Subgruppen und Mischpreis

Ärzte fühlen sich verunsichert

Die frühe Nutzenbewertung bringt Vertragsärzten weniger Verordnungssicherheit als erhofft. Probleme bereiten Subgruppen bildung und Mischpreise, bei denen strittig ist, wann sie wirtschaftlich sind.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Im Durchschnitt wirtschaftlich, im Einzelfall nicht unbedingt. Rechtfertigungsdruck für Ärzte auch bei Arznei-Innovationen mit Zusatznutzen.

Im Durchschnitt wirtschaftlich, im Einzelfall nicht unbedingt. Rechtfertigungsdruck für Ärzte auch bei Arznei-Innovationen mit Zusatznutzen.

© Sanders / Fotolia.com

KARLSRUHE/KÖLN. Die frühe Nutzenbewertung und der darauf basierende Erstattungsbetrag für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen haben Vertragsärzten nicht die Furcht vor einem Regress genommen.

Das gilt auch dann, wenn ein neues Arzneimittel einen beträchtlichen Zusatznutzen zugesprochen bekommen hat. Das ist das Fazit eines von AstraZeneca organisierten Diskussionsforums in Karlsruhe.

Eine Ursache ist die Methode des IQWiG, die Patientenpopulationen, die für einen Wirkstoff in Frage kommen, in Subgruppen zu zerlegen und diesen Subgruppen unterschiedliche Zusatznutzenmaße - von beträchtlich bis kein Zusatznutzen - zuzuerkennen.

Diese Vorgehensweise ist häufige Praxis: bei bislang 110 Bewertungen (Stand Februar 2015) gab es über 220 Subgruppenbildungen; in der Spitze wurden für einen Wirkstoff neun Subgruppen gebildet.

Die Sicht der Ärzte und des GBA

Unterschiedliche Ausmaße des Zusatznutzens führen zu einer Mischkalkulation bei der Bildung des Erstattungsbetrages. Dieser soll im Durchschnitt wirtschaftlich sein - er ist es aber im Einzelfall möglicherweise nicht.

So betont der GKV-Spitzenverband: Die Verordnung eines Arzneimittels für Patienten einer Subgruppe, für die es keinen Zusatznutzen gibt, ist unwirtschaftlich.

Diese Auffassung ist allerdings umstritten. So weist der Gesundheitsökonom Professor Uwe May darauf hin, dass der Patientennutzen aus der Sicht des Arztes anders beurteilt wird als der Nutzen nach dem AMNOG.

Der Bundesausschuss stelle eine Durchschnittsbetrachtung auf Basis einer wissenschaftlichen Bewertung an und nehme die Perspektive der GKV ein; der Arzt hingegen mache eine Einzelfallbetrachtung mit einer subjektiven Bewertung aus Patientensicht.

Folglich könne im Einzelfall ein Arzneimittel bei einem Patienten einen Zusatznutzen stiftet, während dies in der Durchschnittsbetrachtung des GBA so nicht gesehen werde.

Diese Unterschiede bestätigt auch der Karlsruher Diabetologe Sebastian Zink: Die auf Zulassungsstudien basierenden Nutzenbewertungen seien nicht repräsentativ für die Praxis und berücksichtigten nicht die von behandelnden Ärzten zu beachtenden Nebenbedingungen bei Diabetes: Noncompliance, Übergewicht, Tumorleiden, Alkoholismus oder Niereninsuffizienz.

Angesichts dessen benötigten Ärzte eine möglichst breite Auswahl, wohingegen der Bundesausschuss die Therapieoptionen eher einschränke.

Die Sorge vor dem Regressrisiko in der GKV ist den Ärzten durch das AMNOG jedenfalls nicht genommen worden.

Der Mischpreis für Subgruppen mit unterschiedlichem Zusatznutzen sei auf jeden Fall dann wirtschaftlich, wenn die Arztpraxis eine Klientel habe, die genau dem Bundesdurchschnitt entspreche, argumentiert Dr. Michael Viapiano von der KV Baden-Württemberg.

"Wenn ich Ärzte vor Regressen schützen will, würde ich die Ärzte einer Vermeidungsstrategie hin beraten - es sei denn, es gibt einen patientenspezifischen, individuellen Zusatznutzen. Das A und O dabei ist die Dokumentation."

Gerade dies belaste aber die Praxis mit Bürokratie. Das Problem sei die Einzelfallprüfung und "ein Riesenaufwand zur Rechtfertigung" vor den Prüfgremien, hält der Diabetologe Zink entgegen.

Unterschiede zwischen GKV und PKV

Dass das Regressrisiko nach wie vor als vorhanden empfunden wird, zeigt eine vor wenigen Tagen publizierte Studie des Wissenschaftlichen Instituts der PKV.

Danach beträgt der Marktanteil der PKV (gerechnet in Umsatz) bei Arzneimitteln mit einem beträchtlichen Zusatznutzen 16,2 Prozent. Der Versichertenanteil der PKV liegt aber nur bei elf Prozent.

Somit haben Privatpatienten eine fast 50 Prozent höhere Chance im Vergleich zu GKV-Versicherten, eine stark positiv bewertete Arzneimittelinnovation zu erhalten.

Mit dem AMNOG und der Nutzenbewertung sind für GKV und PKV die genau gleichen Marktbedingungen für neue Arzneimittel entstanden. Mit einem Unterschied: Die PKV kennt keine Richtgrößen und Regresse.

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