Interview

"Nur was besser ist, soll erstattet werden"

Die Krankenhäuser sollten künftig auf "Klasse statt Masse" setzen, fordert die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Ein neues Konzept der Kassen sieht daher vor, vermeintliche Innovationen erst auf ihren Nutzen hin zu überprüfen. Geschehen soll dies an ausgewählten Zentren.

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Dr. Doris Pfeiffer

Aktuelle Position: seit Juli 2007 Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands

Ausbildung/ Werdegang: Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität zu Köln und Pennsylvania State University, Pennsylvania/USA, anschließend Promotion

Karriere: Referentin beim AOK-Bundesverband und Deutsche Krankenhausgesellschaft sowie Lehrauftrag an der Kölner Schule - Institut für Publizistik. Seit 2001 Lehrauftrag an der Fachhochschule Oldenburg, Wilhelmshaven/Emden für den Weiterbildungsstudiengang "Public Health". Darüber hinaus Vorstandsvorsitzende des Verbands der Angestellten-Krankenkassen.

Ärzte Zeitung: Frau Pfeiffer, Kliniken gelten als Motor für Innovationen - haben Sie Bedenken, was deren tatsächlichen Nutzen angeht?

Doris Pfeiffer: Bei einigen neuen medizinischen Verfahren hatte sich leider erst nach Einführung herausgestellt, dass sie für Patienten sogar schädlich sind. Das zentrale Problem ist, dass es für neue Methoden keine verpflichtende wissenschaftliche Bewertung des Nutzens gibt.

Nach wie vor gilt im Krankenhaus der Verbotsvorbehalt: Eine Prüfung des Nutzens durch den Gemeinsamen Bundesausschuss erfolgt - wenn überhaupt - erst lange nach Einführung einer Methode. Und dann nur auf Antrag.

Ärzte Zeitung : Was muss sich also ändern?

Pfeiffer: Künftig muss bei neuen medizinischen Methoden besser darauf geachtet werden, dass sie tatsächlich einen patientenrelevanten Nutzen bringen und nicht ein zusätzliches Risiko diesen Zusatznutzen übersteigt.

Gleichzeitig gibt es eine ganze Reihe von Verfahren, bei denen die Kassenärztliche Bundesvereinigung seit langem einfordert, diese auch für den ambulanten Bereich zuzulassen.

Häufig gibt es aber keine Studien, die den Nutzen dieser Therapie belegen, denn den Krankenhäusern fehlt der Anreiz, dazu Studien durchzuführen.

Der Vorschlag seitens der Kassen ist es, künftig neue Methoden zunächst in sogenannten Innovationszentren prüfen zu lassen. Nur was für den Patienten mit Sicherheit besser ist, soll auch über die neuen Innovationszentren hinaus in der Fläche eingeführt werden.

Ärzte Zeitung: Was versprechen Sie sich davon?

Pfeiffer: Vor allem eine bessere und sicherere Patientenversorgung, da die Entscheidung des GBA auf der Grundlage qualitativ hochwertiger Studien fallen wird. Die Qualität der Versorgung soll dadurch mehr in den Vordergrund gerückt werden. Gleichzeitig wollen wir sicherstellen, dass den Patienten möglichst schnell auch Innovationen zur Verfügung gestellt werden.

Und mit der entsprechenden Studienlage könnten diese - soweit sie geeignet sind - oftmals schneller als heute auch im ambulanten Sektor eingeführt werden.

Verbotsvorbehalt versus Erlaubnisvorbehalt

Kritiker bemängeln nach wie vor die unterschiedlichen Regelungen für Innovationen in Praxis und Klinik. Dies sorgt bereits seit Jahren Unmut.

Im ambulanten Bereich gilt immer noch der Erlaubnisvorbehalt: Vertragsärzte müssen bei neuen Therapien erst auf die Genehmigung durch den Gemeinsamen Bundesausschusses warten. In Kliniken hingegen sind neue Therapien so lange erlaubt, bis sie - auf Antrag -von der Erstattung ausgeschlossen werden (Verbotsvorbehalt).

Nach Ansicht der Kassen ist dies für die Patienten riskant. Befürworter sehen in Krankenhäusern einen Motor für Innovationen. Nach Meinung des GKV-Spitzenverbands soll nun aus dem Verbotsvorbehalt ein Prüfvorbehalt werden.

Ärzte Zeitung: Kritiker beschwören aber - sollte ihr Vorschlag umgesetzt werden - bereits das Ende der Innovationen in der Medizin herauf.

Pfeiffer: Nein, das wird nicht passieren. Innovationszentren und hochwertige Studien befördern Innovationen und behindern sie nicht. Ich glaube, dass Forscherdrang und Innovationen in Krankenhäusern dadurch sogar gestärkt werden.

Ärzte Zeitung: Und wie wollen Sie Innovationen künftig ins System bringen?

Pfeiffer: Ein Ampelsystem soll die Zulassungen steuern. Wird in der Frühbewertung festgestellt, dass die neue Methode hoch riskant und gefährlich ist, dann sollte sie erst gar nicht in die Versorgung gelangen. Ist bereits aufgrund von Studien nachgewiesen, dass tatsächlich ein patientenrelevanter Nutzen vorliegt, dann soll die Methode gleich in die Versorgung gelangen.

Für alle übrigen soll eine Überprüfung des Nutzens in Studien erfolgen. Und das muss dann schnell gehen.

Ärzte Zeitung: Experten bemängeln jedoch, dass Innovationen nur an bestimmten Standorten zur Verfügung stünden - und damit nicht mehr allen Patienten.

Pfeiffer: Es sollen nicht einzelne Standorte dauerhaft ausgewählt werden. Jede Klinik, Abteilung oder auch jedes Behandlungszentrum, das bereit und kompetent ist an einer kontrollierten Studie teilzunehmen, könnte behandeln und wäre dann für diese neue Methode eines der Innovationszentren.

Schon heute gibt es vielfach multizentrische Studien, das heißt an mehreren Standorten wird gleichzeitig geforscht. Außerdem hat auch ein Umdenken in der Bevölkerung stattgefunden: Es geht nicht mehr darum, jede Methode in jedem Krankenhaus anzuwenden.

Viel wichtiger ist, dass die Anwendung unter qualifizierten Bedingungen erfolgt und dafür dann möglicherweise auch weitere Wege in Kauf genommen werden müssen.

Ärzte Zeitung: Für wie realistisch halten Sie die Umsetzung?

Pfeiffer: Natürlich wird es Vorbehalte bei den Krankenhäusern geben. Einige werden sich dennoch an die Spitze der Bewegung setzen. Denn die Investition in die Qualität der eigenen Leistungen ist gleichzeitig eine Investition in die eigene Zukunft.

Eine solche Orientierung auf die Zukunft ist für die Krankenhäuser dringend notwendig. Die Erwartung, dass die demografische Entwicklung automatisch zu mehr Krankenhausfällen führt, ist sehr fraglich. Schon heute liegt die Verweildauer bei mehr als 2,5 Millionen Krankenhausfällen bei nur einem Tag.

Das könnten morgen schon ambulante Fälle sein. Klasse statt Masse wäre nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch für die Patienten der bessere Weg.

Das Interview führte Sunna Gieseke.

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