Ärzte, Kassen, Industrie: Gemeinsam gegen Ärztemangel

Schon 2020 gibt es in 45 Landkreisen keine Fachärzte mehr, sagt die KV. Rheinland-Pfalz hat keinen Ärztemangel, meint die AOK. Derweil läuft die Suche nach neuen Versorgungsformen auf Hochtouren - auch die Industrie will mitmischen.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Der Weinort Trittenheim an der Mosel ist Idylle pur – doch will sich hier ein junger Hausarzt niederlassen?

Der Weinort Trittenheim an der Mosel ist Idylle pur – doch will sich hier ein junger Hausarzt niederlassen?

© beatuerk / fotolia.com

MAINZ. Das Versorgungsstrukturgesetz gibt den Regionen neue Freiheit bei der Organisation der Versorgung vor Ort. Doch ob ausreichend Ärzte vorhanden sind und wie sich der Versorgungsbedarf entwickeln wird, ist zwischen Kassen und KV umstritten.

Das zeigte sich einmal mehr beim Expertengespräch "Gesundheitspolitischer Impuls Rheinland-Pfalz", der gemeinsam von Landesgesundheitsministerium und dem Gesundheitspolitischen Arbeitskreis Mitte in Mainz veranstaltet wurde.

Dabei appellierte die Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium, Jacqueline Kraege, an Selbstverwaltung, Apotheker und Kassen:

"Gemeinsam müssen neue Konzepte einer umfassenden Gesundheitsversorgung entwickelt werden, die wir angesichts sinkender Einwohnerzahlen und der demografischen Entwicklung besonders für ländliche Gebiete wie Eifel und Hunsrück brauchen."

Für die Landesregierung stehe die Sicherung der Versorgung in allen Regionen im Mittelpunkt der Gesundheitspolitik. "Wir haben insgesamt eine gute und flächendeckende Versorgung. Gleichwohl sind Anzeichen eines beginnenden Hausärztemangels zu erkennen", so die Staatssekretärin.

Wer heute Landarzt werden will, sucht nach einem Team

Kraege wehrte sich dagegen, nur die Kostenerstattung ins Zentrum der Diskussion zu rücken. "Wir müssen sehr genau schauen und alle Optionen prüfen, wenn wir ein System umstellen."

Die Regierung setze eher darauf, die Regionen attraktiv zu machen und auf Konzepte aller Partner im Gesundheitswesen, um neue Versorgungsmodelle aufzubauen.

Die Landesärztekammer favorisiert für Zukunft der regionalen Versorgung ihr bereits angestoßenes "Fünf-Märkte-Konzept": Lebensmitteldiscounter und Drogerie-Ketten eröffnen schon heute im ländlichen Raum dort, wo bereits andere Unternehmen sind.

Hier könnten sich künftig auch Ärzte mit ihren Praxen ansiedeln. Die Trägerschaft solch eines Arzthauses kann bei Ärzten, aber auch bei den Gemeinden oder den Städten liegen.

"Wir können junge Kollegen nur dann überzeugen, aufs Land zu gehen, wenn wir ein Team anbieten können", sagte Dr. Michael Fink, Vizepräsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz.

Bei der KV plädiert man dafür, den Blick auf den demografischen Wandel und die Veränderung der dann benötigten Leistungen zu behalten.

So ergeben Modellrechnungen der KV, dass in Rheinland-Pfalz bis 2020 die Patientenzahlen zum Beispiel in der Urologie um 18 Prozent, in der psychotherapeutischen Behandlung um 20 Prozent steigen werden.

AOK: Ärztemangel gibt es in Rheinland-Pfalz nicht

Gleichzeitig geht die KV davon aus, dass bis 2020 in 45 Orten keine Fachärzte mehr vorhanden sind. So werden etwa Bewohner im Landkreis Bitburg-Prüm deutlich längere Wege zum Arzt haben, befürchtet KV-Vize Dr. Peter Heinz.

Optimierung der Entlassmedikation

In einem Forschungsprojekt zur Optimierung der Entlassungsmedikation an der Uni Mainz hat Professor Irene Krämer, Direktorin der Apotheke, nachgewiesen, welche Vorteile eine vernetzte Beratung für den Patienten bietet. Nach ihren Daten werden besonders Hausärzte von Beratungstägigkeiten entlastet und könnten sich so besser um die Versorgung nach einem Klinikaufenthalt kümmern. Sie plädierte bei der Diskussion in Mainz für eine bessere Beratung und Kommunikation: „Bei komplexen Arzneimitteltherapien müssen Ärzte und auch die Hersteller mehr Beratung leisten.“ (bee)

Einen Ärztemangel, wie ihn die Versorgungsforschung der KV zeigt, kann die AOK Rheinland-Pfalz/Saarland nicht erkennen. "Wir haben eine gute Situation und keinen Ärztemangel für die Versorgung der Bevölkerung", sagte Vorstandsvorsitzender Walter Bockemühl in Mainz.

Der AOK-Chef sieht die fachärztliche Versorgung auf dem Land durch die Kliniken gesichert. Außerdem sollten sich Kliniken seiner Meinung nach künftig stärker auf den regionalspezifischen Versorgungsbedarf konzentrieren und eine Grundversorgung anbieten.

Daher sollte es eine engere Abstimmung zwischen Kliniken und niedergelassenen Ärzten geben. Ein Beispiel sei die onkologische Versorgung in der Region Bitburg:

Hier stelle das Krankenhaus die Räume, die niedergelassenen Onkologen aus dem benachbarten Trier übernehmen die Versorgung. In diesem Zusammenhang plädiert er auch bei Versorgungsverträgen für mehr Vertragsfreiheit.

"Die Zeit des Ressourcenverteilens mit der Gießkanne ist vorbei. Es muss einen Umstieg vom Kollektivvertrag hin zu maßgeschneiderten Versorgungskonzepten für jede Region geben", so Brockemühl.

Mehr Einfluss der Industrie? Die AOK ist skeptisch

Ob dabei die Therapie-Angebote der Pharma-Industrie helfen können, bezweifelt der AOK-Chef. Viele der Programme seien zu teuer, und: "Die Therapiemöglichkeiten werden dabei nicht gesteigert."

Projekt der Landesapothekenkammer: Apolot

Um vor allem in ländlichen Regionen den Apothekennotdienst aufrecht zu erhalten, wirbt die Landesapothekenkammer für das Projekt „Apolot“. Es soll weite Anfahrten zu Notdienstapotheken auf dem Land verhindern und sicherstellen, dass die diensthabende Apotheke ein Medikament vorrätig hat. So soll sich der Arzt in einer Internetdatenbank vor Verschreibung eines Medikaments darüber informieren, ob und in welcher Apotheke es vorhanden ist. Auch soll der Arzt sich mit dem Apotheker über das Medikament oder alternative Verordnungen austauschen, bevor der Patient zur Notdienstapotheke fährt. Damit sollen nächtliche „Irrfahrten“ über Land, wie es Peter Stahl, Vizepräsident der Apothekenkammer, nennt, verhindert werden. (bee)

Dem widersprach Alexander Würfel, Landesbeauftragter des vfa und Geschäftsführer von Abbott. "Wir brauchen mehr Mut zur Veränderung und sehen heute eine deutliche Steigerung der Versorgungsqualität bei vielen Programmen mit unserer Beteiligung."

Die Industrie sei bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und einen Teil etwa zur Versorgungsforschung beizutragen.

Um vor allem in ländlichen Regionen den Apothekennotdienst aufrecht zu erhalten, wirbt die Landesapothekenkammer für das Projekt "Apolot" (siehe Kasten).

Das Projekt hätte bereits im März 2012 starten können - allerdings, so räumt es Peter Stahl, Vizepräsident der Apothekenkammer, ein, "haben Gespräche dazu noch nicht stattgefunden und der Projektstart wird verschoben".

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