Heftige Kritik

Teilhabegesetz fällt bei Betroffenen durch

Teilhabegesetz im Gegenwind: Menschen mit Behinderung wehren sich heftig gegen die geplante Reform.

Von Susanne Werner Veröffentlicht:

BERLIN. Der Entwurf zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) stößt bei Menschen mit Behinderungen auf heftige Kritik. "Die Reform steht unter dem Diktat des Geldes und stammt von denselben Verfassern wie die Hartz-IV-Gesetze", sagte Raul Krauthausen vom Verein Sozialhelden bei einer SPD-Veranstaltung im Bundestag. Er empfahl, das Gesetz zurückzuziehen und eine Denkpause einzulegen.

Dominik Peter, Vorstand im Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin, nannte es "ein schlecht formuliertes Gesetz". Falls es in Kraft trete, werde es "tausend Prozesse" auslösen.

Das BTHG gilt eines der größten sozialpolitischen Vorhaben in dieser Legislaturperiode. 2014 war eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt worden, an der Sozialversicherungsträger, Betroffene und ihre Verbände beteiligt waren. Der vorliegende Entwurf aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) löst die Erwartung jedoch nicht ein.

"Die Politik hat uns zwar beteiligt, aber nicht gehört", sagte Inklusions-Aktivist Krauthausen. Das BTHG werde die finanzielle Lage der behinderten Menschen nicht verbessern. Wer Assistenz oder Pflegeleistungen erhält, darf bislang bis zu 2.500 Euro ansparen.

Das Gesetz sieht vor, den Vermögensfreibetrag sukzessive anzuheben. Im ersten Schritt soll er 2017 auf 25.000 Euro, später auf 50.000 Euro steigen. Das Vermögen eines Partners wird dabei berücksichtigt. "Das bedeutet, kontrolliert arm zu bleiben", kritisierte Dominik Peter.

Kerstin Tack, behindertenpolitische Sprecherin der SPD, sieht in der geplanten Anrechnung von Vermögen eine Verbesserung. Positiv bewertet sie auch die unabhängige Beratung für die Betroffenen, die aus Bundesmitteln finanziert werden soll.

Zentral sei zudem, die Eingliederungshilfe aus dem System der Sozialhilfe herauszuführen. Der Paradigmenwechsel - weg vom Fürsorgedenken, hin zu einer echten Teilhabe - werde eingelöst. "Menschen mit Behinderungen sollen die Unterstützung bekommen, die sie für ein selbstbestimmtes Leben brauchen", sagte Tack.

Norbert Müller-Fehling vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen (BVKM) will ebenso an der Reform festhalten, sie jedoch in Teilen nachbessern. Vor allem die freie Wahl des Wohnortes sei besser abzusichern. Vorgesehen ist, die Unterstützung ausschließlich am individuellen Bedarf auszurichten und nicht mehr zwischen ambulant, teilstationärer und stationärer Wohnform zu unterscheiden. "Wer künftig stationär wohnen will, soll dies auch weiterhin tun können", sagte er.

Die Betroffenen sparten nicht mit Kritik. Das Gesetz verstoße gegen die Menschenrechte, trage zur Politikverdrossenheit bei und sei reine Kostendämpfung, lauteten die Vorwürfe. "Ich habe die Nase voll, dass Menschen uns vorrechnen, wie viel wir kosten", sagte eine Frau im Rollstuhl.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Rechtzeitig eingefädelt: Die dreiseitigen Verhandlungen zwischen Kliniken, Vertragsärzten und Krankenkassen über ambulantisierbare Operationen sind fristgerecht vor April abgeschlossen worden.

© K-H Krauskopf, Wuppertal

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“