Kommt die Nutzenbewertung für Medizinprodukte?

Arzneimittelhersteller kennen die Nutzenbewertung ihrer Produkte seit Jahren. Jetzt planen Gesundheitspolitiker, dieses Verfahren auf Medizinprodukte auszuweiten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Jens Spahn sagte auf dem Hauptstadtkongress, dass GBA und Industrie lernen müssten, miteinander zu verhandeln.

Jens Spahn sagte auf dem Hauptstadtkongress, dass GBA und Industrie lernen müssten, miteinander zu verhandeln.

© Bauchspiess

BERLIN. In der Politik wird mehr als konkret über die Nutzenbewertung auch für Medizinprodukte nachgedacht.

"Wir wollen nur da zwangsweise erhobenes Beitragsgeld einsetzen, wo wir sicher sein können, dass Nutzen gegenüber steht", sagte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion Jens Spahn auf dem Hauptstadtkongress.

Dies gelte nicht nur für Arzneimittel, sondern auch für Implantate und Stents beziehungsweise für die Indikationen, bei denen ihr Einsatz angezeigt sei.

Union und Grüne ziehen an einem Strang

Unterstützung erhielt der CDU-Politiker von der Grünen Birgitt Bender. "Wenn nichtmedikamentöse Verfahren nicht in Misskredit geraten sollen, müssen sie sich der Nutzenbewertung stellen", sagte die gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Die Industrie solle ihre Verweigerungshaltung aufgeben und sich an der Entwicklung von Bewertungsverfahren beteiligen.

Dass es Maßstäbe für den Nutzen von Medizinprodukten geben müsse, hatte zuvor auch Dr. Meinrad Lugan eingeräumt, der Vorsitzende des Bundesverbands Medizintechnologie. Dass CE-Kennzeichen der Europäischen Union zeige dem Kunden an, dass ein Medizinprodukt den produktspezifischen Richtlinien der Europäischen Union entspreche.

Der Zusatznutzen eines Medizinproduktes lasse sich vergleichsweise einfach bestimmen. Er sei gegeben, wenn ein Produkt in einem der drei Parameter Risiko, Effizienz und Wirtschaftlichkeit besser sei als das Produkt des Wettbewerbers.

Lugan zweifelte an, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin (IQWiG) und der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) Medizinprodukte überhaupt bewerten könnten. Die Expertise der Industrie müsse daher in irgendeiner Form institutionell im Gemeinsamen Bundesausschuss verankert werden.

Industrieunabhängige Studien sollen helfen

Um diesen Streit aufzulösen forderte Jens Spahn mehr industrieunabhängige Studien. Eine Möglichkeit, sie zu finanzieren, wäre, dem Gemeinsamen Bundesausschuss einen namhaften Betrag aus dem Gesundheitsfonds zur Verfügung zu stellen. Er denke an etwa 100 Millionen Euro im Jahr.

Valide Studien fehlten tatsächlich, unterstrich Dr. Theodor Windhorst. Die seien aber notwendig, um die Me too-Präparate vom Markt zu nehmen, sagte der ehrenamtliche Zweite Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Die Arzneimittelhersteller kennen die Nutzenbewertung durch IQWiG und Gemeinsamen Bundesausschuss schon länger. Erst im Januar gab es seit der Einführung der Nutzenbewertung im Jahr 2004 mit dem Arneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) die dritte Änderung.

Allerdings scheinen die Hersteller zu zögern, sich der frühen und schnellen Bewertung zu stellen. Im ersten Quartal seien zwei Dossiers beim Gemeinsamen Bundesausschuss eingereicht worden, berichtete IQWiG-Chef Professor Jürgen Windeler.

Sechs Dossiers liegen vor

Insgesamt lägen seinem Institut inzwischen sechs Dossiers vor. Die frühe Nutzenbewertung werde im zweiten Halbjahr starten. Die abwartende Haltung der Industrie gibt Windeler zu denken: "Das sieht nicht nach Zufall aus", sagte er.

Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Medizinprodukte-Hersteller ihre Neuentwicklungen nicht mehr zuerst in Deutschland, sondern in anderen Ländern der Europäischen Union auf den Markt zu bringen versuchten. Ein Grund: Mit dem AMNOG gilt in Deutschland als Innovation nur noch die Entwicklung eines völlig neuen Wirkstoffs.

Industrie und Gemeinsamer Bundesausschuss müssten lernen, miteinander zu verhandeln sagte Unions-Gesundheitsexperte Spahn.

Der Dialog zwischen beiden gleiche noch immer eher einem "Verkünden" der Auffassung des Ausschusses. Nach einigen Schiedsverfahren werde aber beiden Seiten klar werden, nach welcher Logik das Verfahren ablaufe.

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