Kardiologen warnen

Nutzenbewertung für Medizinprodukte bremst Fortschritt

Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie schlägt Alarm: Die vorgesehene Nutzenbewertung für Medizinprodukte wie Implantate oder Herzschrittmacher könnte sich als Fortschrittsbremse erweisen.

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Für Herzschrittmacher oder Implantate, die invasiv eingesetzt werden, ist eine Nutzenbewertung vorgesehen.

Für Herzschrittmacher oder Implantate, die invasiv eingesetzt werden, ist eine Nutzenbewertung vorgesehen.

© Mathias Ernert, Deutsches Herzzentrum Berlin

BERLIN. Eine "Innovationsbremse" sieht die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in der im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz geforderten Nutzenbewertung für bestimmte Medizinprodukte.

"Wir glauben, dass diese Regelungen gewaltige Auswirkungen auf die Einführung innovativer Medizintechnik haben werden", sagte DGK-Präsident Professor Karl-Heinz Kuck bei der DGK-Herbsttagung in Berlin.

Das Versorgungsstärkungsgesetz sieht für Medizinprodukte mit hoher Risikoklasse, die wie etwa Implantate oder Herzschrittmacher invasiv eingesetzt werden, eine Nutzenbewertung vor.

Anhand wissenschaftlicher Evidenz sei nachzuweisen, dass die Innovation im Vergleich zu den bisher eingesetzten Verfahren einen Zusatznutzen bringt, so Kuck.

Er fürchtet, dass sich die großen Erfolge, die in den vergangenen 20 Jahren etwa bei der Reduzierung der kardialen Sterblichkeit auch durch Innovationen bei Medizinprodukten erreicht wurden, in Zukunft nicht mehr so fortschreiben lassen.

Die große Frage der Zukunft werde sein, wie sich der Zusatznutzen eines Medizinprodukts überhaupt nachweisen lasse. Die Methoden der Pharmaindustrie, wie etwa die placebokontrollierte Studie oder die doppelte Verblindung, seien nicht übertragbar.

Hohe GBA-Anforderungen befürchtet

Kardiologen kritisieren Antikorruptionsgesetz

Das geplante Gesetz gegen Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen zählt nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) zu den gesetzgeberischen Aktivitäten, die in der Umsetzung als realitätsfern einzustufen sind.

Die Kardiologen befürchten vor allem, dass die Rechtsprechung zur Ausfüllung der in den neuen Paragrafen verwendeten Rechtsbegriffe auf die Judikatur zurückgreifen wird, die zu anderen, nicht heilberuflichen Bereichen ergangen ist.

So sei zum Thema Rabatte schon geurteilt worden, dass diese einen materiellen Vorteil darstellen. Die schlichte Vereinbarung von Rabatten könnte in Zukunft also strafbar sein.

Dr. Benny Levenson wies darauf hin, dass es unklar sei, ob eine nach dem Gesetz verbotene unlautere Bevorzugung vorliege, wenn Ärzte nach einer Beteiligung an Studien vermehrt Produkte verschreiben oder anwenden, weil für diese ein Vorteil für die Patienten nachgewiesen wurde.

Keiner wisse, wo die Grenzen zwischen erlaubter Kooperation und strafbarer Korruption liegen. Solche Unsicherheiten hätten Einfluss auf die Versorgung von Patienten, weil auch Innovationen betroffen seien.

"Mit dem Gesetz werden Verunsicherung und Angst geschürt, anstatt Rechtssicherheit und Akzeptanz zu schaffen", kritisierte Levenson. (juk)

Kuck äußerte die Befürchtung, dass die Anforderungen an den Nachweis durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) recht hoch angesetzt werden könnten.

Das bisher in Deutschland praktizierte innovationsfreundliche Prinzip, nach dem Krankenhäuser alle zugelassenen Verfahren einsetzen dürfen, so lange sie nicht verboten sind, werde womöglich durch ein Konzept der Innovationsbremse abgelöst.

"Wenn die Hürden so hoch sind, dass sie nicht refinanzierbar werden, dann werden wir die neuen innovativen Produkte nicht verfügbar bekommen oder nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung", warnte Kuck.

Zudem bestehe die Gefahr, dass sich Forschergruppen und medizinische Zentren aufgrund unrealistischer Auflagen nicht mehr an internationalen Studien zu Medizinprodukten beteiligen können.

Kuck nannte als Beispiel aus der Vergangenheit eine Studie zu einem elektrodenlosen Herzschrittmacher. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hatte damals zur Auflage gemacht, nur Patienten einzuschließen, die keinen anderen Herzschrittmacher vertragen.

"Das wäre in Deutschland nur jeder 100.000. Patient gewesen", so der DGK-Präsident. Mangels Patienten sei die Studie hierzulande also nicht durchführbar gewesen.

Bandscheiben-Skandal: AOK fordert strengere Verfahren

Für neue Diskussion in der Debatte um das Zulassungsverfahren für Medizinprodukte könnte der Bandscheiben-Skandal in Niedersachsen sorgen. Das Klinikum Leer berichtete von zahlreichen Revisions-Operationen, die nötig wurden, weil Patienten eine defekte Bandscheiben-Prothese eingesetzt bekommen haben.

Da die mangelhaften Prothesen auch an andere Kliniken geliefert wurden, rechnen Kassen mit mehr als 11.000 Fällen. Die AOK Niedersachsen hat in diesem Zusammenhang erneut ein strengeres Zulassungsverfahren für Medizinprodukte gefordert. (juk/ths)

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