Impfstoffe

Rabattverträge sind kontraproduktiv

Rabattverträge für Impfstoffe schränken die Auswahl ein und verunsichern Ärzte und Patienten bei Lieferausfällen. Unter medizinischen Gesichtspunkten ist die "generische" Betrachtung von Impfstoffen verfehlt, warnt das Paul-Ehrlich-Institut.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Rabattverträge können zu Lieferausfällen bei Impfstoffen führen.

Rabattverträge können zu Lieferausfällen bei Impfstoffen führen.

© sharryfoto / fotolia.com

Erneut steht in der gerade begonnenen Legislaturperiode die Prävention als eines der Top-Themen auf der Tagesordnung. Ob sich Bund und Länder einigen können, steht angesichts der komplexen Gemengelage an Zuständigkeiten und Finanzierungsbereitschaft in den Sternen.

Selbst da, wo der Gesetzgeber mit einem Federstrich effektiv Präventionspolitik betreiben könnte, hadert er mit sich selbst und den gesetzlichen Krankenkassen: in der Impfpolitik.

Nach dem Leistungsrecht im SGB V ist alles ganz einfach: Im Regelfall ist der Gemeinsame Bundesausschuss verpflichtet, die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zu übernehmen, und damit sollte garantiert sein, dass diese Präventionsleistung zu einem realisierbaren Leistungsanspruch aller GKV-Versicherten wird.

Kein Problembewusstsein im BMG

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Doch nicht selten scheitert dieser Leistungsanspruch, weil sich in den Köpfen von Sozialpolitikern und Kassenfunktionären Schnäppchenjäger-Mentalität festgesetzt hat.

Weil das Gesetz es prinzipiell erlaubt, glauben die Krankenkassen, auch High-tech-Produkte wie Impfstoffe mit Rabatt einkaufen zu können. Die Konsequenz ist, dass Ärzte weniger Auswahl, oft nur einen einzigen Impfstoff, zur Verfügung haben. Bei Produktionsproblemen entstehen so Versorgungslücken.

Bereits vor eineinhalb Jahren beklagte der damalige KBV-Vorsitzende Dr. Andreas Köhler in einem Brief an den Bundesgesundheitsminister, "dass sich die Versorgung der Patienten mit Impfstoffen durch Exklusivverträge der Krankenkassen mit Herstellern verschlechtert hat".

"An der gefährlichen Mangelsituation wird deutlich, dass das alleinige Kriterium ‚billig‘ kontraproduktiv ist und vielmehr Qualität und Zuverlässigkeit unverzichtbare Kriterien neben dem Preis sein müssen, um Versorgungszuverlässigkeit zu erhalten", betonte Köhler.

Niedergelassene Ärzte müssten die Freiheit haben, die jeweils effektivsten Impfstoffe einsetzen zu können und dürften nicht durch Rabattverträge auf bestimmte Mittel festgelegt werden. Der Adressat des Briefs war damals Daniel Bahr. Nichts passierte, obwohl auch in der Folgezeit Lieferausfälle nicht selten sind.

Rabattverträge im Koalitionsvertrag

Immerhin: Die Gesundheitspolitiker der großen Koalition zeigen erste Symptome für Problembewusstsein. Die Nebenwirkungen der Rabattverträge haben es sogar in den Koalitionsvertrag geschafft.

"Lang anhaltende Lieferausfälle bei Impfstoffen sind schwer akzeptabel", sagte Jens Spahn, der gesundheitspolitische Sprecher der CDU der Tageszeitung "Die Welt". Man arbeite an Lösungen.

Im Bundesgesundheitsministerium scheint dies noch nicht angekommen zu sein. "Die Engpässe sind häufig nicht von langer Dauer, auch müssen sie nicht zwangsweise zu Versorgungsengpässen führen", schreibt die Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbach auf eine Anfrage der Linken-Fraktion.

Stattdessen verweist das BMG auf das öffentliche Register beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Dort melden Hersteller freiwillig, bei welchen Präparaten aus welchen Gründen Lieferschwierigkeiten existieren.

Nur: Das BfArM ist für Impfstoffe gar nicht zuständig. Sera und Impfstoffe fallen in die Kompetenz des Paul-Ehrlich-Instituts, und das führt keine dem BfArM entsprechende systematische Ausfall-Liste.

Während das Ministerium die Hände in den Schoß legt, wird bei den Parlamentariern der Koalition immerhin überlegt, das Rabattsystem zu modifizieren und die Kassen zu verpflichten, mit mehreren Herstellern Verträge abzuschließen. Ob dies das Problem löst, ist allerdings fraglich.

Innovationen ausgeschlossen

Grundsätzlich machen Rabattverträge dann einen Sinn, wenn daraus für beide Partner eine Win-win-Situation entsteht. So ist ein Anbieter dann bereit, einen Preisnachlass zu gewähren, wenn er damit die Chance erhält, den so entstandenen Gewinnverlust auf der Preisseite durch einen Mehrabsatz mindestens zu kompensieren.

Gerade dieser Mechanismus des Rabatts funktioniert im Markt der gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Denn die Krankenkassen üben selbst keine Nachfrage aus - das sind vielmehr Versicherte/Patienten und ihre Ärzte. Die Existenz eines Rabattes, der nur der Kasse finanziell nützt, löst bei Ärzten und Patienten noch keine Zusatznachfrage aus.

Überdies ist der Abschluss eines Rabattvertrags für einen Hersteller mit einem Zusatzrisiko verbunden. Kommt es bei dem vielstufigen Produktionsprozess, wie er gerade bei Impfstoffen die Regel ist, zu Problemen und zu Lieferverzögerungen oder -ausfällen, so ist für diesen Fall im Rabattvertrag meist eine Konventionalstrafe vereinbart: Neben dem Umsatzausfall muss der nicht lieferfähige Hersteller den Rabatt für ersatzweise beschaffte Impfstoffe tragen.

Das hat inzwischen dazu geführt, dass Impfstoffhersteller sich nicht mehr an dem von den Kassen veranstalteten Ausschreibungswettbewerb beteiligen. Zumindest wird in jedem Einzelfall sehr kritisch geprüft, wie die Chancen und Risiken der jeweiligen Ausschreibung verteilt sind.

Neben den möglichen Lieferausfällen und den daraus resultierenden Verunsicherungen bei Ärzten, ob und mit welchem Regressrisiko sie welche Alternativen verwenden dürfen, entsteht ein weiterer Nebeneffekt: Die Beschränkung der Auswahl, insbesondere auch bei Influenza-Impfstoffen, führt zu einem suboptimalen Impfschutz. Auch Innovationen sind auf diese Weise ausgeschlossen.

Die Mahnung des PEI

Dazu das Paul-Ehrlich-Institut: "Die sich insbesondere seit der Influenza-Pandemie 2009/2010 ständig erweiternde klinische Datenbasis zu individuellen Influenza-Impfstoffen erlaubt eine generische Ansichts- und Handlungsweise nicht mehr. Die nun verfügbaren Daten belegen deutliche Unterschiede in der Immunogenität und Wirksamkeit der unterschiedlichen Influenza-Impfstoffklassen. (...) Insbesondere ergeben sich ... bedeutende Unterschiede in der alters- und Risikogruppen-spezifischen Wirkungsweise. Darüber hinaus haben die einzelnen Impfstoffklassen und Individualprodukte unterschiedliche Nebenwirkungsprofile, die letztendlich zu nicht vergleichbaren Nutzen-/Risiko-Verhältnissen führen und die zudem noch von Saison zu Saison in Abhängigkeit von der Stammzusammensetzung schwanken können."

Fazit laut PEI: "Eine generische Betrachtung von biologischen Arzneimitteln entspricht (...) nicht den geltenden wissenschaftlichen Vorgaben zur sicheren Anwendung, insbesondere von Impfstoffen."

Und an die Ärzte gerichtet: "Der Arzt hat damit in jedem Einzelfall die Pflicht, über die individuelle Applikation des Impfstoffes zu entscheiden." Populärer hat das Jens Spahn ausgedrückt: "Deutschland ist keine Bananenrepublik."

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