IGES-Institut: Zeiten stark steigender Arzneiausgaben sind vorbei

Spargesetze und die frühe Nutzenbewertung werden dafür sorgen, dass die Arzneimittel-Ausgaben der GKV jährlich nur noch um etwa zwei Prozent steigen. Davon geht das IGES-Institut aus. Doch die Preisverhandlungen haben auch weitreichende Folgen für das Arzt-Patienten-Verhältnis.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Der Arzneimittelmarkt ist zuletzt im vergangenen Jahr umfassend reformiert worden. Im Zentrum dabei stand die frühe Nutzenbewertung.

Der Arzneimittelmarkt ist zuletzt im vergangenen Jahr umfassend reformiert worden. Im Zentrum dabei stand die frühe Nutzenbewertung.

© imago / blickwinkel

DÜSSELDORF. Die Zeiten stark steigender Arzneimittel-Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen sind vorbei - vorausgesetzt, es gibt keine Sondereffekte wie einen Durchbruch in der medikamentösen Alzheimertherapie.

Jährliches Wachstum von etwa zwei Prozent

Davon geht der Leiter des Berliner IGES-Instituts Professor Bertram Häussler aus. "In der langfristigen Prognose werden wir ein jährliches Wachstum der Arzneimittel-Ausgaben von etwa zwei Prozent haben", sagte Häussler bei einer Diskussionsveranstaltung in Düsseldorf aus Anlass der Präsentation des Arzneimittelatlasses 2011.

Häussler nannte den wesentlichen Grund für die voraussichtliche Abflachung der Ausgabendynamik: Der Mehrverbrauch an Arzneimitteln, der in den vergangenen Jahren ein starker Kostentreiber war, spielt keine Rolle mehr, weil bei vielen Indikationen wie der Hypertonie inzwischen ein hoher Versorgungsgrad erreicht sei. "Wir haben keinen Nachholbedarf mehr", sagte er.

Acht Wirkstoffgruppen wurden geprüft

Nach einer Untersuchung des IGES haben die Krankenkassen in den vergangenen Jahren vor allem für solche Arzneimittel mehr bezahlt, die auch einen höheren Zusatznutzen hatten. Das Institut hat acht Wirkstoffgruppen geprüft, die mindestens zehn Jahre im Markt sind.

Die Wissenschaftler haben die Wirksamkeit ins Verhältnis zur Schwere der Erkrankung gesetzt, den Zusatznutzen gegenüber einer Vergleichstherapie ermittelt und den Zusatznutzen in Korrelation zur Preisentwicklung betrachtet. "Ein höherer Zusatznutzen geht mit höheren Kosten für die Arzneimitteltherapie einher", nannte Häussler ein zentrales Ergebnis.

Bei der mit dem Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) auf den Weg gebrachten frühen Nutzenbewertung und den auf ihr basierenden Preisverhandlungen wird es nach Häusslers Erwartung vor allem um die Frage gehen, für welche Patientengruppen die höchste Effektivität erzielt wird.

Therapiehinweise für Ärzte können zu Konflikten führen

Als Folge werde es Therapiehinweise für Ärzte geben. Künftig müssten Ärzte den Patienten dann bei der Indikationsstellung sagen, dass sie nicht zu der Gruppe gehören, bei der das Mittel die höchste Effektivität hat. "Wir werden dadurch Konflikte auf der arzt-patienten-individuellen Ebene bekommen, wie wir sie bis jetzt nicht kannten."

Nach Einschätzung von Dr. Peter Potthoff, Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein, wird ein weiterer Faktor künftig das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinflussen: die Möglichkeit für die Pharmaindustrie, sich an Verträgen zur integrierten Versorgung zu beteiligen.

Die direkten Verhandlungen zwischen Kassen und Unternehmen werden die Ärzte in eine neue Rolle drängen, erwartet Potthoff. "Kostenträger und Industrie verhandeln über Arzneimittel und suchen sich dann die passenden Ärzte dazu."

Finanzielle Aspekte stehen im Vordergrund, so Knollmeyer

Dr. Johannes Knollmeyer von Sanofi-Aventis Deutschland kritisierte, dass bei der frühen Nutzenbewertung finanzielle Aspekte im Vordergrund stehen. "Eigentlich sollte doch das Ziel sein, dass Patienten, die von einem Arzneimittel profitieren, es auch bekommen können."

Knollmeyer hält direkte Gespräche zwischen Unternehmen und Krankenkassen für sinnvoller. "Kassen und Pharmaindustrie könnten sich über die Versicherten verständigen, die von einem Arzneimittel profitieren würden, und dann über Preise und Mengen verhandeln."

"Das Instrument erst einmal annehmen und die ersten Ergebnisse abwarten."

Solche Vereinbarungen könnten aktuell nachgebessert werden. Sie hätten einen wichtigen Vorteil: "Dann gibt es keinen Grund mehr, den Arzt in die Haftung zu nehmen", sagte er.

Dirk Ruiss, stellvertretender Leiter des Ersatzkassenverbands vdek in Nordrhein-Westfalen warnte davor, die frühe Nutzenbewertung schlecht zu reden, bevor sie überhaupt greifen kann. "Wir alle sind gut beraten, das Instrument erst einmal anzunehmen und die ersten Ergebnisse abzuwarten."

Im neuen System müssten alle Akteure erst einmal ihre Rolle finden, sagte er. "Die Perspektiven des AMNOG sind richtig, man muss es nur richtig anwenden."

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