Kosten-Nutzen-Bewertung -  cui bono?

Kern der Auseinandersetzung über die künftige Kosten-Nutzen-Bewertung ist die Frage, ob dabei der Blickwinkel der Gesellschaft oder der betroffenen Patienten eingenommen werden soll.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Arzneimittel sind Gegenstand vielfältiger staatlicher Regelungen. Nun will der Gesetzgeber auch das Verhältnis von Kosten und Nutzen ermitteln.

Arzneimittel sind Gegenstand vielfältiger staatlicher Regelungen. Nun will der Gesetzgeber auch das Verhältnis von Kosten und Nutzen ermitteln.

© Foto: imago

Davon geht Professor Peter Sawicki aus, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). "Man muss sich überlegen, für wen die Bewertung einen Nutzen stiften soll", sagte Sawicki bei einer Veranstaltung der KV Nordrhein.

Das IQWIG will die Kosten-Nutzen-Bewertung an einzelnen Erkrankungen ausrichten, das ist der sogenannte indikationsspezifische Ansatz. Das wird von Gesundheitsökonomen kritisiert, die statt der isolierten Betrachtung einzelner Indikationen einen übergreifenden Ansatz befürworten. Den Gesundheitsökonomen gehe es um den Nutzen für die Gesellschaft, das IQWIG stelle den einzelnen Patienten in den Mittelpunkt, sagte Sawicki.

Sawicki sieht den QALY-Ansatz mit Skepsis

Er hält es für kaum möglich, mit einem Messwert über alle Indikationen zu arbeiten, wie es die indikationsübergreifende Kosten-Nutzen-Bewertung erfordere. "Man sollte sich nicht auf den Irrweg begeben, den Nutzen eines Hörscreenings für Neugeborene mit dem Nutzen einer Therapie gegen die Metastasierung des Bronchialkarzinoms vergleichen zu wollen."

Die Arbeit mit einem festen Betrag, den der Zusatznutzen kosten darf, so wie es das britische NICE-Institut über das Konzept des QALY (Quality Adjusted Life Year) macht, sieht der IQWIG-Chef skeptisch. "Der gleiche Betrag benachteiligt chronische und schwere Erkrankungen", sagte er. "Es geht nicht um Gleichheit, sondern um Gerechtigkeit."

Für die Gesundheitsökonomen stehe der gesellschaftliche Nutzen im Vordergrund, sagte Professor Jürgen Wasem. "Es gibt eine ethische Verpflichtung, aus einem begrenzten Budget ein Maximum an Nutzen herauszuholen." Das Bundesgesundheitsministerium habe zwar den indikationsspezifischen Ansatz gestützt, räumte Wasem ein. Diese Schlacht brauche man nicht mehr zu schlagen. "Aber ich will weiter dafür werben, dass sich der Gesetzgeber und der Gemeinsame Bundesausschuss das noch einmal überlegen", sagte Wasem.

In den vergangenen Monaten habe sich der Dissens zwischen dem IQWIG und den Gesundheitsökonomen in einigen Punkten bereits entschärft, nicht zuletzt durch die Veröffentlichung der Version 1.1 des Methodenpapiers inklusive der technischen Anhänge.

Der Gesundheitsökonom plädierte dafür, bei der Kosten-Nutzbewertung zusätzlich zum indikationsspezifischen Vorgehen immer auch das QALY-Konzept hinzuzuziehen, auch wenn es dabei tatsächlich Weiterentwicklungsbedarf gebe. Grundsätzlich dürfe die neue Methodik nicht auf reine Rechenverfahren beschränkt werden, forderte Wasem. "Wenn die Kosten-Nutzen-Bewertung Basis für Leistungsausgrenzungen sein soll, bedarf es zwingend werturteilsbehafteter Entscheidungen über die Zahlungsbereitschaft für den medizinischen Fortschritt."

Wasem erneuerte seine Kritik daran, dass das IQWIG mit dem Modell der Effizienzgrenze auf den bisherigen Preisen für Arzneimitteln aufsetze. "Das führt dazu, dass der gleiche Zusatznutzen zu unterschiedlichen Erstattungshöchstbeträgen führt, je nachdem wo wir uns preislich befinden", sagte er. "Das finden wir ethisch problematisch." Zudem werde den Herstellern damit der Anreiz genommen, in Gebieten mit niedrigem Preisniveau noch zu forschen.

Konzept der Effizienzgrenze -  Bremse oder Ansporn?

Nach Ansicht von Sawicki gibt es dagegen zur Arbeit mit den bisherigen Preisen keine Alternative. Seiner Einschätzung nach werden Hersteller durch die Effizienzgrenze motiviert, neue Wege in der Forschung zu gehen und sich stärker auf schwere Erkrankungen wie die Multiple Sklerose zu konzentrieren. Der Grund: Finden sie Mittel ohne therapeutische Alternative, ist der Zusatznutzen so hoch, dass die Unternehmen die Preise festsetzen können. "Bisher lohnte es sich für sie nicht, Risikokapital einzusetzen", so Sawicki.

KNB ist vorerst keine Kosten-Bremse

Kosten-Nutzen-Bewertungen (KNB) und darauf basierende Erstattungshöchstbeträge für Arzneimittel werden auf absehbare Zeit keinen Beitrag zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs leisten. Davon geht die Bundesregierung aus. Das IQWiG wird frühestens bis Mitte 2009 ein neues Methodenpapier zur KNB fertiggestellt haben; erst dann kann der Gemeinsame Bundesausschuss dem Institut Evaluierungsaufträge erteilen.

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Leitartikel zu Geheimpreisen für neue Arzneimittel

Kosten und Nutzen

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