Arzneimittelpolitik

Pharmaindustrie will nicht die Zeche zahlen

Die Absichten von Union und SPD in der Pharmapolitik haben die Arzneimittelhersteller alarmiert. Sie fürchten, beim Tausch Zwangsrabatt und Preismoratorium gegen den Bestandsmarktaufruf, den Kürzeren zu ziehen. GBA-Chef Josef Hecken beschwichtigt: Der Gesetzgeber müsse für Klarheit sorgen.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Fordert klare Definitionen: GBA-Chef Josef Hecken.

Fordert klare Definitionen: GBA-Chef Josef Hecken.

© Becker Bredel / imago

BERLIN. Die Pharmaindustrie wehrt sich gegen die von den Gesundheitspolitikern aus Union und SPD geplanten Regulierungen.

Die Institutionalisierung von Zwangsrabatt und Preismoratorium im Tausch gegen die Aufgabe der Nutzenbewertung von vor 2011 zugelassener Arzneien durch den Gemeinsamen Bundesausschuss sei eine Mogelpackung, kritisierten Vertreter von Pharmaverbänden.

Der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, Josef Hecken, forderte vom künftigen Gesetzgeber eine klare Definition dieses Handels.

Der GBA werde in seiner Sitzung am Donnerstag beschließen, alle laufenden Bestandsmarktbewertungen vorläufig ruhend zu stellen.

vfa: Zwangsrabatt verletzt Grundrechte

Dass der ursprünglich bis Ende 2013 befristete Zwangsrabatt nun dauerhaft eingeführt und sogar jährlich überprüft werden solle, stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der pharmazeutischen Unternehmen dar, hieß es am Mittwoch beim Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa).

"Wenn es den Kassen ab 2015 schlechter gehen sollte, hat man sich dafür schon jemanden ausgeguckt, der die Zeche zahlt", kommentierte vfa-Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer die in der AG Gesundheit der Koalitionsverhandlungen entwickelten Pläne am Mittwoch in Berlin.

Angesichts voller Kassen in der gesetzlichen Krankenversicherung gebe es für die Fortführung des Zwangsrabatts - geplant sind sieben statt bislang 16 Prozent - keine Grundlage mehr, sagte Fischer.

Zudem ergebe sich daraus die Gefahr gegenläufiger Effekte auf die Beitragseinnahmen. Zusammen mit dem ebenfalls verlängerten Preismoratorium belaufe sich der aktuelle Zwangsabschlag tatsächlich bereits auf 22 Prozent.

"Das ist ein von oben verordneter Preisverfall", sagte Fischer. Weil kein Inflationsausgleich geplant sei, könne dies durchaus den Abbau von Arbeitsplätzen und damit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nach sich ziehen.

Nur die frühe Nutzenbewertung hat Bestand

In den Jahren des erhöhten Zwangsrabatts seit 2010 und des seit 2009 geltenden Preismoratoriums haben die Arzneimittelhersteller nach Angaben des vfa einen Sparbeitrag für das Gesundheitswesen von rund acht Milliarden Euro erbracht.

In den kommenden beiden Jahren rechnet der vfa mit Belastungen allein durch das Preismoratorium von 2,2 Milliarden Euro. Der Sockelbetrag des Rabatts von sechs Prozent gilt seit 2004 und wird aktuell von keiner Seite als verhandelbar angesehen.

Die von Union und SPD angebotene Kompensation, nämlich auf die Bewertung vor 2011 zugelassener Arzneien zu verzichten, sei eine "Mogelpackung", kritisieren Vertreter der forschenden Pharma-Unternehmen.

Allein der um ein Prozent erhöhte Zwangsrabatt liege schon deutlich höher als die durch die Bewertung des Bestandsmarkts erwarteten Einsparungen für die Kassen.

Das Gesundheitsministerium hat diese Einsparungen auf 60 Millionen Euro für das laufende und auf 100 Millionen Euro für das kommende Jahr beziffert.

In der Logik des Verfahrens liegt, dass es gegen Ende des Jahrzehnts ohnehin ausläuft, da bis dahin die vor Inkrafttreten des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes zugelassenen Arzneien ihren Patentschutz verlieren. Danach gibt es nur noch die frühe Nutzenbewertung.

Frick: Trennung des Bestandsmarkts nicht möglich

Dass sich Union und SPD darauf geeinigt haben, nicht alle Bewertungen im Bestandsmarkt fallen zu lassen, sondern die "Wettbewerbsaufrufe" nach Paragraf 35a, Absatz sechs SGB V fortzuführen, bezeichnete Dr. Markus Frick vom vfa als nicht sinnvoll und als praktisch unmöglich.

Eine Trennung des Bestandsmarkts sei nicht möglich. Beim "Wettbewerbsmarkt" handelt es sich um Arzneimittel, die vor 2011 zugelassen wurden und auf dem Markt mit neueren Präparaten konkurrieren. Sie sollen sich weiterhin einer Bewertung durch den GBA stellen müssen.

Für Frick sind diese Pläne nichts weiter als die Beibehaltung des kompletten Bestandsmarktsaufrufs durch die Hintertür. Viele Wirkstoffe des Bestandsmarktes könnten in Konkurrenzsituationen geraten, die dann eine Bewertung nötig machen würden, sagte Frick.

Besser sei es, etwaige Unwuchten bei den Preisen alter und neu auf den Markt drängender Arzneien vom Markt selbst regulieren zu lassen, statt durch eine Bewertung mit anschließenden Preisverhandlungen..

Hecken: Bestandsmarktaufruf werden nach Kabinettsbeschluss ruhend gestellt

GBA-Chef Josef Hecken sieht die Probleme der Pharmazeutischen Industrie. Er könne nach der Streichung des Bestandsmarktaufrufs nicht die Netze auswerfen und über den Wettbewerbsaufruf alles einfangen, was er kriegen könne, sagte Hecken bei der Cognomed-Veranstaltung "Braucht Deutschland eine nationale Diabetesstrategie?" am Mittwoch in Berlin.

"Ich wünsche mir vom Gesetzgeber eine Klarstellung", sagte Hecken. Der umstrittene Paragraf des SGB V müsse genau definieren, was für einen Wettbewerbsaufruf tatsächlich übrig bleibe.

Hecken kündigte an, dass alle laufenden Bewertungen im Bestandsmarkt formal weitergeführt würden, bis ein Kabinettsbeschluss dazu vorliege. Dann würden die Verfahren ruhend gestellt.

Die Unternehmen müssten bis auf weiteres keine Dossiers vorlegen. Um wirtschaftliche Kollateralschäden zu vermeiden, werde es bis dahin auch keine Dossierveröffentlichungen mehr geben.

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