Baden-Württemberg

Kampagne für natürliche Geburt

Mittlerweile wird in Deutschland fast jedes dritte Kind per Kaiserschnitt geboren. Experten zweifeln, dass dies medizinisch immer indiziert ist. Das Landessozialministerium in Baden-Württemberg will mit einer Informationskampagne gegensteuern.

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STUTTGART. Designerin und Ex-Spice-Girl Victoria Beckham hatte ihn viermal, und auch Carla Bruni-Sarkozy, Ehefrau des französischen Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, hat ihn schon hinter sich: den Kaiserschnitt.

Die beiden sind prominente Vertreterinnen eines Trends, der in den vergangenen 30 Jahren weg von der natürlichen Geburt führte. In diesem Zeitraum hat sich die Zahl der Schwangeren, die die Operation vornehmen ließen, verdoppelt. Kritiker sehen die steigenden Zahlen mit Sorge.

Rund 650.000 Frauen in Deutschland brachten nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamts im Jahr 2012 ein Kind im Krankenhaus zur Welt. Jede dritte Geburt war ein Kaiserschnitt.

Die Notwendigkeit so vieler Kaiserschnitte beantwortet das Sozialministerium in Baden-Württemberg mit "Nein" und startet deshalb eine Kampagne, um für eine Rückkehr zur natürlichen Geburt zu werben. Ein Kaiserschnitt sei keine "Geburt light", erklärt Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) in Stuttgart. Deshalb wolle man auch werdende Eltern für das Thema sensibilisieren.

Kaiserschnitt kostet rund 900 Euro mehr

Daniel Caroppo von der DAK Gesundheit sieht das ähnlich: "Es ist eine Operation mit den üblichen Risiken wie Narkoseproblemen, Infektionen, Thrombosen und lange anhaltenden Schmerzen."

Außerdem kostet ein Kaiserschnitt die Versicherer bis zu doppelt so viel wie eine natürliche Entbindung. 2014 kostet eine normale Geburt in Deutschland im Schnitt 1718 Euro und ein geplanter Kaiserschnitt 2672 Euro. Ein Notkaiserschnitt schlägt dann mit 3635 Euro zu Buche. Die Versorgung eines gesunden Babys direkt nach der Geburt kostet weitere 790 Euro.

Es ginge aber nicht um die Verurteilung von Kaiserschnitten, betonen Caroppo und eine Sprecherin des Sozialministeriums. Oft würden diese Eingriffe Leben retten und Schlimmeres verhindern. Nach Angaben des Ministeriums geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aber davon aus, dass ein Kaiserschnitt bei maximal 15 Prozent aller Geburten medizinisch unbedingt erforderlich sei.

Viele Mediziner würden nach dem Motto "Lieber ein Kaiserschnitt zu viel, als einer zu wenig" agieren, erklärt der Landesvorsitzende der Frauenärzte, Markus Hais. In seiner Praxis betreut er mehr als 500 Frauen im Jahr.

Sectiorate variiert zwischen 17 bis 46 Prozent

Die Angst vor Haftung spiele bei Ärzten und Hebammen in diesem Punkt eine nicht unerhebliche Rolle, sagt Maren Borgerding vom Hebammenverband. "Bei Kaiserschnitten sind die Geburtshelfer rechtlich viel besser abgesichert." Um sich zu schützen, gehen sie dann oft auf Nummer sicher.

"Ärzte haben einen Ermessensspielraum, den sie offensichtlich ganz unterschiedlich nutzen", sagt Caroppo. In Dresden würden beispielsweise nur 17 Prozent der Babys per Kaiserschnitt entbunden, während es im bayerischen Tirschenreuth mit 46 Prozent fast dreimal so viele seien. Er plädiert deshalb für einheitliche Richtlinien, um zu klären, wann der Eingriff notwendig sei und wann eben nicht.

Werdende Mütter beziehen oft Faktoren wie Angst vor Schmerzen oder den Auswirkungen auf den Beckenboden in die Entscheidungsfindung für oder gegen eine natürliche Entbindung ein, sagt Caroppo. Auch die Planbarkeit der Geburt sei für viele attraktiv.

Man müsse ganz behutsam zurücksteuern, findet Frauenarzt Hais. Es gebe in Deutschland eben auch ein gesellschaftliches Werteproblem: Der Wunsch mancher werdender Eltern nach dem "perfekten Timing" und dem "perfekten Kind" dürfe nicht unterschätzt werden, sagt der Mediziner. Vorbild seien oft Prominente - wie Victoria Beckham oder Carla Bruni-Sarkozy.

In den Vereinigten Staaten, wo eine ebenso hohe Kaiserschnittrate registriert wird, startete jüngst eine vergleichbare Initiative. Zwei Gynäkologenverbände haben dort ihre Mitglieder dazu aufgerufen, bei Geburten mehr Geduld walten zu lassen. (dpa)

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