Gleiche Chancen in der Schule - schön wär's!

Alles olle Kamellen? Die Bertelsmann Stiftung veröffentlicht eine Studie über Chancengleichheit an deutschen Schulen, der Deutsche Philologenverband hält die Ergebnisse für längst bekannt und wenig aussagekräftig.

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BERLIN (eb/fuh). Wie sieht es aus mit der immer wieder geforderten Chancengleichheit in deutschen Schulen? Die Chancen von Schülern, soziale Nachteile zu überwinden und ihr Leistungspotenzial auszuschöpfen, unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland deutlich.

Das zeigt der Chancenspiegel, mit dem die Bertelsmann Stiftung und das Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) an der TU Dortmund die Schulsysteme aller Bundesländer auf Chancengerechtigkeit untersucht haben. Ergebnis: Die Unterschiede zwischen den Ländern sind erheblich.

Mit dem Chancenspiegel möchten Bertelsmann Stiftung und IFS mehr Transparenz über die Chancengerechtigkeit in den deutschen Schulsystemen schaffen.

"Es wird zwar viel über Chancengerechtigkeit debattiert, aber als Diskussionsgrundlage fehlt bislang ein Ländervergleich, der auf Fakten beruht", sagte Jörg Dräger, Mitglied des Vorstandes der Bertelsmann Stiftung.

Vier Dimensionen bewertet

Erstmals werde für Deutschland versucht, Chancengerechtigkeit konkret zu erfassen und vergleichbar zu machen, damit Wissenschaft und Politik dieses zentrale Thema künftig besser diskutieren und bewerten können.

Der Chancenspiegel bewertet Gerechtigkeit und Leistungsfähigkeit der Schulsysteme in vier Dimensionen: Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe.

An ihnen soll abgelesen werden, wie integrativ Schulsysteme sind, ob sie soziale Nachteile wettmachen, Klassenwiederholungen und Schulabstiege vermeiden, welche Lesekompetenzen sie vermitteln, wie viele Schüler sie zur Hochschulreife führen oder wie erfolgreich Schulabgänger ohne oder nur mit Hauptschulabschluss darin sind, einen Ausbildungsplatz zu finden.

Das Ausmaß der Unterschiede verdeutlichen einige Beispiele: In Sachsen-Anhalt ist der Anteil der Kinder, die auf einer separaten Förderschule unterrichtet werden und keinen Zugang zur Regelschule haben, nahezu drei Mal höher als in Schleswig-Holstein.

Und in Sachsen besuchen drei von vier Schülern eine Ganztagsschule, in Bayern nicht einmal jeder Zehnte. "Hier bestehen Gerechtigkeitslücken, sowohl die Ganztagsschule als auch der Besuch einer Regel- statt Förderschule steigern die Bildungschancen", sagte Dräger.

Recycling von bekannten Daten

Ein regionales Gefälle zeigt sich auch im Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Lesekompetenz, der in Bremen fast doppelt so hoch ist wie in Brandenburg.

Eine Hochschulzugangsberechtigung erreichen in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, im Saarland und in Baden-Württemberg jeweils mehr als die Hälfte der Schüler - in Mecklenburg-Vorpommern nicht einmal 36 Prozent.

Der Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger zeigte sich skeptisch. Er kritisiert, die Studie biete nur ein Recycling bereits altbekannter Daten und früherer Studien und vermenge diese zu einer wenig überzeugenden neuen Gesamtschau.

Der Philologenverband bemängelte die inhaltliche Konzeption der Studie. Gemäß dem Qualitätskriterienkatalog der Studie sei das gerechteste Bildungssystem das, welches 100 Prozent Abiturquote, 100 Prozent Inklusionsquote und 100 Prozent Ganztagsschulquote aufweise.

Quoten sagten aber nichts über Qualität aus. Es sei auch unredlich, als Kriterium für Durchlässigkeit nach oben lediglich die Schulformwechsler heranzuziehen.

"Entscheidend ist nicht, wie viele Schüler jeweils von der Realschule zur Hauptschule oder zum Gymnasium wechseln, sondern entscheidend ist, wie viele Jugendliche nach dem Hauptschulabschluss noch eine Mittlere Reife und wie viele nach der Mittleren Reife noch ein Abitur erwerben. Da steht Deutschland mit jeweils einem Drittel Aufsteiger sehr gut da", so Meidinger.

Er sieht Nachholbedarf - "der Chancenspiegel bietet dazu Politikern aber keine große Hilfestellung!"

www.chancenspiegel.de

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