Bundestag

Schnellgesetz friert Arzneipreise ein

Als eine seiner ersten Amtshandlungen debattiert der neue Bundestag über Gesundheitspolitik. In einem Eilgesetz, das bereits am Donnerstag verabschiedet werden soll, wird das Preismoratorium für Medikamente verlängert.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Die Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel soll die gesetzlichen Kassen um 150 Millionen Euro entlasten.

Die Verlängerung des Preismoratoriums für Arzneimittel soll die gesetzlichen Kassen um 150 Millionen Euro entlasten.

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BERLIN. Das erste Gesetz der neuen Koalition gilt der Gesundheitspolitik. Am Mittwoch hat der Bundestag zwei Gesetzentwürfe in erster Lesung beraten. Eine der Vorlagen sieht vor, das Preismoratorium für Arzneimittel zunächst um drei Monate bis zum 31. März 2014 fortzuschreiben.

Bisher ist dieses Moratorium, durch das die Medikamentenpreise seit August 2010 eingefroren sind, bis Ende dieses Jahres befristet. Um eine rechtssichere Verlängerung des Preismoratoriums noch vor dem Jahreswechsel zu ermöglichen, haben Union und SPD das Gesetzgebungsverfahren als "eilbedürftig" deklariert und damit die parlamentarischen Fristen verkürzt.

Grüne und Linksfraktion haben diesem Verfahren ausdrücklich zugestimmt. Schon am Donnerstag behandelt der Bundestag das Gesetz in zweiter und dritter Lesung. Eine nochmalige Beratung im Parlament ist laut Tagesordnung nicht vorgesehen.

Dem Gesetzentwurf zufolge wird die dreimonatige Verlängerung des Preismoratoriums die gesetzlichen Kassen um 150 Millionen Euro entlasten, für die PKV werden 15 Millionen Einsparungen erwartet. Damit bleiben die Preise der Hersteller seit August 2010 eingefroren.

Damals hatte die schwarz-gelbe Koalition diesen Schritt mit einem drohenden Defizit von zehn Milliarden Euro in der GKV begründet. Inzwischen aber addieren sich die Überschüsse bei Kassen und Gesundheitsfonds auf über 27 Milliarden Euro.

Linksfraktion sieht sich bestätigt

Dennoch heißt es im Gesetzentwurf, das Moratorium sei nötig, um "eine unverhältnismäßige Belastung" der GKV zu verhindern. Für die Linksfraktion signalisierte am Mittwoch Kathrin Vogler, dass ihre Fraktion diesem Gesetz zustimmen werde. Die Linke habe bereits im Sommer gefordert, das Preismoratorium über Ende 2013 hinaus zu verlängern.

Strittig ist hingegen ein zweiter Gesetzentwurf, der ebenfalls am Mittwoch erstmals beraten wurde. Darin ist zum einen vorgesehen, den Abschlag für pharmazeutische Unternehmen auf sieben Prozent festzusetzen, seit 2010 betrug dieser Zwangsrabatt 16 Prozent.

Zum anderen will die Koalition die schrittweise Nutzenbewertung des sogenannten Bestandsmarkts aufgeben. Gemeint sind damit solche Medikamente, die vor 2011 auf den Markt gekommen sind und damit nicht unter das Regime der frühen Nutzenbewertung fallen.

Der Gesundheitspolitiker Jens Spahn (CDU) verteidigte diesen Schritt mit Verweis auf "rechtliche, verfahrenstechnische und praktische Probleme" des Bestandsmarktaufrufs. Auch hätte die Nutzenbewertung dieser älteren Wirkstoffe Unsicherheiten für "Hunderttausende Patienten" mit sich gebracht, argumentierte er.

Im Gesetzentwurf heißt es dazu, die Nutzenbewertung dieser Substanzen stelle sich "deutlich aufwendiger dar, als es der Gesetzgeber zunächst absehen konnte, und die ausgabenmindernden Effekte sind nur schwer zu kalkulieren". Spahn bezeichnete das Gesetz als "klassischen guten Kompromiss".

Allerdings wolle man die künftig nicht realisierbaren Einsparungen durch den Bestandsmarktaufruf an anderer Stelle generieren, machten Koalitionspolitiker deutlich. Dazu soll das Preismoratorium langfristig bis Ende 2017 verlängert werden. Die Festsetzung des Herstellerabschlags auf sieben Prozent nannte der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach eine Regelung "mit Augenmaß".

Michael Hennrich (CDU) bezeichnet diesen Schritt als "gutes Signal für die mittelständische Industrie". Auf das Jahr 2014 gesehen, soll die GKV durch das Preismoratorium um 600 Millionen Euro entlastet werden. Die Erhöhung des Herstellerrabatts von sechs auf sieben Prozent spart den Kassen nochmals 100 Millionen Euro.

Die Aufgabe des Bestandsmarkts kritisierte Kathrin Vogler von den Linken als Fehler: "Sie geben ohne Not ein Instrument der Qualitätssicherung aus der Hand". Vogler verwies auf die Antwort der Regierung auf eine Anfrage ihrer Fraktion. Danach hätten von insgesamt 243 patentgeschützten Substanzen bisher lediglich 44 die Nutzenbewertung durchlaufen. Das seit dem Jahr 2011 generierte Einsparvolumen belaufe sich auf lediglich 180 Millionen Euro. Vor diesem Hintergrund sei es falsch, die Bestandsmarkt-Bewertung aufzugeben.

Koalition: GBA kann Nutzenaspekte regeln

Im Gesetzentwurf dagegen heißt es, die Nutzenbewertung neuer Wirkstoff könne auch "einen Preisdruck für die Mitbewerber des Bestandsmarkts auslösen". Durch Festbeträge, Therapiehinweise und die Möglichkeit, Wirkstoffe wegen Unzweckmäßigkeit und Unwirtschaftlichkeit von der Verordnung auszuschließen, habe der Gemeinsame Bundesausschuss weiterhin die Option, "Nutzenaspekte" eines Arzneimittels auch im Bestandsmarkt zu adressieren.

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) kritisierte die beiden Gesetze als "planwirtschaftlich". Die neue Regierung nehme sich noch nicht einmal die Zeit, "um einen derart gravierenden Eingriff in die Eigentumsrechte der Unternehmen einem geordneten parlamentarischen Verfahren zu unterziehen", sagte BPI-Hauptgeschäftsführer Henning Fahrenkamp. Besonders enttäuscht zeigte sich der Verband von der Union, die - so der BPI - noch im September versichert habe, Moratorium und erhöhter Abschlag sollten nicht über 2013 hinaus fortgesetzt werden.

Für den Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) warnte Hauptgeschäftsführerin Birgit Fischer: Ein auf mehr als acht (!) Jahre festgeschriebenes Preismoratorium führe "zu einer schleichenden Enteignung der Unternehmen und ist damit grundrechtsrelevant".

Mit der geplanten jährlichen Überprüfung des Herstellerrabatts werde dieser zu einem "Flexi-Rabatt nach allgemeiner Finanzlage" der Kassen, sagte Fischer. Auch hierbei machte sie "massive verfassungsrechtliche Bedenken" geltend. Tatsächlich hatte der Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach (SPD) am Mittwoch im Bundestag betont, der Zwangsabschlag könne auch über sieben Prozent hinaus erhöht werden, wenn die Finanzsituation der Kassen dies erfordere.

Vor diesem Hintergrund werden manche Beobachter die Ankündigung Lauterbachs, die große Koalition werde "viel bewegen" und "keine kleinen Brötchen in der Gesundheitspolitik backen", durchaus zwiespältig werten.

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