Migranten: Stiefkinder der medizinischen Versorgung

Es gibt positive Einzelbeispiele, wie medizinische Versorgung von Migrantenkindern in Deutschland effizient organisiert werden kann. Ein schlüssiges Gesamtkonzept ist aber bisher nicht im Ansatz zu erkennen.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Migrantenkinder mit Mutter: Ihre Gesundheitsversorgung ist oft schwierig.

Migrantenkinder mit Mutter: Ihre Gesundheitsversorgung ist oft schwierig.

© Rust / imago

DÜSSELDORF. Migrantenkinder und ihre Familien haben in Deutschland oft große Probleme, um an den für sie notwendigen Leistungen des Gesundheitswesens teilhaben zu können. Diese Barrieren sind aber häufig aus eigener Kraft kaum zu überwinden.

Trotz ermutigender Einzelprojekte fehlt bislang in Deutschland eine abgestimmte Gesamtstrategie, moniert jetzt die Deutsche Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ).

Über 30 Prozent der Kinder in Deutschland haben einen Migrationshintergrund, jährlich wandern über 70 000 Kinder und Jugendliche mit ihren Familien zu.

Im Vergleich zu deutschen Altersgenossen sind Kinder mit Migrationshintergrund nach Daten des Robert-Koch-Instituts in Berlin häufiger von Adipositas und Anämien betroffen und leiden vermehrt an psychischen Störungen. Besonders problematisch ist die Versorgung von chronisch kranken oder behinderten Migrantenkindern.

Kinder- und Jugendärzten kommt nach Einschätzung der Düsseldorfer Privatdozentin Dr. Erika Sievers vom Fachausschuss Transkulturelle Pädiatrie der DGSPJ eine Schlüsselrolle zu, um auch alle Migrantenkinder medizinisch gut versorgen und in ihrer Entwicklung fördern zu können.

Dies sei aber in der Praxis häufig schwierig. Unmittelbar nach der Immigration gibt es für die Neuankömmlinge neben sprachlichen Barrieren auch massive Probleme, sich in der fremden Kultur zurechtzufinden.

Angebote zur Vorsorge, der Früherkennung und der Prävention sind ihnen in der Regel nicht bekannt. Die mangelnde Beherrschung der deutschen Sprache erweist sich darüber hinaus in Arztpraxen und anderen gesundheitlichen Einrichtungen als große Barriere.

DGSPJ-Präsident Hans-Michael Straßburg aus Würzburg mahnte deshalb im Sinne des "Bewusstseins für Kinder" gerade für Migrantenfamilien dringend Handlungsbedarf an.

Kern seiner Forderung: "Die sprachliche Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund muss von Anfang an ein Schwerpunkt der gesamten Integrationsförderung sein."

Mehrsprachigkeit, so Straßburg weiter, stelle besondere Anforderungen an die Diagnostik und Therapie von Sprachstörungen. Hierfür seien entsprechende Angebote wohnortnah erforderlich.

Allen Migranten - auch zugewanderten Kinder mit unklarem Aufenthaltsstatus - müssten grundsätzlich altersgerechte Gesundheitsangebote offen stehen, sagte der DGSPJ-Präsident.

Positive Beispiele, wie Migranten in die gesundheitliche Versorgungsstruktur eingebettet werden können, gibt es bereits. Ein Münchner Klinikum etwa richtete ein "Fachreferat Interkulturelle Versorgung" ein und schuf einen hausinternen Dolmetscherdienst.

Schon die Bereitstellung von fremdsprachigem Informationsmaterial über Filme oder Broschüren kann das Verständnis von Gesundheitsthemen fördern; dies zeigen die Gesundheitsleitfäden der Länderprojekte "Mit Migranten - Für Migranten (MiMi)".

Vorbildhaft sind auch Projekte mit Gesundheitslotsen, die inzwischen in mehreren Bundesländern erfolgreich realisiert werden. Hier werden gut integrierte und engagierte Migrantinnen und Migranten, die über überdurchschnittliche Deutschkenntnisse verfügen, zu interkulturellen Gesundheitslotsen ausgebildet.

Diese Mediatoren können somit Brücken bauen zwischen Familien mit ihren Kindern und den verschiedenen Sektoren und Leistungsangeboten des deutschen Gesundheitssystems.

Dies sind allerdings alles Einzelprojekte, die kaum systematisch zusammengeführt und schon gar nicht flächendeckend angeboten werden. Sie sind deshalb für die DGSPJ nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.

Die Sozialpädiater fordern deshalb eine stimmige Gesamtstrategie zur besseren Gesundheitsförderung und -versorgung aller Migrantenkinder in Deutschland.

http://www.dgspj.de/media/Stellungnahme-Transkulturell.pdf oder unter sievers@akademie-oegw.de

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