Hintergrund

Experten sehen Krebsarzneien im AMNOG unzureichend bewertet

Die Schnellbewertung neuer Arzneimitteln, wie sie im AMNOG vorgesehen ist, taugt nicht als Instrument zur Preisfindung bei Krebsmedikamenten. Mit dieser These fordern Ärzte und Forscher zusätzliche unabhängige Post-Zulassungsstudien.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Zubereitung von Zytostatika in einer Krankenhausapotheke.

Zubereitung von Zytostatika in einer Krankenhausapotheke.

© Frey/imago

Bei der Bewertung von Krebsarzneimitteln besteht im Arzneimittelmarkt-Neuordnungs-Gesetz (AMNOG), das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist, Nachbesserungsbedarf: Eine Gruppe von Wissenschaftlern und Patientenvertretern versucht derzeit darauf hinzuwirken, die Akte AMNOG noch einmal aufzuschnüren und für die Onkologie zu ergänzen.

"Der wesentliche Erkenntnisgewinn zu einer Arznei entsteht nach der Zulassung", sagte Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, bei der Vorstellung eines Thesenpapiers in Berlin.

Er und seine Kollegen sprechen nicht für ihre jeweiligen Universitäten und Institutionen, sondern für den Gesprächskreis "Versorgungsqualität in der Onkologie".

Dieser Arbeitskreis, dem Vertreter aus Wissenschaft und Gremien wie der Arzneimittelkommission, Deutsche Krebsgesellschaft, Berufsverband der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) sowie der Patientenselbsthilfe angehören, hat sich eine bessere Versorgungsqualität in der Onkologie zum Ziel gesetzt.

Ludwig und weitere Repräsentanten des Kreises fürchten, dass das neue Gesetz die unabhängige Versorgungsforschung für ihr Fach unterdrückt. Ganz im luftleeren Raum bewegt sich die Arbeit der Gutachter nicht.

Die Expertise entstand im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums, floss aber nicht in das neue Arzneimittelgesetz ein. Ob dahinter eine Strategie des Ministeriums steckte, wollten die Wissenschaftler nicht kommentieren.

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Fest steht, dass die offizielle Vorstellung der Studie "Sicherstellung einer effizienten Arzneimittelversorgung in der Onkologie" im Bundesgesundheitsministerium kühl ausgefallen war.

Autoren der Expertise sind neben Ludwig die Professoren Gerd Glaeske, Eberhard Wille, Klaus Höffken, Matthias Schrappe und Lothar Weißbach.

BMG-Staatssekretär Stefan Kapferer bezeichnete das Gutachten nüchtern "als wichtige Diskussionsgrundlage für die weitere Arbeit im Nationalen Krebsplan". Über die Verwendung der Ergebnisse für die gesetzgeberische Arbeit sagte Kapferer nichts.

Dabei müsste das im AMNOG beschriebene Verfahren nach Meinung der Experten dringend ergänzt werden. Denn ohne unabhängige klinische Post-Zulassungsstudien tappten die Ärzte im Dunkeln.

"Zum Zeitpunkt der Zulassung ist die therapeutische Einordnung einer Arznei nicht bekannt", sagte Privatdozent Dr. Stephan Schmitz, der dem BNHO vorsteht. Die Studienergebnisse würden der Öffentlichkeit nicht vollständig bekannt gemacht.

Die Unsicherheit der behandelnden Ärzte rühre auch daher, dass von den rund 30 im Jahr neu zugelassenen onkologischen Arzneien mehr als 20 keinen Zusatznutzen im Vergleich zu den vorhandenen Mitteln aufwiesen, meinte Ludwig.

Der sei aber angesichts der zu erwartenden Zunahme von Krebserkrankungen und der Kostenexplosion in der Onkologie notwendig. Vor 30 Jahren habe eine onkologische Behandlung noch 100 Mark im Monat gekostet. Heute fielen bis zu 6000 Euro an.

Unbefriedigend sei, dass die Zulassungsstudien zunehmend Surrogatparameter wie "progressionsfreies Überleben" und "time to progression" wählten.

Diese berücksichtigten jedoch die Lebensqualität der Patienten in der ihnen verbleibenden Zeit nicht. Für Ärzte und Patienten seien solche Studien daher wertlos.

Weil die Daten der Zulassungsstudien nicht geeignet seien, das Nutzen- und Schadenspotenzial neuer Arzneien unter Alltagsbedingungen zu bewerten, sollte die vom AMNOG vorgesehene Schnellbewertung des Nutzens nicht Grundlage der Preisfestlegung sein, so eine Forderung des Thesenpapiers.

Sie solle nur dazu dienen, die offenen, versorgungsrelevanten Fragen zu identifizieren, um dann industrieunabhängige klinische Studien aufzulegen.

Die so gewonnenen Daten könnten dann einer am Patientennutzen orientierten Preisfindung zu Grunde gelegt werden. Das spiele die Kosten der Studien zumindest teilweise wieder herein.

Die Kosten für Onkologika zu Lasten der GKV sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Im Jahr 2009 haben die Kassen laut Arzneiverordnungsreport 974 Millionen Euro für Zytostatika ausgegeben.

Das entspricht einem Plus von 13,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Ausgaben für Zytostatika-Rezepturen beliefen sich auf 1,7 Milliarden Euro, 9,9 Prozent mehr als im Jahr 2008.

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