Bahrs Reform im Schredder des Finanzministers

Kaum im Amt, muss Gesundheitsminister Bahr die erste große Machtprobe bestehen: Sein Ministerkollege Wolfgang Schäuble zerpflückt die Versorgungsreform. Die Stellungnahme gleicht einem Verriss. Der Generalvorwurf: Verstoß gegen den Koalitionsvertrag.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) unterhalten sich am vergangenen Donnerstag im Bundestag in Berlin.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) unterhalten sich am vergangenen Donnerstag im Bundestag in Berlin.

© dpa

BERLIN. In über 20 Einzelpunkten und durch alle wesentlichen Regelungsbereiche der Versorgungsreform hat das Bundesfinanzministerium den Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums faktisch geschreddert.

Wie ein roter Faden zieht sich eine Aussage durch die 17 Seiten umfassende - noch nicht abschließende - Stellungnahme: "Die entstehenden Mehrkosten werden weder beziffert noch ist eine Gegenfinanzierung vorgesehen."

Das ist mehr als Kritik im Detail. Der Vorwurf von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: Die im Hause des FDP-Ministers Daniel Bahr und seines Vorgängers Philipp Rösler erarbeitete Reform verstößt gegen den Koalitionsvertrag und seine "Goldenen Regeln", auf die Schäuble noch einmal ausdrücklich verweist.

Das gesamte Vorhaben in Frage gestellt

Sie lauten: Für jede Maßnahme, die zusätzlich außerhalb des beschlossenen Finanzrahmens finanziert werden soll, ist eine unmittelbare, vollständige und dauerhafte Gegenfinanzierung sicherzustellen. Und: Alle Maßnahmen des Koalitionsvertrags stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Die Ärzte kann das nicht kalt lassen. Schäubles Ministerium stellt quasi alle Pläne für eine Vergütungsreform, eine neue Bedarfsplanung und eine Entschärfung der Wirtschaftlichkeitsprüfung in Frage.

Stärkung von Einzelleistungen: Durch Abbau von Pauschalen würden Fehlanreize für Ärzte geschaffen, Leistungsmengen auszuweiten. Sowohl bei extrabudgetären Leistungen wie bei der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung könne es zu Steigerungen kommen. Die Mehrkosten seien nicht beziffert, eine Gegenfinanzierung sei nicht vorgesehen. "Daher kann das BMF der Neuregelung nicht zustimmen."

Zuschläge auf Punktwerte bei Unterversorgung: Das BMF kritisiert, dass das Gesundheitsressort davon abgewichen ist, die Zuschläge bei Unterversorgung durch Abschläge bei Überversorgung zu finanzieren.

Eine Erhöhung der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung als Folge von Zuschlägen für strukturschwache Gebiete lehnt das BMF ab. Es fordert Abschläge, die mindestens so hoch ausfallen, dass die Mehrkosten für Zuschläge kompensiert werden. Vereinbarungen dazu müssten auf Bundesebene getroffen werden.

Regionale Besonderheiten: Können bei der Vereinbarung des Punktwertes regionale Besonderheiten berücksichtigt werden, dann werde es ohne bundeseinheitliche Vorgaben zu einer "inflationären Ausweitung" von regionalen Besonderheiten kommen, die auch die Steuerung des Niederlassungsverhaltens von Ärzten konterkarieren könnten. Das sei mit erheblichen Mehrkosten verbunden.

Zuschläge für förderungswürdige Leistungen: Die Notwendigkeit einer derart weit reichenden Ermächtigung erschließe sich nicht. Allenfalls könne dies für unterversorgte Gebiete akzeptiert werden - wenn keine Mehrkosten entstünden.

Regionalisierung der Vergütungsvereinbarungen: Hierdurch drohe "ein Überbietungswettbewerb zwischen den einzelnen Regionen. Die Ärzte in Regionen mit relativ niedriger Vergütung werden sich bei ihren Forderungen immer an den Regionen mit hoher Vergütung orientieren ... und damit auf großes Verständnis stoßen." Fazit: Finanzielle Risiken nicht beziffert, keine Kompensation.

Definition der Morbiditätsstruktur: Sie ist aus Sicht des BMF "missverständlich und widersprüchlich". Das BMF lehnt es ab, die Morbidität aus abgerechneten Leistungen abzuleiten. Ebenso wenig seien ärztliche Diagnosen geeignet. Denn dadurch entstehe der Fehlanreiz, dass Ärzte ihre Diagnosen "optimieren". Ausschließlich demografische Kriterien hält das BMF für akzeptabel.

Keine Fallzahlbegrenzung bei Unterversorgung: Dies führe zu mehr Arztkontakten, zu mehr Diagnosen und mehr Leistungen - also auch zu Mehrkosten. Ebenso lehnt das BMF praktisch alle Reformelemente für eine neue Bedarfsplanung als kostenträchtig ab.

Einschränkungen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen bei Arznei- und Heilmitteln: Den Plänen aus dem Gesundheitsministerium widerspricht das BMF. Sie setzten Fehlanreize, medizinisch nicht erforderliche Arznei- und Heilmittel zu verschreiben.

Ambulante spezialärztliche Versorgung: Das BMF lehnt dieses Konzept ab. "Laut der Kostenaussage können die finanziellen Auswirkungen nicht quantifiziert werden. Es würden also offenbar unkalkulierbare finanzielle Auswirkungen für die GKV entstehen."

Mehrausgaben seien entweder zu vermeiden oder sie müssten kompensiert werden. Die Einführung eines eigenständigen, diagnose- und behandlungsbezogenen Abrechnungssystems ohne Budgetbegrenzung hält das BMF für "unverantwortlich". Es fehle eine Budgetbereinigung bei Klinikvergütungen.

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