Diamorphin auf Kassenkosten - Süchtige brauchen noch Geduld

Grünes Licht vom Bundestag: Kassen müssen künftig für Heroin auf Rezept bezahlen. Doch ungeklärt ist, ab wann.

Denis NößlerVon Denis Nößler Veröffentlicht:

Ein Lichtblick für Menschen, die seit Jahren schwer heroinabhängig sind: Sie können auf eine Substitution mit Diamorphin hoffen, nachdem der Bundestag am Donnerstag ein entsprechendes Gesetz beschlossen hat. Der Spitzenverband der Krankenkassen begrüßt das Urteil: "Die Abstimmung hat nach einer zehnjährigen Diskussion endlich Klarheit gebracht", sagte die Sprecherin Ann Marini der "Ärzte Zeitung".

Die Kommunen reagierten mit Erleichterung. So hieß es in einer Mitteilung von Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU): "Es ist ein wegweisender Beschluss und ein Erfolg der Frankfurter Drogenpolitik." Frankfurt hat als eine von sieben Städten seit 2002 an dem Diamorphin-Modellprojekt teilgenommen.

Experten vermuten, dass noch Zeit ins Land geht

Auf Anfrage äußerte ein Sprecher Roths allerdings die Einschätzung, dass die Regelversorgung erst 2010 anlaufen werde. So müsse vorher etwa der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine entsprechende Richtlinie beschließen.

Dr. Rainer Hess, Vorsitzender des G-BA, zeigte sich im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" zuversichtlich: "Das Gesetz enthält einen klaren Auftrag an den G-BA." Den werde man umsetzen, auch wenn der Gesetzgeber Spielraum zur Interpretation lasse. Denkbar wäre laut Hess eine Methodenbewertung. Der Nutzen der Behandlung müsste dann erneut untersucht werden. Dass es dazu kommt, ist aber nicht wahrscheinlich. "Den öffentlichen Druck nehmen wir wahr, und wir werden ihn entsprechend bewerten", so Hess.

In der Debatte am vergangenen Donnerstag wurden auch die Stimmen laut, die sich gegen die Neuregelung wandten. Die Union sperrte sich dagegen, die Diamorphin-Abgabe von den Kassen bezahlen zu lassen. Abgeordnete von CSU und CDU brachten einen eigenen Gesetzentwurf ein, in dem sie die Fortführung des Modellprojekts forderten. Der Gesundheitsexperte der CDU, Jens Spahn, kritisierte Unklarheiten in dem beschlossenen Gesetz. Weder werde die Frage beantwortet, wie die Abhängigen von ihrer Sucht loskommen sollen, noch seien Regelungen gegen Beikonsum getroffen worden. Zudem kritisierte er, dass mit der Neuregelung bis zu 80 000 Patienten "Heroin auf Rezept" bekämen. Diesen Vorwurf wies Dr. Carola Reimann, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, zurück. Nach den Kriterien des Gesetzes kämen lediglich 2000 bis 3000 Patienten dafür infrage.

Wollen Opiatabhängige künftig an der Diamorphin-Abgabe teilhaben, müssen etliche Kriterien erfüllt sein. So sieht das Gesetz ein Mindestalter von 23 Jahren und zwei erfolglos vorangegangene Behandlungen vor. Eine davon muss mindestens sechs Monate gedauert und eine psychosoziale Therapie enthalten haben. Außerdem müssen die Betroffenen seit mindestens fünf Jahren abhängig sein, verbunden mit schweren "somatischen und psychischen Störungen".

Strenge Kriterien für Ärzte, Patienten und Einrichtungen

Auch für Ärzte und Einrichtungen gelten hohe Hürden. So dürfen nur Einrichtungen die Behandlung anbieten, die eine spezielle Genehmigung haben. Die Ärzte müssen suchttherapeutisch qualifiziert sein. Das Mittel darf nur intravenös verordnet werden und es muss vor Ort eingenommen werden. Zudem muss es direkt von den Herstellern bezogen werden.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ein Sieg der Emanzipation

Für Verschiebung: Carola Reimann, SPD

Auszüge aus einer emotionalen Bundestagsdebatte

Die Süchtigen haben Klarheit verdient

Es spricht für die politische Kultur in diesem Haus, dass wir - bei aller Konkurrenz - in der Lage sind, bei einzelnen Fragen über Fraktionsgrenzen hinweg gemeinsam Gesetze auf den Weg zu bringen. (…)

Hinter diesem Entwurf stehen auch die CDU-geführte Städte, denn es geht darum, Schwerstheroinabhängigen wieder eine Perspektive zu eröffnen. Diesen schwer erkrankten Menschen sind wir verpflichtet. (…)

Von einem Ansturm kann bei 2000 bis 3000 potenziellen Patienten keine Rede sein. (…)

Es ist höchste Zeit, dass wir die Behandlung auf eine gesicherte gesetzliche Grundlage stellen.

Dr. Harald Terpe, drogen- und suchtpolitischer Sprecher der Grünen.

Dr. Harald Terpe, drogen- und suchtpolitischer Sprecher der Grünen.

© Foto: Grüne

Hinter der Statistik stecken Schicksale

Ich wende mich ausdrücklich an diejenigen, die ihren Wahlkreis in den Modellstädten haben, weil ich möchte, dass die Diamorphin-Behandlung auch mit ihrer Unterstützung zu einem Bestandteil der Regelversorgung wird. (…)

Dieses Gesetz stellt nur einen ersten wenn auch entscheidenden Schritt dar, die Versorgung der Abhängigen zu sichern. Die Behandlung eröffnet die Möglichkeit auf ein Leben nach Heroin, bis hin zur Abstinenz. Oftmals ist sie die letzte Chance auf ein Weiterleben überhaupt. (…)

Ich bitte Sie um breite Zustimmung, um die jahrelange Diskussion zu einem guten Ende zu bringen.

Wir streiten über das Wie und nicht das Ob

Jens Spahn, Gesundheitsexperte der CDU

Jens Spahn, Gesundheitsexperte der CDU

© Foto: Bundestag

Wir sollten uns nicht gegenseitig absprechen, dass wir alle das Beste für die Schwerstabhängigen wollen. (…)

Und es muss möglich sein, offene Fragen vorzubringen. Davon gibt es eine ganze Reihe, wie die Einschlusskriterien, die zahlenmäßige Begrenzung, die Abstinenzorientierung, den Beikonsum. (…)

Deswegen schlagen wir vor, diese offenen Fragen in einem Modellprojekt weiter zu klären. Wir hätten es möglich gemacht, dass wir in diesem Modellprojekt neue Erkenntnisse gewinnen. (…)

Das Bedauerliche ist, dass Sie das Kompromissangebot ausschlagen. Es hätte auch anders gehen können.

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