Interview

Timoschenko-Arzt: "Es ist nicht einfach für uns"

Charité-Chef Karl Max Einhäupl betreut mit seinem Kollegen Lutz Harms die derzeit wohl bekannteste Patientin: Julia Timoschenko. Im Interview erzählt er von seinen Besuchen um Gefängnis und warum er keinen politischen Sieg erringen will.

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Blutergüsse am Unterarm: Die Patientin und Ex-Regierungschefin der Ukraine, Julia Timoschenko, vor drei Wochen im Gefängnis.

Blutergüsse am Unterarm: Die Patientin und Ex-Regierungschefin der Ukraine, Julia Timoschenko, vor drei Wochen im Gefängnis.

© dpa

Ärzte Zeitung: Herr Professor Einhäupl, wie geht es Ihnen mit dieser nicht ganz kleinen Zusatzaufgabe?

Professor Karl Max Einhäupl: Natürlich ist das eine zusätzliche Belastung, meine täglichen Aufgaben leiden darunter allerdings nicht. Wir versuchen die Reisen in die Ukraine soweit wie möglich auf Wochenenden und Randtage zu verlegen.

Ärzte Zeitung: Sie waren jetzt drei oder viermal dort?

Einhäupl: Ich war insgesamt viermal dort, davon dreimal bei Frau Timoschenko. Einmal hab ich mit den ukrainischen Gesundheits- und Gefängnisbehörden verhandelt.

Ärzte Zeitung: Wie kam der Kontakt zur Familie von Julia Timoschenko zustande?

Einhäupl: Eines Tages kam ein Berliner Anwalt auf mich zu und auf Herrn Haas. Man hat offenbar jemanden gesucht, der sich mit neurologischen Erkrankungen sehr gut auskennt und über die notwendige Autorität verfügt. Hierbei hat sicherlich auch der Name Charité eine Rolle gespielt.

Ärzte Zeitung: Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Wird sie operiert?

Einhäupl: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Das ist ja nicht nur ein Bandscheibenvorfall, den jeder behandeln könnte. Die Patientin hat den Vorfall seit mehr als einem halben Jahr und ist in dieser Zeit nicht adäquat oder streckenweise gar nicht behandelt worden. Jeder, der selbst einmal einen akuten Bandscheibenvorfall hatte, weiß, welche Schmerzen dabei auftreten können.

Ärzte Zeitung: Wie haben Sie die erste, fast geheime Reise erlebt - und wie im Vergleich dazu alle weiteren?

Professor Karl Max Einhäupl

Timoschenko-Arzt: "Es ist nicht einfach für uns"

© dpa

geboren 1947 in München.

Aktuelle Position: seit 2008 Vorstandsvorsitzender der Charité - Universitätsmedizin Berlin.

Werdegang/Ausbildung: Medizinstudium von 1968 bis 1974 an der LMU München; 1975 Promotion; danach Leitung einer Allgemeinmedizinischen Praxis; 1977 - 1992 Neurologische Klinik der LMU München, Klinikum Großhadern; 1986 Habilitation für das Fach Neurologie.

Karriere: 1992 Berufung auf den Lehrstuhl für Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Charité, seither Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurologie; 2001 bis 2006 Vorsitzender des Wissenschaftsrates; 2004 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.

Einhäupl: Wir waren von dem großen Aufgebot an Reportern und Kameras bei der ersten Landung in Charkow sehr überrascht. Wir wollten, dass diese Reise nicht an die Öffentlichkeit kommt, weil wir geglaubt haben, dass das die Behandlung eher schwieriger als leichter macht.

Inzwischen haben wir mit den ukrainischen Behörden mehr Kontakt. Aber im Grunde hat sich nicht viel geändert. Frau Timoschenko hat sicher mehr Vertrauen zu uns gewonnen, als es vielleicht beim ersten Besuch noch der Fall war.

Ärzte Zeitung: Julia Timoschenko ist sicher - schon aufgrund ihres Misstrauens gegen die ukrainischen Kollegen - keine einfache Patientin, oder?

Einhäupl: Eine Frau, die sechs Monate unter Schmerzen leidet und damit nicht ernst genommen wird, darf kompliziert sein. Es ist entweder gar nicht darauf reagiert worden, dass sie Schmerzen hat, oder sogar davon ausgegangen worden, dass sie simuliert. Selbst als das erste Kernspin mit dem Bandscheibenvorfall vorlag, hat man noch nicht reagiert, sondern das abgetan mit dem Argument, dass viele Menschen Bandscheibenvorfälle haben.

Ärzte Zeitung: Von den Blutergüssen haben auch Sie zunächst nur aus der Ferne erfahren. Konnten Sie sich inzwischen einen persönlichen Eindruck verschaffen.

Einhäupl: Dazu möchte ich mich derzeit nicht äußern. Wir wollen am Ende der Patientin helfen und keinen politischen Sieg erringen.

Ärzte Zeitung: Was löst es in Ihnen aus, eine ehemals ranghohe Persönlichkeit als kranke, hilfesuchende Patientin vor sich zu haben?

Einhäupl: Julia Timoschenko ist nicht der erste prominente Mensch, den ich leidend sehe. Es sind mehr die Gesamtumstände. Einen Patienten im Gefängnis zu besuchen und zu behandeln, ist nichts, was man als Arzt üblicherweise tagtäglich macht...

Ärzte Zeitung: Was ist das für ein Gefühl, dieses Straflager zu betreten?

Einhäupl: Das ist ein langer Weg. Erst mal muss man reinkommen und dann auch wieder rauskommen. Aber Scherz beiseite: Sie müssen mehrere Belehrungen durchlaufen und werden wie im Flughafen gefilzt.

Und es berührt einen schon, wenn man erlebt, wie ein Mensch, der vorher politische Dinge bewegt hat, plötzlich ganz hilflos und ausgeliefert erscheint. Aber man muss dann trotzdem professionell mit der Situation umgehen.

Ärzte Zeitung: Sie haben inzwischen einen politischen Auftrag zur Behandlung der Patientin aus der obersten Etage der Bundesregierung - ist das nicht auch ein immenser politischer Druck?

Einhäupl: Als Druck empfinde ich das in keiner Weise, weil wir völlig frei in unseren Entscheidungen und Verlautbarungen sind. Ich betrachte es ein Stück weit sogar als Hilfestellung, da wir Ärzte in dieser internationalen politischen Szene ungeübt sind. Ein gelegentliches Gespräch mit international versierten Politikern rückt die eine oder andere Sache zurecht.

Ärzte Zeitung: Dass Sie Frau Timoschenko behandeln, wird ja nicht völlig unkritisch gesehen. Wieso machen Sie das für diese Frau?

Einhäupl: Wir sind unserem ärztlichen Auftrag auf der Basis einer weltweit geltenden ärztlichen Ethik verpflichtet. Da können wir nicht die gesellschaftliche Stellung oder die rechtliche Bewertung oder die politische Zugehörigkeit in irgendeiner Weise einbeziehen. Die darf bei solchen ärztlichen Tätigkeiten keine Rolle spielen.

Ärzte Zeitung: Aber Sie kommen um die Politik nicht herum ...

Einhäupl: Wenn es im Kontext einer solchen Behandlung um die Einhaltung von Menschenrechten geht, dann bekommt ärztliches Handeln immer auch eine politische Dimension. Damit umzugehen, ist nicht einfach für uns.

Aber die paternalistische Pflicht eines Arztes endet nicht mit der Ausstellung eines Rezeptes, sondern soll Hindernisse aller Art auf dem Weg zur Genesung aus dem Weg räumen. Wenn das dann zu einer politischen Aktion wird, ändert das nichts daran, dass trotzdem ärztliches Wirken im Vordergrund steht.

Ärzte Zeitung: Was wünschen Sie sich persönlich, wie dieser medizinisch-politische Vorgang abgeschlossen werden soll?

Einhäupl: Meine Zweifel an der Durchführbarkeit einer Therapie sind eher stärker geworden. Als Arzt vertrete ich die Auffassung, dass eine Situation geschaffen werden muss, die man vermutlich in der Ukraine nur schwer herstellen kann.

Ich hoffe, dass die Ukraine den Mut zu einer humanitären Entscheidung aufbringt und damit letztlich auch eine für die Ukraine sicherlich politisch sehr nützliche Entscheidung trifft.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Einhäupl, herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Angela Mißlbeck

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