Berlin oder Bonn - aber doch nicht Barntrup

Barntrup ist ein beschaulicher Ort im Kreis Lippe mit 9000 Einwohnern. Aber gerade die Beschaulichkeit macht es schwer, einen neuen Arzt zu finden.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Herbstlicher Blick auf Barntrups Ortsteil Alverdissen. Der 9000 Einwohner zählende Ort liegt in Ostwestfalen-Lippe. Will hier kein Arzt arbeiten?

Herbstlicher Blick auf Barntrups Ortsteil Alverdissen. Der 9000 Einwohner zählende Ort liegt in Ostwestfalen-Lippe. Will hier kein Arzt arbeiten?

© mm images/ imago

DORTMUND. Auf der Suche nach einem neuen Arzt für seine Gemeinde Barntrup hat Bürgermeister Herbert Dahle eine ernüchternde Erfahrung gemacht. Um potenzielle Interessenten zu erreichen, hat die Kommune eine Imagebroschüre erstellt, die bei Veranstaltungen an junge Mediziner verteilt wurden.

"Die Ärzte nehmen die Broschüre und sagen: Haben Sie nicht was anders mit B: Berlin, Bremen oder Bonn?", berichtete Dahle beim Jahreskongress "Zukunftsperspektiven der medizinischen Versorgung" der KV Westfalen-Lippe (KVWL) in Dortmund.

KVWL und Kommune suchen händeringend einen Arzt

Noch ist das Örtchen Barntrup im Kreis Lippe eine Ausnahme. Händeringend suchten KVWL und Kommune nach einem Arzt für die 9000 Einwohner. Gemeinsam fanden die Verantwortlichen eine Lösung: eine Filialpraxis.

Noch ist die Welt der medizinischen Versorgung in Westfalen-Lippe fast in Ordnung. Meistens gelingt es der KVWL, den Wunsch der Ärzte nach Standortwirtschaftlichkeit und den Wunsch der Patienten nach einer wohnortnahen Versorgung unter einen Hut zu bringen, berichtete Dr. Gerhard Nordmann, 2. Vorsitzender der KVWL.

Doch das droht sich zu ändern. Aufgrund der Altersstruktur der Ärzte wird es in Westfalen-Lippe in den kommenden Jahren einen enormen Nachbesetzungsbedarf geben, vor allem im hausärztlichen Bereich. Von den 4912 Hausärzten sind elf Prozent älter als 65 Jahre, 30 Prozent zwischen 60 und 65 Jahren.

"Nachbesetzungen auf dem Lande sind heute schon schwierig, weil viele Standorte schlicht unwirtschaftlich geworden sind oder aller Voraussicht nach bald werden", sagte Nordmann.

600 Filialgenehmigungen seit 2007

Niederlassungswillige Ärzte entscheiden sich aus wirtschaftlichen Gründen für andere Standorte. "Derzeit können wir nur versichern, entstehende Lücken etwa durch die Einrichtung von Filialpraxen zu stopfen", sagte er.

Seit 2007 hat die KVWL etwas mehr als 600 Filialgenehmigungen ausgesprochen, die meisten allerdings für wettbewerbsstarke Gebiete.

Damit der Mangel nicht zur Regel wird, will die KVWL mit einem neuen Versorgungsmanagement auf die Entwicklung Einfluss nehmen. Nach der Sommerpause wird sie mit konkreten Projekten beginnen, kündigte Nordmann an. Gemeinsam mit allen Akteuren vor Ort will die KV Westfalen-Lippe bei Konferenzen Versorgungsziele für eine Region definieren.

Bei der Entscheidung für oder gegen einen Standort legen junge Ärzte viel Wert auf das Umfeld - auch das für Partner und Kinder. "Wir müssen auch die weichen Faktoren berücksichtigen", sagte der KVWL-Vorsitzende Dr. Axel Dryden.

Gute Schulen, genug Kindergartenplätze und ein ansprechendes kulturelles Angebot werden als Auswahlkriterien für Ärzte immer wichtiger. Auch um hier gemeinsam Lösungen zu entwickeln, sucht die KVWL das Gespräch mit den Kommunen.

KV punktet bei Dahle

Hat Mühe einen Arzt zu finden: Barntrups Bürgermeister Herbert Dahle.

Hat Mühe einen Arzt zu finden: Barntrups Bürgermeister Herbert Dahle.

© Stadt Barntrup

Bei Bürgermeister Dahle kommt das gut an. "Früher war die KV für mich nur die Interessenvertretung für Ärzte", sagte er. "Dieses Bild musste ich revidieren."

Für die Zusammenarbeit gibt es nach Vorstellung der KVWL viele mögliche Handlungsfelder. "Die Kassenärztliche Vereinigung kann als Dienstleister gemeinsam mit der Kommune Versorgungsziele definieren", sagte Thomas Müller, Geschäftsführer Zentralstab Unternehmensentwicklung der KV Westfalen-Lippe.

Das könne zum Beispiel die Erhöhung der Impf- oder der Krebsfrüherkennungsquoten sein.

Große Hoffnungen setzt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe in die geplante Abschaffung der Residenzpflicht für niedergelassene Ärzte, durch die die Trennung von Arbeits- und Lebenswelt für Mediziner möglich wird.

Steffens: "Lockerung der Residenzpflicht ist ganz wichtig"

Auch Landesgesundheitsministerin Barbara Steffens (Grüne) sieht das als großen Fortschritt an. "Die Lockerung der Residenzpflicht ist für uns ganz wichtig", sagte sie. Ansonsten könne das Land mit dem Programm für mehr Ärzte in ländlichen Gebieten keinen Erfolg haben.

Trotzdem sieht Steffens das von der Bundesregierung geplante Versorgungsgesetz insgesamt sehr skeptisch. Aus ihrer Sicht haben die Länder nicht genug Einfluss auf die Bedarfsplanung. Kritisch sieht sie vor allem, dass die Länder bei der Entwicklung der Qualitätskriterien nicht angehört werden. "Bedarfsplanung und Qualitätskriterien sind zwei Bereiche, die eng verbunden sind", sagte sie.

Auch dass die Regeln zur bundesweiten Angleichung der ärztlichen Honorare aus dem Gesetzesvorhaben genommen wurden, lehnt sie kategorisch ab. Die Vergütung der niedergelassenen Ärzte in Westfalen-Lippe ist bundesweit am niedrigsten.

"Es kann nicht sein, dass NRW am Ende der Kette ist", sagte sie. Alle Akteure in NRW müssten über Parteigrenzen hinweg gemeinsam nach Berlin gehen und eine Änderung fordern.

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