Ärztemangel in Thüringen

Ärzte, Zahnärzte und Apotheker in Thüringen warnen vor drohender Unterversorgung. Doch die Zahlen ergeben kein einheitliches Bild. Deshalb halten Kassen sowie die SPD das gemeinsame Vorgehen der drei Berufsgruppen für Panikmache.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Wo ist der Doktor?

Wo ist der Doktor?

© Jens Meyer / AP Photo / dpa

ERFURT. In Thüringen schlägt eine große Koalition aus Ärzten, Apothekern und Krankenhäusern Alarm: Sie werfen der Landespolitik vor, die drohende Versorgungsmisere und den Nachwuchsmangel zu verschlafen.

"Andere Bundesländer überholen uns oder sind schon aus dem Gröbsten raus. Thüringen hinkt hinterher", sagt Sven Auerswald, Hauptgeschäftsführer der Kassenärztlichen Vereinigung. Die KV stehe zwar zu ihrem gesetzlichen Sicherstellungsauftrag, doch das Land müsse dies flankieren.

"Die Politik erkennt die Probleme leider oft zu spät", sagt Roul Rommeiß, Vize-Chef der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV). Die rund 2050 Zahnärzte in Thüringen seien im Schnitt 52 Jahre alt.

Seit mehreren Jahren gäben doppelt so viele Zahnärzte ihre Praxis auf wie neue dazukommen. Dabei zeichne sich ein Trend ab: "Wir erleben eine deutliche Verschiebung vom Land in die Stadt."

Ähnliches schildert Ronald Schreiber, Präsident der Landesapothekerkammer: "Wir haben Schließungen auf dem Land, oft nur weil es keine Nachfolger gibt. In der Stadt ist das ein Selbstläufer."

Noch sei die Versorgungssituation mit 565 Apotheken gut, doch schon 2020 sei jeder fünfte Apotheker 65 Jahre und älter. Die Zahl der Pharmazie-Studienplätze in Jena müsse deshalb deutlich erhöht werden.

Gleiche Situation bei den Haus- und Fachärzten: "Jeder dritte Hausarzt ist älter als 59 Jahre", sagt Auerswald. "Nur 70 Prozent der Praxen werden derzeit nachbesetzt."

Ministerin findet Kritik "absurd und populistisch"

Ihr gemeinsamer Tenor: Die Ärzte und Apotheker vergreisen, finden keine Nachfolger und leiden unter Bürokratie und Arbeitsverdichtung. Die Folge seien Schließungen, vor allem in ländlichen Regionen, volle Wartezimmer und ein Ansturm auf die Krankenhäuser.

Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD) weist den Vorwurf des politischen Stillstands als "absurd und populistisch" zurück. Es gebe zahlreiche Projekte, ganz neu sei derzeit ein Begrüßungsgeld für die Niederlassung in ländlichen Regionen.

"Mit mehr Geld allein wird es aber nicht funktionieren", sagt Zahnarzt-Sprecher Rommeiß. Viel wichtiger seien die "weichen" Standortfaktoren bei der Entscheidung, wohin ein Arzt geht: ein Job für den Partner, Kultur, Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten. "Hier sind natürlich die Kommunen und das Land mit ihrer Landesplanung gefordert."

Von einem generellen Arzt- oder Apothekermangel spricht allerdings niemand. Tatsächlich meldete die Landesärztekammer kürzlich, es gebe so viele Ärzte wie nie. Also nur ein Verteilungsproblem?

Das Paradoxe bei der KV-Bedarfsplanung ist: Von Haus- und Augenärzten sowie Psychotherapeuten abgesehen ist fast ganz Thüringen für neue Niederlassungen gesperrt.

"Man bedient sich der Bürger, um gezielt Panikmache zu betreiben. Richtig ist, dass wir eine gute Versorgung der Bevölkerung haben - sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich", sagt deshalb Thomas Hartung, Gesundheitsexperte der SPD-Landtagsfraktion und selbst studierter Chirurg.

Einwohnerzahl sinkt um 20, Zahl der Apotheken um drei Prozent

"Es besteht überhaupt kein Grund für Alarmismus", widerspricht auch Guido Dressel, Landeschef der Techniker Krankenkasse (TK). Die Einwohnerzahl in Thüringen sei seit 1990 um zwanzig Prozent gesunken, die Zahl der Apotheken dagegen nur um drei Prozent.

Gleiches gelte für Zahnärzte. "Die Anzahl der Zahnärzte pro Einwohner ist in keinem Flächenland höher als in Thüringen", so Dressel. Der Grund für den Aufschrei sei nicht die Versorgungsnot, sondern dass nicht mehr alle Ärzte ihre Praxis verkaufen können, wenn es weniger Nachfolger gibt.

Nicht noch mehr Ärzte, sondern neue Versorgungsideen seien die Lösung: Beispiel Österreich, wo Landärzte gleichzeitig Medikamente ausgeben. In Deutschland ein Tabu.

Dressel: "Fakt ist, wir müssen uns etwas einfallen lassen. Deshalb sollte die Landesregierung strategisch überlegen, wie sie die medizinische Versorgung weiterentwickeln will."

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