Schwangerenversorgung

"Das Problem ist die Wissensüberflutung"

Eine jüngst vorgelegte Studie der Bertelsmann- Stiftung behauptet, Schwangere in Deutschland seien überversorgt. Im Interview mit der "Ärzte Zeitung" erklärt Gynäkologe Dr. Thomas Hollubetz, warum er sich darüber ärgert.

Von Anne Zegelman Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Dr. Hollubetz, fast alle Schwangeren nehmen einer Studie zufolge Vorsorgemaßnahmen in Anspruch, die in den Mutterschaftsrichtlinien gar nicht vorgesehen sind. Empfehlen Sie den von Ihnen betreuten Schwangeren routinemäßig weiterführende Untersuchungen und wenn ja, welche?

Dr. Thomas Hollubetz: Ja, aber ich empfehle nur Untersuchungen, die medizinisch sinnvoll sind und nicht in den Mu-Richtlinien vorgesehen sind, wie zusätzliche Blutuntersuchungen (zum Beispiel Toxoplasmose) oder US-Untersuchungen (NT-Sono), die Gefahren für die Gesundheit darstellen oder gefährlichere Untersuchungen wie Amniozentese vermeiden können.

Dr. Thomas Hollubetz

'Das Problem ist die Wissensüberflutung'

© privat

Studium der Medizin in Essen und Frankfurt

Niedergelassener Facharzt in Königstein / Taunus seit 1993

Leitung des allgemeinärztlichen Qualitätszirkels Königstein

"Baby-Fernsehen" oder 3D/4D-Ultraschalle wollen viele Schwangere, gerade in den ersten Monaten, wenn man das Kind noch nicht spürt. Sie dienen letztendlich der Mutter-Kind-Bindung.

Laut Studienautorin Rainhild Schäfers von der Bochumer Hochschule für Gesundheit fürchten Experten, dass die Schwangerschaft durch vermehrte Untersuchungen als etwas Krankhaftes und Behandlungswürdiges angesehen werde. Können Sie bei den Schwangeren eine wachsende Verunsicherung feststellen?

Hollubetz: Diese Aussage ist Blödsinn, da die fachlich kompetente Beratung eher Ängste abbaut denn schürt.

Das Problem ist die "Wissensüberflutung" durch das Internet, medizinisches Halbwissen oder Foren, in denen sich Unzufriedene meist negativ über alles Mögliche äußern, teilweise auch die schlechte Informationspolitik der Kassen.

Bei Fragen kann mich jede Schwangere jederzeit anrufen oder persönlich vorbei schauen.

Warte der Arzt eher ab, statt weiterführende Untersuchungen anzubieten, werde dies von den Frauen schnell als Unterlassung empfunden und lasse sie auf dem Markt nach Alternativen suchen, heißt es in der Studie. Gehört Überversorgung heute zur Konkurrenzfähigkeit?

Hollubetz: Konkurrenz belebt das Geschäft, was nichts mit Überversorgung zu tun hat, schließlich finanzieren wir unsere Praxen selbst — Stichwort "Vorhaltekosten" — und nicht die Krankenkassen. Unterlassung würde bedeuten, dass medizinisch Notwendiges nicht erbracht wird.

Da wir gerade in der Geburtshilfe immer mit der Gefahr des "Kunstfehlers" konfrontiert sind, gibt es Standards und Richtlinien, die die Mutter und Kind vor Schaden und uns vor Regress schützen.

Die Patienten erwarten zu Recht solche Standards und suchen sich, sollte man die Leistungen nicht anbieten, ansonsten einen anderen Arzt.

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