Verbände rügen

Teilhabegesetz ist ein "Spargesetz"

Das geplante Teilhabegesetz soll Menschen mit Behinderungen darin bestärken, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. Behindertenverbände sind von dem Entwurf enttäuscht.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:
Ausgenommen? Menschen mit Behinderung sollen stärker in die Gesellschaft integriert werden.

Ausgenommen? Menschen mit Behinderung sollen stärker in die Gesellschaft integriert werden.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN. Menschen mit Behinderung sollen künftig mehr Möglichkeiten erhalten, selbstbestimmt leben zu können. Dies ist das Ziel des Bundesteilhabegesetzes (BTHG).

Seit Ende April liegt hierzu der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vor. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte 2014 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Inhalte der Gesetzesinitiative erarbeitet hat.

Rund 24 Millionen Menschen mit schweren und drohenden Behinderungen leben in Deutschland. Die Reform der Eingliederungshilfe ist einer der Kernpunkte des Gesetzes.

Die Unterstützung können jene, die erheblich eingeschränkt sind, beim örtlichen Sozialamt beantragen. Die Ausgaben dafür steigen seit Jahren. 2013 lagen sie laut Statistischem Bundesamt bei rund 15,6 Milliarden Euro.

Unterstützung nach individuellem Bedarf

Bislang umfasste die Eingliederungshilfe fachliche und existenzsichernde Leistungen sowie ein Taschengeld. Auch war sie abhängig davon, ob der Betroffene zu Hause ambulant versorgt wurde oder in einem Heim wohnte.

Künftig soll sich die Unterstützung ausschließlich nach dem individuellen Bedarf richten und nicht mehr zwischen ambulant, teilstationärer und stationärer Wohnform unterscheiden.

Die Eingliederungshilfe konzentriere sich dann auf die reine Fachleistung, weitere existenzsichernde Leistungen orientierten sich an den Sozialgesetzen für Arbeitssuchende und zur Sozialhilfe.

Die Leitidee hinter der Reform, so heißt es auf einer BMAS-Website, sei aus dem einstigen "Fürsorgesystem" ein Teilhaberecht zu entwickeln. Demnach solle künftig nicht über Menschen mit Behinderungen bestimmt werden, sondern mit ihnen gemeinsam gehandelt werden.

Zu diesem Ansatz gehöre auch, dass sie sich an den Kosten beteiligen müssen, wenn ihr Verdienst bestimmte Einkommensgrenzen überschreite. Im Durchschnitt werde aber jeder Betroffene bis zu 300 Euro mehr pro Monat erhalten, wenn die Reform 2020 vollständig umgesetzt ist.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Mechthild Rawert sieht mit der Reform den Weg zu einem modernen Teilhaberecht geebnet.

Dazu gehöre auch, so heißt es in einer Pressenotiz, die Anrechnung von Einkommen und Vermögen auf den Prüfstand zu stellen.

Gromnica-Ihle: "Es ist beschämend"

Professor Erika Gromnica-Ihle, Präsidentin der Deutschen Rheuma-Liga, hingegen fordert, den angekündigten Eigenbetrag wieder zu streichen. Geschehe dies nicht, drohe vielen Betroffenen und ihren Angehörigen ein Leben an der Armutsgrenze.

"Es ist beschämend, dass die Bundesregierung ein Gesetzeswerk als modernes Teilhaberecht bezeichnet, das in erster Linie ein Spargesetz ist", sagt Gromnica-Ihle.

Auch der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) zeigt sich enttäuscht: In der vorliegenden Fassung seien von dem Gesetz Verschlechterungen im Vergleich zum ohnehin defizitären Recht der Eingliederungshilfe mit seinem überkommenen sozialhilferechtlichen Fürsorgeansatz zu erwarten.

Das geplante Artikelgesetz gilt als eines der größten sozialpolitischen Vorhaben der Bundesregierung und berührt auch gesundheitspolitische Handlungsfelder.

Es soll bis zum Jahr 2020 stufenweise in Kraft treten. Zum 1. Januar 2017 ist im ersten Schritt die Reform der bisherigen Eingliederungshilfe geplant.

Zentrale Regelungsinhalte

Eingliederungshilfe: Das künftig im SGB IX, Teil 2 geregelte Recht der Eingliederungshilfe wird personenkonzentriert und nicht mehr nach einer bestimmten Wohnform (ambulant, teilstationär oder stationär) ausgerichtet. Bestehende Betreuungsmöglichkeiten bleiben erhalten.

Die Einkommens- und Vermögensgrenzen für Personen, die erwerbstätig sind, werden stufenweise bis zum Jahr 2020 erhöht. Das Einkommen des Partners bleibt anrechnungsfrei.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden in Zukunft vom Leistungsträger geprüft.

Die Kommunen sollen im Umfang von fünf Milliarden Euro jährlich von der Eingliederungshilfe entlastet werden.

Die geplanten Haushaltsausgaben für das Bundesteilhabegesetz steigen stufenweise; für den Bund liegen sie 2017 bei 158 Millionen Euro und steigen bis zum Jahr 2020 auf 693 Millionen Euro.

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