AOK-Studie

Arztdichte steigt, Verteilung problematisch

Ärzte und Kassen ringen um die Deutungshoheit über das Ausmaß des Ärztemangels. In einem Punkt herrscht Einigkeit. Hausärzte werden in den kommenden Jahren dringend benötigt.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Arztdichte steigt, Verteilung problematisch

© Falk / fotolia.com

BERLIN. Seit 1980 hat sich die Arztdichte in Deutschland mehr als verdoppelt. Mit 4,1 praktizierenden Ärzten je 1000 Einwohner liegt die Bundesrepublik im internationalen Vergleich auf einem Spitzenplatz. Zu diesem Ergebnis kommt der Ärzteatlas des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Nach den aktuellen Regeln der Bedarfsplanung überträfen alle Arztgruppen ihr Soll um knapp ein Drittel. Es gebe keinen Ärztemangel, sondern Überversorgung, stellte das WIdO am Dienstag fest.

Dass dies nicht gleichzeitig auch für jede Region gilt, haben auch die AOK-Wissenschaftler im Blick. "Die Versorgungslage ist durch eine steigende Arztdichte, aber auch durch erhebliche Verteilungsprobleme gekennzeichnet.

Die Überversorgung in einigen Regionen bindet Ressourcen, die anderswo fehlen", sagte Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO am Dienstag. Daraus leitet das WIdO die politische Forderung ab, die ambulante Bedarfsplanung künftig sektorenübergreifend anzugehen. Schröder kündigte Untersuchungen zur sektorenübergreifenden Bedarfsplanung an.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) relativierte in einer ersten Stellungnahme die Berechnungen der AOK-Wissenschaftler. Zwar sei im vergangenen Jahr die Zahl der Vertragsärzte und -psychotherapeuten weiter gestiegen. Wegen des anhaltenden Trends zur Teilzeittätigkeit komme es allerdings nur zu einem unbedeutenden Plus geleisteter Arztstunden von 0,2 Prozent, sagte KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl am Dienstag.

Ausweislich der Ärztestatistik der KBV praktizierten 2015 in Deutschland 167.316 niedergelassene Ärzte und Psychotherapeuten. Ihre Zahl hat sich im Vergleich zu 2014 um 2369 erhöht. Weil gleichzeitig die Zahl der in Praxen angestellten Vertragsärzte in die Höhe schnelle - 2015 gab es ein Plus von 10,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf nunmehr 27.174 angestellte Vertragsärzte - komme lediglich ein Mehr an geleisteten Arztstunden von 0,2 Prozent zusammen, heißt es bei der KBV.

Die Zahl der Hausärzte ist 2015 auf 51.765 gesunken. Gegenüber 2009 praktizierten laut KBV damit 1170 Hausärzte weniger. Besonders betroffen seien das Saarland (minus 1,9 Prozent gegenüber 2014) und Schleswig-Holstein (minus 1,7 Prozent). Einen leichten Aufwuchs an hausärztlicher Versorgung verzeichnen dagegen Brandenburg (plus 1,1 Prozent), Hessen, Thüringen und Hamburg (unter 0,5 Prozent).

Das WIdO sieht die hausärztliche Versorgung mit einem Versorgungsgrad von 109,6 Prozent im Plus. Allerdings seien 44 Prozent der hausärztlichen Planungsbereiche überversorgt. Es gebe mehr Hausärzte, als im Rahmen der Bedarfsplanung nötig seien, sagte Schröder. Das WIdO räumt ein, dass ein Drittel der derzeit praktizierenden Hausärzte älter als 60 Jahre sei. Es werde also hausärztlicher Nachwuchs in den kommenden Jahren benötigt.

Im Gemeinsamen Bundesausschuss beraten Vertreter der Vertragsärzte, Kassen und Krankenhäuser derzeit eine neue ambulante Bedarfsplanung, ein Auftrag des Gesetzgebers aus dem vor Jahresfrist verabschiedeten Versorgungsstärkungsgesetz.

Der unparteiische Vorsitzende des Gremiums, Professor Josef Hecken, vertritt dazu eine klare Meinung. "Wir wissen, dass ärztliche Versorgung heute regelhaft nicht der Morbidität folgt", sagte Hecken vor kurzem im Interview mit der "Ärzte Zeitung". Ein Gutachten soll nun klären, wie es um die Versorgung in sozialen Brennpunkten bestellt ist. Erst auf Grundlage der in etwa zwei Jahren erwarteten Ergebnisse soll dann die ambulante Bedarfsplanung komplett neu entworfen werden. Für das Jahresende hat Hecken Korrekturen bei den Niederlassungsmöglichkeiten einiger Arztgruppen angekündigt, darunter auch für die Internisten.

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