Eigentlich ist Kosten-Nutzen-Bewertung einfach: Die Mehrkosten für ein neues Arzneimittel sollen nicht höher sein als der Zusatznutzen im Vergleich zur Standardtherapie. Unklar ist, wie das praktisch funktioniert.

Von Florian Staeck

Dr. Rainer Hess ist als Chef des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) geübt im Umgang mit Konflikten. Kürzlich hat er eine Liste mit Streitpunkten erstellt, die auf den GBA zukommen. Auf Platz 1: Die Kosten-Nutzen-Bewertung. Nach seiner Ansicht haben Politiker bei der Festlegung der Methoden für die Kosten-Nutzen-Bewertung "zumindest teilweise (...) ganz andere Vorstellungen, als sie zur Zeit im IQWiG entwickelt werden". Es gebe, sagte Hess an anderer Stelle, "eine extreme Diskrepanz zwischen Erwartung und Wirklichkeit".

Weitgehend unbekannte Methode wurde adaptiert

Wo Politiker sich von der Kosten-Nutzen-Bewertung geradezu einen nationalen Rahmen für die Entscheidung über die Mittelverwendung im Gesundheitswesen erhoffen, da sieht der GBA-Chef nur einen "ganz schmalen Steg". Zeit, die Erwartungen geradezurücken, bleibt genug: Denn bis zum ersten Arbeitsauftrag des GBA an das IQWiG dürfte es noch ein langer Weg sein. Der erste Entwurf des Instituts für eine Methodik der Kosten-Nutzen-Bewertung ist hoch umstritten.

Gesucht: Eine Vorgabe für die Bewertung neuer Arzneimittel.

Gesucht: Eine Vorgabe für die Bewertung neuer Arzneimittel.

© Foto: imago

Zur Erinnerung: Im Januar hat das Kölner Institut eine im internationalen Vergleich weitgehend unbekannte Methodik vorgestellt: Das Effizienzkurvenkonzept. Dieses scheinbar einfache Konzept ist im Jahr 1959 für die Optimierung von Aktien-Portfolios vom Ökonomen Harry S. Markowitz entwickelt worden, um eine optimale Kombination von Rendite und Risiko zu ermitteln.

Bei der Adaption durch das IQWiG sollen Kassen Hinweise für einen Höchstbetrag gegeben werden, den sie für ein neues Arzneimittel festsetzen können. Dafür wird auf der Y-Achse der Kurve der Nutzen bereits etablierter Verfahren abgebildet. Auf der X-Achse werden als relevant erachtete Kosten abgetragen. Aus dem Schnittpunkt ermittelt sich aus Sicht des IQWiG die Effizienzgrenze. Sie soll ein Maßstab sein, um den Höchstpreis für eine Arzneiinnovation zu bestimmen, die einen im Vergleich zum bisherigen Therapiestandard höheren Nutzen aufweist.

Das Echo von Experten auf den Vorschlag war überwiegend kritisch. Bis Ende März konnten sie Stellungnahmen einreichen, die jedoch bislang nicht vom Institut veröffentlicht worden sind. Im Mittelpunkt steht der Vorwurf, der IQWiG-Vorschlag sei international unerprobt und stelle einen deutschen Sonderweg dar.

Instituts-Vertreter reagierten gereizt: Chef-Gesundheitsökonom Dr. Peter Kolominsky-Rabas verwahrte sich gegen "Kritik aus dem Elfenbeinturm", die nicht die gesetzlichen Vorgaben berücksichtige. Professor Jaime Caro, Vorsitzender des internationalen Expertengremiums beim IQWiG, vermisste eine "ernsthafte wissenschaftliche Debatte" und nannte es "weltfremd", dass "Entscheider im Gesundheitswesen einen universalen Maßstab benötigen, um Entscheidungen treffen zu können".

Folgeversion wurde mehrfach verschoben

Seit dem Frühjahr warten Fachleute auf eine vom IQWiG überarbeitete Fassung des Methodenpapiers. "Das IQWiG hatte seine Folgeversion bereits für den Mai angekündigt. Dann wurde der Termin auf Juli verschoben, jetzt ist der September im Gespräch. Die genauen Gründe für die Verzögerung sind mir unbekannt", sagt Steffen Wahler vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller.

Dabei soll Version 1.1 zunächst nur "genauer und lesefreundlicher" werden, in den Grundaussagen aber "unverändert" sein, sagte IQWiG-Sprecherin Dr. Anna-Sabine Ernst auf Anfrage. Auf einen Termin wollte sie sich nicht festlegen. Allerdings sollen mit Version 1.1 alle Stellungnahmen sowie die von Experten lang erwarteten technischen Anhänge zu den Themen "Modellierung", "Kosten" und "Ergebnissicherheit" veröffentlicht werden. Derzeit läuft nach Angaben von Ernst noch das Vergabeverfahren für drei Machbarkeitsstudien, mit der die IQWiG-Methode im praktischen Einsatz überprüft werden soll. Welche Institute damit beauftragt werden, wollte die Sprecherin unter Verweis auf das laufende Verfahren nicht sagen.

Keine Angabe wollte das IQWiG auch dazu machen, wann die Version 2.0 vorliegen soll. Diese Fassung soll die Inhalte der Stellungnahmen vom März 2008 verarbeiten und Ergebnisse der Machbarkeitsstudien enthalten. Dann haben wieder Experten und Verbände Gelegenheit zur Stellungnahme, so dass eine finale Fassung der Methodik "im zweiten bis dritten Quartal 2009" publiziert werden könnte, sagte Ernst.

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