Die Angst vor Fremdbestimmung

Medizinische Versorgungszentren sollen künftig primär in Trägerschaft freiberuflicher Ärzte betrieben werden. Die Koalitionspläne sind umstritten - stoppen sie eine Organisationsinnovation?

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

BERLIN. Sie waren eine Innovation des Gesundheitssystem-ModernisierungsGesetzes (GMG), das am 1. Januar 2004 in Kraft trat: Medizinische Versorgungszentren (MVZ).

Mit ihnen wollte die damals regierende rot-grüne Koalition die Idee von einem stärker integrierten Gesundheitswesen vorantreiben. Immerhin trat mit der gleichen Reform auch die Anschubfinanzierung für Integrationsversorgung in Kraft.

Rahmenbedingungen waren liberal gehalten

Die Rahmenbedingungen für den Betrieb eines MVZ waren bewusst liberal gehalten, um der neuen Idee möglichst wenig Grenzen zu setzen. Notwendig war die Teilnahme von Ärzten aus nicht nur einem Fachgebiet, im Prinzip konnte fast jeder Akteur im Gesundheitswesen Träger eines MVZ sein. Möglich wurde erstmals auch die Arbeit als angestellter Arzt in der ambulanten Medizin; zuvor war dies nur als (Weiterbildungs-)Assistent möglich gewesen.

Gerade diesen liberalen Rechtsrahmen will die amtierende Koalition einschränken, allen voran der liberale Koalitionspartner. Der FDP geht es dabei um den Schutz des freiberuflich tätigen Arztes und der freien Arztwahl durch die Patienten, die angeblich in Medizinischen Versorgungszentren, die nicht in der Trägerschaft von Ärzten betrieben werden, in Gefahr geraten könnten.

Aus diesem Grund ist nach den Eckpunkten der Koalition für ein Versorgungsgesetz geplant, dass neue MVZ primär von Vertragsärzten getragen werden müssen, diese jedenfalls eine Gesellschafter-Mehrheit haben müssen und nur im Ausnahmefall - bei Unterversorgung - auch Kliniken als Träger in Frage kommen. Außer der Gesellschaft Bürgerlichen Rechts und der GmbH dürfen keine anderen Rechtsformen wie etwa eine AG zugelassen werden.

Brisante Restriktionen

Wirtschaftlich gesehen handelt es sich um ein Investitionsverbot - für eine liberale Partei ein beachtlicher Verstoß gegen die eigenen ordnungspolitischen Grundsätze (sofern diese der FDP in ihrem intellektuellen Erosionsprozess nicht ohnehin abhanden gekommen sind).

Rechtspolitisch sind die neuen Restriktionen auch nicht ohne Brisanz: Bereits existierende MVZ, in welcher Trägerschaft auch immer, genießen auf jeden Fall Bestandsschutz. Aber worauf bezieht sich dieser Bestandsschutz: auf die konkret existierenden Zentren in ihrer gegenwärtigen Größe und Struktur? Ist das das Limit für die Zukunft? Oder darf der Träger expandieren - etwa durch eine Aufstockung der Arztstellen im MVZ oder Gründung neuer Zentren? Das Koalitionspapier gibt dazu keine Auskunft.

Ferner wird von Juristen die Auffassung vertreten, dass eine Liberalisierung eines Marktes nur unter ganz restriktiven Bedingungen wieder rückgängig gemacht werden kann. Dem Gesetzgeber müssen Tatsachen darüber vorliegen, dass Medizinische Versorgungszentren, die nicht in ärztlicher Trägerschaft betrieben werden, einen schädlichen Einfluss auf die Volksgesundheit haben.

Einen derartigen Zusammenhang hat die Bundesregierung ausdrücklich nicht feststellen können, wie aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht.

Jedes zweite MVZ ist in Händen von Vertragsärzten

Tatsache ist: Jedes zweite MVZ ist aktuell in der Hand von Vertragsärzten, knapp 40 Prozent wird von Kliniken betrieben. Gesundheitsferne Organisationen spielen keine Rolle als MVZ-Träger. Behauptungen von einer Amerikanisierung des Gesundheitswesens, in der Heuschrecken die Medizin bestimmen, entstammen den Gehirnen von Paranoikern.

Allerdings gibt es eine andere bedenkenswerte Entwicklung. Während die Zahl der MVZ weiter steigt, stagniert die Zahl der darin teilnehmenden freiberuflichen Vertragsärzte. Ganz anders sieht die Beschäftigungsentwicklung bei den angestellten Ärzten aus: Ihre Zahl nahm zwischen Mitte 2009 und Mitte 2010 um mehr als 1500 auf 6534 zu.

Offenkundig scheut ein erheblicher Teil insbesondere jüngerer Ärzte das wirtschaftliche Risiko, als Freiberufler tätig zu sein. Investitionen und Kreditaufnahme, hohe Arbeitsbelastung nicht zuletzt durch den bürokratischen Wirrwarr, den KBV und KVen veranstalten, und mangelnde Verträglichkeit mit dem Familienleben lassen die Arbeit als angestellter Arzt im MVZ offenkundig attraktiv erscheinen.

Größere MVZ bieten die Option, über Zweigpraxen in ländlichen Regionen die Versorgung sicherzustellen - nicht zuletzt mit Hilfe von Telemedizin.

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