur Einführung vorliegen. Das lohnt sich auch für uns, da wir so den Mehrnutzen unserer Produkte früh darstellen können.

Springer Medizin: Und doch könnte nach den neuen Spielregeln der Höchstbetrag für ein Präparat in Zukunft einmal per Schiedsamt festgelegt werden. Sie als Ökonom könnten das Produkt dann als unrentabel ansehen.

Hanspeter Quodt

Aktuelle Position: Managing Director und Vorsitzender der Geschäftsführung der MSD Sharp & Dohme GmbH

Ausbildung: Studium der BWL und Marktpsychologie in München

Karriere: 1980 Einstieg in die Pharmabranche, 1984 Eintritt in die MSD Sharp & Dohme GmbH, Aufstieg bis zum Business Unit Director, 2005 Vorsitzender der Geschäftsführung von MSD in der Schweiz, seit 2009 Deutschland-Chef von MSD

Privates: Quodt ist Jahrgang 1954, ist verheiratet und hat zwei Söhne

Hobby: Ausdauersport

Quodt: In diese Situation möchte ich nicht kommen. Ich hoffe, dass alle Beteiligten im Auge behalten, dass es hier um die Patienten geht. Beschlüsse des G-BA sind stets von großer Tragweite und sollten niemals einseitig oder gar ideologisch motiviert sein.

Springer Medizin: Also gibt es doch eine vage Gefahr für die Fortführung Ihrer Arbeit, oder?

Quodt: Sehen Sie, wir reden stets über Innovationen und ihre Bedeutung für die Arzneimittelversorgung. Allerdings scheitern neun von zehn Versuchen, weil in der Nutzenbewertung momentan innerhalb von drei Monaten Top oder Flop gesagt wird. Flops müssen wir erst einmal wirtschaftlich verdauen. Hinzu kommt: Das Geld, das wir jetzt nicht verdienen oder einsparen müssen, fehlt uns, um die Innovationen vorzubereiten, die wir in zehn Jahren auf den Markt bringen wollen. Diese Diskussion ist völlig verdrängt worden, weil wir nur bis zum Ende der Legislaturperiode sehen.

Springer Medizin: Sollten die erhofften Einsparpotenziale in den nächsten zwölf Monaten nicht gehoben werden können, sehen Sie die Gefahr, dass der erhöhte Zwangsrabatt zur Dauerinstitution werden könnte?

Quodt: Ich finde die jährliche Überprüfung gut, realistisch betrachtet müssen wir uns aber wahrscheinlich zwei oder drei Jahre lang auf den Rabatt einstellen. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber, dass das ursprünglich angenommene Defizit der GKV von elf Milliarden Euro jetzt aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung nur noch auf neun Milliarden geschätzt wird. Wenn das so weitergeht, könnte man sicher überlegen, ob man die eine oder andere Schraube wieder etwas lockert.

Springer Medizin: Licht und Schatten also bei den AMNOG-Neuerungen - können wir denn wenigstens davon ausgehen, dass der beschriebene Paradigmenwechsel die Bürokratie eindämmt?

"Nutzenbewertung funktioniert nur, wenn wir alle Partner werden"

© Sigi Müller

Quodt: Da müssen wir erst hier in Mitteleuropa noch ein paar kulturelle Hürden überwinden. Aber wir hätten Vorschläge, zum Beispiel für die Durchführung von klinischen Studien mit Anwendung ionisierender Strahlung am Menschen. Hier benötigen wir verbindliche Genehmigungsfristen, um für die zeitliche Planung der Projekte eine verlässliche Grundlage zu schaffen. Stärker noch betroffen ist natürlich die Ärzteschaft! Die stöhnen unter der Administration. Kein Wunder, dass es eine Emigration von Ärzten gibt, die zu Ärztemangel in einigen Regionen geführt hat. Die Politik muss erklären, warum wir mit hohen Investitionen Fachkräfte ausbilden, aber nicht die Rahmenbedingungen schaffen, um die Leute dazu zu bewegen, das an die Patienten zurückzugeben.

Springer Medizin: Nicht nur die Gesundheitspolitik, auch ihr Unternehmen steckt in einer spannenden, turbulenten Phase. Die Fusion mit Schering-Plough, die in Deutschland unter dem Namen Essex aktiv waren, ist nach einer langen Phase der gemeinsamen Vermarktung endlich Realität - wo geht nun die Reise hin? Können wir Innovationen erwarten?

Quodt: Sogar etliche, wir haben eine volle Pipeline mit fast 20 Entwicklungsprogrammen in der Phase III aus allen Kernindikationsbereichen. Wir haben im Gegensatz zu manchem Wettbewerber auch keinen Bereiche ausgekoppelt und die Investitionen gestoppt, im Gegenteil. Wir sind intensiv im Herz/Kreislauf- und Stoffwechselbereich tätig, bei den Impfstoffen und in der Onkologie tut sich einiges, genau wie bei Women's Health.

Springer Medizin: Können Sie konkret interessante Substanzen nennen, die Sie in den nächsten Jahren auf den Markt bringen werden?

MSD - Zahlen und Fakten

Sitz: MSD Sharp & Dohme GmbH in Haar bei München, eine Tochtergesellschaft der Merck & Co., Inc. aus Whitehouse Station, New Jersey, USA

Mitarbeiter: Merck & Co. weltweit 100 000, MSD in Deutschland 1600

Aktuelle Geschäftszahlen: Merck & Co. weltweit: rund 46 Mrd. US-$ (34,8 Mrd. Euro) Umsatz, 12,8 Mrd. US-$ operativer Gewinn, 5,8 Mrd. US-$ für Forschung und Entwicklung; MSD in Deutschland: rund 1,1 Mrd. Euro Umsatz

Wichtigste Produkte: Fettstoffwechselstörungen: Inegy, Ezetrol; Diabetes: Januvia, Janumet; Autoimmunerkrankungen: Remicade, Simponi; Asthma: Singulair; Rheuma: Arcoxia; Infektiologie: Isentress

Corporate Responsibilty: Global wirkt MSD durch den Maurice Hilleman Trust, der vor Ort in Schwellenländern Substanzen entwickelt. Mit der Bill & Melinda Gates Foundation betreibt das Unternehmen ein Aids-Hilfsprogramm in Botswana, weltweit laufen viele andere Projekte. In Haar unterstützt man "Die Tafel" und andere karitative Projekte mit Arbeitskraft und Geld.

Quodt: Unser neues Produkt gegen akutes Vorhofflimmern, Brinavess®, wird gerade Ärzten und Patienten vorgestellt und ist bereits auf dem Markt. Man kann seine Wirkung bereits 10 bis 15 Minuten nach Verabreichung erkennen, wo heute mehrere Stunden üblich sind. In der zweiten Jahreshälfte 2011 wollen wir mit Boceprevir einen Protease-Inhibitor zur Behandlung der Hepatitis-C-Infektion zur Verfügung stellen, außerdem ist das Osteoporose-Produkt Odanacatib in Vorbereitung, das eine neue Substanzklasse darstellt.

In den Jahren danach haben wir Vorapaxar, einen oralen Thrombin-Rezeptor-Antagonisten. Auch das schon besprochene Anacetrapib wird sicherlich bedeutsam werden.

Springer Medizin: Das klingt nach einer Menge Innovationen...

Quodt: Wir sind stolz auf diese Forschungsarbeit, es ist eine der stärksten Pipelines in der Industrie. Wir freuen uns auch über unser gutes Abschneiden in der Innovations-Studie von Booz & Company, die im Vergleich aller Industrien MSD besonders hervorgehoben hat. Kein Unternehmen gibt im Verhältnis zu Umsatz mehr für die Forschung aus als wir: Wir investieren knapp 21 Prozent unseres Umsatzes wieder in die Forschung! Von 2008 auf 2009 haben wir antizyklisch unser Forschungsbudget weltweit um 16 Prozent erhöht.

Springer Medizin: Wo sehen Sie die Schwerpunkte der MSD-Forschung?

Quodt: Herz/Kreislauf ist unser Traditionsfeld und wird ein Schwerpunkt bleiben, auch im Cholesterinbereich wollen wir die Entwicklung vorantreiben. Jetzt kommen wir auch in der Infektiologie sehr gut voran, nicht nur mit Boceprevir, sondern auch im HIV-Bereich. Für Infektionen mit Staphylococcus aureus haben wir einen Impfstoff in Phase II der Entwicklung.

Springer Medizin: Werden Sie die Indikationen Rheuma und Osteoporose ebenfalls weiterführen?

Quodt: Rheuma ist mit den Biologicals sicherlich einer unserer Schwerpunkte, was durch den Zusammenschluss mit Essex deutlich geworden ist.

Springer Medizin: Wird es Neuerungen bei den Services für Ärzte geben?

Quodt: Durch die Zusammenführung von MSD und Essex ist ein gut abgestimmtes Produkt-Portfolio entstanden, wodurch sich auch unsere Unterstützung für die niedergelassenen Ärzte verbessert, speziell für die Fachärzte. In etlichen Bereichen können wir nun übergreifende Services anbieten, etwa in Form von Gemeinschaftsveranstaltungen. Diese sind auch thematisch umfassender als früher. Übrigens verbessert sich durch die breitere klinische Forschung auch die Arbeit mit den wissenschaftlichen Institutionen. Zurzeit kooperieren wir mit 140 Zentren und investieren in Deutschland über 40 Millionen Euro jährlich. An den Projekten sind etwa 3000 Ärzte und Wissenschaftler beteiligt.

Das Interview führten Wolfgang van den Bergh, Dirk Einecke und Cornelius Heyer.

MSD in Deutschland sieht sich als Aktivposten in der politischen Gestaltung des Versorgungssystems. Um neue Denkansätze zu fördern, unterstützt das Unternehmen das vom Fraunhofer Institut organisierte MetaForum Innovation, in dem unter Beteiligung aller Interessen Reformvorschläge erarbeitet werden - Motto: Sektorengrenzen nicht nur erkennen, sondern überwinden.

Engagieren möchte sich das Unternehmen auch im Bereich der Integrierten Versorgung: Das Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) hat die pharmazeutischen Hersteller als Vertragspartner in den Paragraph 140b SGB V aufgenommen. MSD will nun, so Deutschland-Chef Hanspeter Quodt "auf Augenhöhe die ambulante Versorgung mitgestalten". Er appelliert an Ärzte, die Pharmaindustrie nicht als Bedrohung wahrzunehmen, sondern als Partner.

Auch intern wird Gesundheitspolitik bei MSD groß geschrieben. Den Mitarbeitern werden Informationen geboten. Dem Außendienst stehen auf regionaler Basis Experten nicht nur für medizinische, sondern auch für gesundheitspolitische Fragen zur Verfügung. "Ich nehme ein wachsendes Zuhören bei Kassen und Politikern wahr, weil wir Systemgestaltung aktiv in die Hand nehmen", so Quodt.

Cornelius Heyer

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