Leichtsinn und Sparwut auf Kosten von Patienten

Seit mehr als zwei Jahren streiten KBV und Kassen um eine Vergütung der intravitrealen Injektion - ohne Ergebnis. Sie fördern damit den wohl illegalen Off-Label-Use von Avastin® bei altersbedingter feuchter Makuladegeneration. Der Fall eines Augenarztes in Bayern zeigt, wie Mediziner ihre Existenz und das Leben von Patienten ruinieren können.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Das Symptom bei AMD: Nebel, wo das Auge fokussiert. Doch die Behandlung ist keine EBM-Leistung.

Das Symptom bei AMD: Nebel, wo das Auge fokussiert. Doch die Behandlung ist keine EBM-Leistung.

© Foto:dpa

Es war ein schwarzer Montag für einen Augenarzt aus Bad Kissingen - und für fünf seiner Patienten. Alle fünf behandelte dieser Arzt am 17. März wegen feuchter altersbedingter Makuladegeneration (AMD) mit dem dafür nicht zugelassenen Avastin®. Wenige Tage später hatten sich bei den Patienten Infektionen entwickelt, die in den Universitätskliniken Erlangen und Würzburg behandelt wurden. Diese Infektionen hatten irreversible Folgen: Bei keinem der Patienten liegt die Sehkraft des betroffenen Auges noch über zehn bis 15 Prozent, bei einem Patienten sind beide Augen schwer geschädigt.

Keine Aufklärung, unzulässige Auseinzelung

Im konkreten Fall, so Rechtsanwalt Dr. Michael Richter aus Marburg - er vertritt die Interessen der geschädigten Patienten - sind dem Arzt mehrere schwere Fehler unterlaufen:

  • In keinem Fall seien die Patienten über die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten aufgeklärt worden. Zur AMD-Behandlung gibt es mehrere Optionen, darunter das seit Anfang vergangenen Jahres zugelassene Lucentis®, das allerdings mit rund 1500 Euro für eine Injektion relativ teuer ist. Vor der Zulassung von Lucentis® war der Off-Label-Use mit Avastin® möglich, das zugelassene Indikationen nur in der Krebstherapie hat. Der Einsatz von Avastin® bei AMD kostet nur rund 50 Euro.
  • Die verschiedenen Spritzen hat der Arzt nach Darstellung von Richter aus derselben Ampulle aufgezogen und damit den Hinweis des Herstellers missachtet, Arzneimittelreste nach Anbruch der Ampulle stets zu verwerfen. Das könnte als nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch von Arzneimitteln gewertet werden.

Seit Juni ermittelt die Staatsanwaltschaft Schweinfurt gegen den Arzt wegen schwerer Körperverletzung. Dabei muss auch geklärt werden, ob der Augenarzt die strengen Hygienebedingungen erfüllt hat.

Für den betroffenen Arzt könnte der Fall in den wirtschaftlichen Ruin führen. Neben strafrechtlichen Konsequenzen muss er mit hohen Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen der Patienten rechnen. Weil er ein Arzneimittel eingesetzt hat, das für die Indikation AMD nicht zugelassen ist, scheidet eine Haftung des Herstellers aus. Die fehlende Aufklärung der Patienten und die unzulässige Auseinzelung könnten als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden - die Berufshaftpflicht könnte sich weigern, den Schaden zu regulieren. Das würde aber auch bedeuten, dass die Schadensersatzansprüche der Patienten weitgehend ins Leere laufen.

Immer noch Blockade bei KBV und Kassen

Das Unglück hat eine politische Ursache: die mangelnde Einigungsfähigkeit von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Spitzenverband Bund der Krankenkassen. Noch immer gibt es keine Gebührenordnungsposition im EBM für die intravitreale Injektion. Für neue EBM-Leistungen fordert die KBV eine entsprechende Budgetaufstockung, die die Kassen neuerdings unter Hinweis auf den Gesundheitsfonds gegenwärtig pauschal ablehnen. "Das ist der eigentliche Skandal", so Dr. Stefan Etgeton, der als Patienten- und Versichertenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss sitzt. Die Verbraucherzentrale intervenierte im Februar bei KBV, Kassen und Bundesgesundheitsministerium. Die Kassen antworteten gar nicht, die KBV verwies auf laufende Studien, das Ministerium verbreitete im April Hoffnung auf eine Einigung innerhalb weniger Wochen. Geschehen ist nichts.

Stattdessen wird auf Zeit gespielt: Patienten müssen Anträge auf Kostenerstattung stellen, eine Reihe von Kassen lockt die Ärzte mit fragwürdigen Vertragsgestaltungen in den wahrscheinlich illegalen Off-Label-Use mit Avastin®. Sie bieten den Ärzten eine Pauschale, die die Kosten für Behandlung und Medikation decken soll. Für den Arzt wirtschaftlich tragbar ist das allerdings nur, wenn er statt Lucentis® und anderer zugelassener Arzneimittel das Krebsmedikament Avastin® verwendet.

Lesen Sie dazu auch: Mit dem Off-Label-Use begibt sich der Arzt in eine heikle Lage

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