GKV erhöht den Druck auf Zyto-Apotheker

Die Diskussion um hohe Gewinnspannen im Geschäft mit Zyto-Rezepturen steuert einem neuen Höhepunkt zu: Der GKV-Spitzenverband will seinen Anspruch, Einkaufspreise Zytostatika verarbeitender Apotheken offen gelegt zu bekommen, jetzt im formellen Verwaltungsverfahren durchsetzen.

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Für Apotheken sind generische Zytostatika-Zubereitungen ein lukratives Geschäft. Nur in diesem Versorgungs-Segment dürfen sie Einkaufsrabatte aushandeln.

Für Apotheken sind generische Zytostatika-Zubereitungen ein lukratives Geschäft. Nur in diesem Versorgungs-Segment dürfen sie Einkaufsrabatte aushandeln.

© Frey / imago

Von Christoph Winnat

BERLIN. Es klang zu schön um wahr zu sein, was der Deutsche Apotheker Verband (DAV) Ende Februar die Öffentlichkeit wissen ließ: "Die neue Hilfstaxe ermöglicht auch in Zukunft eine hochwertige und flächendeckende Versorgung von Krebspatienten. Mehr Transparenz bei der Abrechnung von parenteralen Zubereitungen schafft mehr Vertrauen, sorgt für weniger Bürokratie und spart sogar noch viel Geld ein".

"Hilfstaxe" ist der umgangssprachliche Name für den "Vertrag über die Preisbildung für Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen". Akribisch regeln darin DAV und GKV-Spitzenverband, welche Zuschläge Apotheken für die Anfertigung von Rezepturen erhalten und welche Einkaufspreise für Fertigarzneimittel sie den Kassen in Rechnung stellen können.

Brisanz erhält das opulente Vertragswerk gleich aus mehreren Gründen. Zum einen, weil anders als bei der Abgabe von Fertigarzneimittel in der Offizin die Apotheker den Krankenkassen Rabatte auf ihre Einkaufspreise geben - ergo auch von Hersteller und Handel Rabatte annehmen dürfen.

Zum zweiten, weil die Hilfstaxe mit dem Unterpunkt "Bestimmungen zur Preisbildung zytostatikahaltiger parenteraler Lösungen sowie Lösungen mit monoklonalen Antikörpern" einen Teilmarkt des Gesundheitswesens berührt, der wie kein zweiter so lukrativ wie skandalumwittert ist.

2,5 Milliarden Euro für Zyto-Rezepturen

Schätzungsweise zwischen 300 und 400 Apotheken besitzen eine Lizenz zur Herstellung von Zytostatika-Zubereitungen. Die Zahlen zur Marktgröße divergieren je nach Erhebungsgrundlagen.

Laut Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) wurden 2011 von Apotheken rund 4,2 Millionen parenterale onkologische Zubereitungen hergestellt, für die die Kassen 2,5 Milliarden Euro ausgegeben haben. Hierin sind auch Leistungen von Krankenhausapotheken erfasst.

Laut Marktforscher Insight Health betrug der GKV-Umsatz mit Zyto-Zubereitungen im ambulanten Versorgungsgeschehen 2011 rund 2,1 Milliarden Euro.

Zwar hat der Gesetzgeber in den vergangenen Jahren versucht, die Lizenz zum Gelddrucken, als die das Zyto-Rezepturen-Geschäft landläufig gilt, einzudämmen und Transparenz in das Abrechnungsgeschehen zu bringen. Ließ es dabei jedoch an der letzten Konsequenz fehlen.

Einkauf unter Listenpreis ist allgemein akzeptiert

So erhielten zunächst die Kassen, mit dem AMNOG seit 2011 auch der GKV-Spitzenverband das Recht, von den Zyto-Apothekern "Nachweise über Bezugsquellen und verarbeitete Mengen sowie die tatsächlich vereinbarten Einkaufspreise" zu verlangen.

Allein: der Anspruch ist nicht strafbewehrt. Und die Apotheker geben keine Auskunft. In der neuen, Anfang März dieses Jahres in Kraft getretenen Hilfstaxe wurde der Nachlass, den die Apotheker auf ihren Einkaufspreis für generische Zytostatika der GKV gewähren, von zehn auf 25 Prozent erhöht.

Als maßgeblicher Einkaufspreis gilt dabei der zweitgünstigste Apothekeneinkaufspreis pro Mengeneinheit (ml, mg oder IE). Sitzen auf dem günstigsten Preis zwei Hersteller, dann gilt dieser Preis zugleich als der "zweitgünstigste".

Die Konstruktion macht deutlich: Dass die Offizinbetreiber weit unter den Listenpreisen ordern, wird allgemein akzeptiert - auch vom Gesetzgeber, der Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen ausdrücklich vom einheitlichen Herstellerabgabepreis des Arzneimittelgesetzes ausnimmt. Rechtlich sind die exorbitanten Gewinnspannen im Zytostatika-Handel nicht zu beanstanden.

Wirkliche Spannen der Zyto-Apotheken im Dunkeln

Die jüngste Anhebung des GKV-Abschlags für generische Fertigarzneimittel in Zytostatika-Zubereitungen sei den Erfahrungen geschuldet, die viele Kassen mit den Angeboten in regulären Generika-Rabattausschreibungen gemacht hätten, heißt es. Doch wie hoch die wirklichen Spannen der Zyto-Apotheken sind, bleibt nach wie vor im Dunkeln. Von "mehr Transparenz", wie der DAV jubelte, kann keine Rede sein.

Ein Mitarbeiter des GKV-Spitzenverbands: "Das ist ein richtiger Sumpf". Man stoße bei den gesetzlich vorgesehenen Preisabfragen immer wieder auf Granit. Mancher Apotheker kaufe beim Großhandel - den seine Frau angemeldet hat - und will nur diesen Einkaufspreis nennen. Andere beriefen sich darauf, die Ware von Herstellbetrieben zu beziehen, die die Rezepturen in ihrem Auftrag mixen.

Spitzenverband will jetzt Zwangsgelder verhängen

Ein Durchgriffsrecht des Apothekers auf den Einkaufspreis solcher Betriebe - vielfach Ausgründungen von Zyto-Apothekern - gebe es aber nicht. Wieder andere Apotheker verweigerten einfach die Auskunft, würden das Ansinnen des Kassenverbands gar als "unsittlich" zurückweisen.

Bisher habe man bei den Offizinbetreibern nur unverbindlich Einkaufspreise erfragt, erklärt der GKV-Verband. Demnächst aber wolle man die Gangart verschärfen und seinen Auskunftsanspruch im formellen Verwaltungsverfahren durchsetzen. Ob sich die Apotheker davon beeindrucken lassen, darf bezweifelt werden.

Denn sehr viel mehr, als ein im Vergleich zu den tatsächlichen Gewinnspannen homöopathisches Zwangsgeld zu verhängen, hat der Gesetzgeber den Kassen nicht an die Hand gegeben. Fraglich also, ob betroffene Apotheker nicht einfach zahlen und stillschweigend zur Tagesordnung übergehen, als vor den Sozialgerichten dagegen zu klagen.

Feste Wirkstoff-Preise sind Illusion

Der Spitzenverband beharrt darauf, vom Gesetzgeber den Auftrag erhalten zu haben, marktgerechte Preise auszuhandeln. "Marktgerecht" bedeute je nach Wirkstoff zwischen 50, 60 oder sogar 80 Prozent unter dem ausgewiesenen Listenpreis, vermutet die zuständige Fachabteilung.

Am liebsten würde der Spitzenverband feste Preise für jeden Wirkstoff vereinbaren. Darauf aber lassen sich die Apotheker nicht ein.

Und zwingen können die Kassen sie nicht. Denn das Sozialgesetzbuch sieht lediglich vor, dass Kostenträger und Apotheker in Sachen Zyto-Rezepturen Abschläge auf die Einkaufspreise für Fertigarzneimittel vereinbaren können. Sie müssen es nicht.

Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, darf die Apotheke ihren Einkaufspreis, maximal den Listenpreis voll in Rechnung stellen. Mit 75 Prozent des Listenpreises für generische Zytostatika bleibt den Kassen also wenigstens der Spatz in der Hand. Von der Bundesregierung fordern sie deshalb verbindliche Regeln für eine wirkungsvollere Preisabfrage.

Andere Strategie: Mehr Wettbewerb

Eine andere Strategie: die Preise durch mehr Wettbewerb ins Rollen zu bringen. Darauf setzen derzeit nur zwei Kassen, die Barmer GEK in NRW und die AOK Nordost. Letztere hat seit Dezember 2011 bereits die zweite Ausschreibung am Start.

Auch gegenüber der seit März gültigen neuen Hilfstaxe seien die Einsparungen ihrer jüngsten Ausschreibung noch "erheblich", versichert die AOK Nordost.

Nur zwei Kassen setzen auf Ausschreibungen

Die Hilfstaxe bilde "die tatsächlichen Einkaufspreise für onkologische Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen nach wie vor nicht adäquat ab", so die AOK weiter.

Dass die bundesweit zwischen 300 und 400 angestammten Zyto-Apotheker ebenso wie die Herstellbetriebe Ausschreibungen misstrauisch beäugen, liegt auf der Hand. Doch selbst in Kassenkreisen werden Zweifel laut, ob das der richtige Weg ist.

Enorme Bürokratie für onkologische Praxen?

Auf die onkologischen Praxen kämen womöglich enorme bürokratische und logistische Herausforderungen zu, wenn sie tagesaktuell und patientenindividuell anzuwendende Rezepturen je nach Versichertenstatus bei mehreren Dutzend Apotheken bestellen müssten. An mangelnder Akzeptanz bei den Ärzten scheiterte unterdessen auch die erste Barmer-Ausschreibung, die Ende Juni von den Apothekern gekündigt wurde.

In einem Positionspapier nahmen sich jüngst sogar die Gesundheitspolitiker der CDU/CSU-Bundestagsfraktion des Themas an. "Die bisherigen Erfahrungen mit der Ausschreibung von Zytostatika", heißt es dort, ließen "viele Fragen offen". Ein Oligopol drohe, Qualitätseinbußen, "Probleme in der Flächendeckung".

Man wolle sich daher "für eine Überprüfung der Regelungen zur Ausschreibung der Zytostatikaversorgung" einsetzen. - Denkbar, dass sich die Apotheker für politisches Entgegenkommen weitere Nachlässe vom Listenpreis abhandeln lassen.

Zytostatika - ein skandalumwittertes Geschäft

Einkaufs- und Marketing-Praktiken im Zytostatika-Markt beschäftigen die Staatsanwaltschaften seit Jahren. Prominentester Fall ist bisher die so genannte "Holmsland-Affäre" - benannt nach dem Firmensitz eines involvierten Pharmahändlers im dänischen Holmsland. 2007 nahm die Staatsanwaltschaft Mannheim Ermittlungen gegen rund 100 Apotheken auf, die günstige, in Deutschland nicht zugelassene Zytos aus dem Ausland importierten und zu hiesigen Preisen mit den Kassen abrechneten. Direkte politische Konsequenzen der Holmsland-Affäre waren 2010 die sozialrechtliche Einführung einer Nachweispflicht über Bezugsquellen und Einkaufspreise von Zytostatika sowie eine detaillierte Dokumentationspflicht im Rezeptanhang, welche Fertigarzneimittel für eine Rezeptur verarbeitet wurden.

Ende 2010 konnte sich eine Handvoll Zyto-Apotheker nicht bremsen und forderte kurz vor Umstellung der Rezepturen-Vergütung von Privatpatienten oder ihren Hinterbliebenen Nachzahlungen in teilweise fünfstelliger Höhe. Die öffentliche Empörung blieb nicht aus, ungesetzlich war das jedoch nicht.

Anfang 2011 sorgte die Leipziger Firma Oncosachs für Aufsehen. Der Apotheker-eigene Herstellbetrieb mit eigenen Generikazulassungen geriet wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung sowie der Ärztebestechung ins Visier der Staatsanwaltschaft Dresden. Bundesweit sollen 47 Onkologen in die Sache verstrickt sein.

Erst vor wenigen Wochen wurden Ermittlungen mehrerer Staatsanwaltschaften gegen Pharmaunternehmen und Ärzte bekannt. Laut "Der Spiegel" habe der Hamburger Pharmahändler und Generikahersteller Zyo Pharma jahrelang systematisch Ärzte und Apotheker über "Beraterverträge" geschmiert.

Mitte April traf es die bayerische Lapharm. 49 Onkologen und 18 Apotheken sollen von Lapharm u.a. mittels AWBs bestochen worden sein. Insgesamt soll Lapharm den Ärzten für die Verschreibung seiner Präparate 1,5 Millionen Euro gezahlt haben. Das Unternehmen weist die Vorwürfe zurück.

Nach dem kürzlich ergangenen BGH-Urteil, wonach Ärzte keine Sachwalter der Kassen sind, dürften die meisten dieser drei letztgenannten Verfahren eingestellt werden.

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