Qualität und Wirtschaftlichkeit

Führt der Weg ins Nirwana?

Den Zwiespalt zwischen Wirtschaftlichkeit und Verantwortung dem Patienten gegenüber kennt wohl jeder Hausarzt. Doch wie damit umgehen? Darüber diskutierten Akteure des Gesundheitswesens beim 4. Tübinger Dialog.

Anne BäurleVon Anne Bäurle Veröffentlicht:
Arzneimittelinnovationen: Zu teuer für den Hausarzt?

Arzneimittelinnovationen: Zu teuer für den Hausarzt?

© Gina Sanders / fotolia.com

TÜBINGEN. Der Arzt im Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und Qualität in der Versorgung – um dieses Thema ging es beim 4. Tübinger Dialog des Pharmapolitischen Arbeitskreises Bayern und Baden-Württemberg. Die Teilnehmer der Diskussionsrunde waren sich einig, dass fehlende Information etwa über die Ergebnisse der frühen Nutzenbewertung Ärzte davon abhalten können, neue Arzneimittel tatsächlich zu verschreiben.

In einem Arztinformationssystem (AIS) sahen die Teilnehmer einen Punkt, der zur Linderung dieses Problems beitragen könnte. Damit könnten die vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) gewonnen Erkenntnisse auch tatsächlich besser beim niedergelassenen Arzt ankommen, als das bisher der Fall ist.

Hausärzte im Spannungsfeld

"Die Art, wie wir Informationen vermitteln, muss so praxistauglich sein wie nur möglich", meinte Annette Widmann-Mauz (CDU), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium. Die Ergebnisse der Nutzenbewertung seien zwar bereits transparent auf der Webseite des GBA einzusehen, die Verwendung im Alltag sei allerdings ein ganz anderes Kapitel. Trotz allem könne das AIS die Wirtschaftlichkeitsprüfung an einer anderen Stelle nicht ersetzen.

Bisher ungeklärt sei zudem die Frage, welche Institution neue Erkenntnisse oder veränderte Leitlinien in das AIS einspeisen soll. Ähnlich sah das auch Professor Thomas Schlegel, Fachanwalt für Medizinrecht. Das AMNOG habe zu einer beträchtlichen Verunsicherung geführt, konstatierte er. Niedergelassene Ärzte befänden sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite gesetzliche Wirtschaftlichkeitsvorgabe, auf der anderen Seite die Therapieverantwortung gegenüber dem einzelnen Patienten.

Das Bundessozialgericht habe daher schon vor einiger Zeit erklärt, der Arzt habe in seinem Handeln einen eigenen Ermessensspielraum, den die Krankenkassen akzeptieren müssten (BSG-Urteil vom 08.09.1973). "Das zieht sich wie ein roter Faden durch den Bereich Aufklärung und ist ein ganz wichtiger Punkt für ein AIS, gerade für die Arzneimittelinformation", meinte Schlegel. Dafür brauche der Arzt neutrale, ungefilterte Informationen, sonst steige für ihn das Regressrisiko. "Das zivilrechtliche Damoklesschwert hängt über jedem Verordner", betonte Schlegel. Dem könne der Arzt nur begegnen, wenn er alle Infos habe und sie auch richtig nutze.

Auf eine gewisse Schieflage in der Versorgung bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes wies Professor Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft, hin. Hier sei es besonders schwierig, Arzneimittel-Innovationen zum Patienten zu bringen. "Zweckmäßige Vergleichstherapien, die für die Bewertung herangezogen werden, sind meist Substanzen aus den 50er Jahren, zu denen es wenig Endpunktstudien gibt, sprich: die niemals überprüft wurde", bemerkte Gallwitz kritisch. "Wir wären gut bedient, wenn es für chronische Erkrankungen bei den neuen Medikamenten am Ende des Verfahrens eine gewisse Plausibilitätskontrolle des Verfahrens gäbe", zeigte sich Gallwitz überzeugt. Im Vergleich damit stehe die Onkologie besser da. Allerdings wälzten viele Ärzte die Entscheidung über die Verordnung in wachsendem Maße auf den Patienten ab, sagte Renate Haidinger, 1. Vorsitzende von Brustkrebs Deutschland e.V. und Medizinjournalistin. "Schreiben Sie doch mal an Ihre Krankenkasse, ob die das Medikament zahlen würden, ist eine klassische Arztantwort." Dadurch verzögere sich die Therapie und der Patient sei völlig überfordert. Versorgungsqualität sehe anders aus.

Praxistaugliche Informationen

Als zwei Seiten einer Medaille bezeichnete auch Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller, Qualität und Wirtschaftlichkeit. Wirtschaftlichkeit erreiche man nicht allein durch Einsparung, sondern durch einen zielgerichteten Einsatz bestimmter Arzneimittel in der Versorgung. Das größte Problem sei dabei in Deutschland weiterhin die Trennung der Versorgungssektoren. "Wir dürfen Einsparkriterien nicht mit Qualitätskriterien durcheinanderwerfen." Auch die frühe Nutzenbewertung sei von ihrer Anlage her kein Instrument zur Bestimmung der Versorgungsqualität. Ihre Ergebnisse seien lediglich die Basis für Verhandlungen über den Erstattungsbeitrag, betonte Fischer.

Dem widersprach Karin Maag (CDU), Mitglied des Gesundheitsausschusses im Bundestag. Zwar sei Qualität nicht der primäre Auftrag der frühen Nutzenbewertung. "Aus den Diskussionen des GBA und aus den Dossiers ergibt sich aber ein Mehrwert, der die Grundlage für eine Qualitätsdiskussion darstellt", meinte Maag. Wer diesen Mehrwert aus der frühen Nutzenbewertung in das AIS einpflegen solle, müsse allerdings noch diskutiert werden.

Es werde wohl aber ein Modell sein, das institutionell beim GBA angehängt sei. Dabei müssten diese Informationen verdichtet und dem Arzt praxistauglich zugänglich gemacht werden. Wie das genau ablaufe, sei bisher noch unklar. Auch darüber, wie genau ein solches AIS gepflegt werde, herrsche noch keine Einigkeit.

Dass das Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Qualität niemals überwunden werden kann, davon zeigte sich Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, überzeugt: "Diese Diskussion kann nur ins Nirwana führen." Zum Thema Wirtschaftlichkeit kündigte er an, ab Januar 2017 werde es im Südwesten eine gültige Wirtschaftlichkeitsprüfung auf Vertragswege geben.

Wirtschaftlichkeit und Qualität sind zwei Seiten einer Medaille.

Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller

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