Depression

"Ich bin am Ende meiner Kraft"

Psychisch Kranke sehen oft keine Perspektive mehr - auch weil sie nicht selten zu lange auf professionelle Hilfe warten müssen. In Nordrhein-Westfalen finden die Experten viele Worte, wie sich die Versorgung verbessern lässt.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Traurig am See: NRW sieht viel Nachbesserungsbedarf bei Depressionen.

Traurig am See: NRW sieht viel Nachbesserungsbedarf bei Depressionen.

© david harding / fotolia.com

DÜSSELDORF. In der Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen müssen Kooperationen eine viel größere Rolle spielen als bisher. Davon geht Bernhard Brautmeier aus, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.

"Die Vernetzung vor Ort ist für mich entscheidend", sagte Brautmeier bei einer Veranstaltung anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Psychotherapeutenkammer Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf.

Ärzte und Psychotherapeuten müssten wissen, mit wem sie bei der Behandlung ihrer Patienten zusammenarbeiten können.

Für Brautmeier besteht kein Zweifel daran, dass die Bedarfsplanung bei den Psychotherapeuten den tatsächlichen Erfordernissen der Patientenversorgung angepasst werden muss.

Allein mit der notwendigen Erhöhung der Zahl der Psychotherapeuten werden sich die Versorgungsprobleme, wie sie an den langen Wartezeiten deutlich werden, aber nicht lösen lassen, erwartet Brautmeier.

"Wir müssen uns Versorgungskonzepte überlegen", sagte auch Dr. Eleftheria Lehmann, die Patientenbeauftragte der nordrhein-westfälischen Landesregierung.

Die Versorgung psychisch Kranker brauche eine professionelle Vernetzung und einen schnelleren Transfer der Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis.

Wartezeiten - das große Problem

Notwendig ist nach ihrer Erfahrung auch der Abbau bürokratischer Hürden, die nicht nur Ärzten und Therapeuten zunehmend zu schaffen machten, sondern auch den Patienten. Die Bürokratie sei für Menschen, die psychisch krank sind, oft noch viel belastender als für andere.

"Oft lese ich: Ich bin am Ende meiner Kraft", berichtete sie. Das lange Warten auf eine Psychotherapie sieht Lehmann als drängendes Problem.

Das Ausweichen auf Therapeuten, die nach dem Kostenerstattungsprinzip arbeiten, sei für viele allerdings keine Alternative.

Auch das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium wird immer wieder mit dem Thema der Wartezeiten konfrontiert. "Bürgerinnen und Bürger wenden sich an uns, weil sie keinen Therapieplatz finden", berichtete der leitende Ministerialrat Dr. Julius Siebertz.

Angesichts der nach wie vor bestehenden Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten belege das den großen Leidensdruck.

Bei psychischen Erkrankungen wird nach seiner Einschätzung ein viel geringerer Teil der Behandlung von niedergelassenen Ärzten und Therapeuten aufgefangen als im somatischen Bereich. Das zeige sich insbesondere im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie, sagte Siebertz.

Hausärzte beobachteten die meisten psychischen Erkrankungen als Erste, sagte Dr. Klaus Reinhardt, Hausarzt aus Bielefeld und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe.

"Ich versuche, sehr früh die Psychotherapie auf den Weg zu bringen." Da er eng mit einer Psychotherapeuten-Gemeinschaftspraxis zusammenarbeite, funktioniere das in der Regel gut.

Mehr Therapieplätze gefordert

Nicht alle Patienten, die aufgrund von Stress oder anderen Problemen in die Praxis kommen, seien psychisch krank. Das gelte etwa für Arbeitnehmer, die gemobbt werden. In solchen Fällen ließe sich auch ohne Psychotherapie eine Lösung finden.

"Ich weiß aber, dass es viel Psychotherapie-Bedarf gibt, der nicht erfüllt werden kann", sagte Reinhardt. Andreas Hustadt, NRW-Leiter des Ersatzkassenverbands vdek, sieht nicht nur die Notwendigkeit zusätzlicher Psychotherapeuten, sondern auch Handlungsbedarf innerhalb der Berufsgruppe.

"Wir müssen zusehen, dass die Therapeuten, die zugelassen sind, auch ihre Kapazitäten ausschöpfen."

Auch müsse die Frage erlaubt sein, ob alle Therapien auch bedarfsgerecht erbracht werden. "Wir müssen in der Psychotherapie effektiver und effizienter werden", forderte Hustadt.

Das kam bei der Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Monika Konitzer nicht gut an. "Sie glauben doch nicht, dass es irgendeinem Psychotherapeuten Spaß macht, ständig am Telefon zu sitzen und zu sagen: Ich habe keinen Platz für sie."

Das Problem der langen Wartezeiten, das gerade im Ruhrgebiet virulent ist, könne nur durch die Schaffung zusätzlicher Therapieplätze gelöst werden, betonte Konitzer.

Um eine Chronifizierung der Erkrankungen zu verhindern, müssten die Patienten schneller in die Behandlung kommen als bisher.

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