Psychotherapie

Eine Reform liegt auf der langen Bank

Kassen und Psychotherapeuten sind sich darin einig, dass es eine Reform der Psychotherapie geben muss. Über das Wie streiten sie allerdings weiter. Jetzt soll es eine Arbeitsgruppe im Gemeinsamen Bundesausschuss richten.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Eine Psychotherapeutin im Gespräch mit einer Patientin. Oft müssen psychisch Kranke auf einen Therapieplatz warten.

Eine Psychotherapeutin im Gespräch mit einer Patientin. Oft müssen psychisch Kranke auf einen Therapieplatz warten.

© A. Raths / fotolia.com

Psychische Krankheiten verursachen enorme Folgekosten: Zeiten, in denen der Betroffene nicht arbeiten kann, Krankenhausbehandlungen und Frühberentungen. Allein die Ausgaben für Krankengeldzahlungen bei psychischen Erkrankungen betragen jährlich rund zwei Milliarden Euro.

Einer aktuellen Studie der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) zufolge haben seit 2001 vor allem Verhaltensstörungen (plus 74 Prozent) als Grund für eine Erwerbsminderungsrente zugenommen. Eine wesentliche Ursache für die Zunahme der psychischen Erkrankungen liegt laut Kammer unter anderem darin, dass psychisch kranke Menschen nicht oder nicht rechtzeitig behandelt werden.

Das liegt, so sagen Psychotherapeuten, vor allem daran, dass es zu wenige Behandlungsplätze gibt. Dass diese geschaffen werden müssen, darauf pocht vor allem die BPtK seit langem: Denn die ambulante Psychotherapie sei im Vergleich zu den Folgekosten immer noch eine sehr günstige Lösung, argumentiert die Bundeskammer.

Die Honorare niedergelassener Psychotherapeuten betrugen im Jahr 2010 insgesamt 1,7 Milliarden Euro (4,8 Prozent der ambulanten Gesamtkosten). "Dafür investiertes Geld ist gutes Geld", heißt es in einem Positionspapier der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV), das der "Ärzte Zeitung" vorliegt.

Das sieht der GKV-Spitzenverband anders. Er plädierte jüngst für eine kostenneutrale Reform der Psychotherapie. Die Sicherstellung der Versorgung sei mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erreichen, heißt es in dem Kassen-Vorschlag.

Kassen sehen sich auf dem richtigen Weg

Zur Erinnerung: Der GKV-Spitzenverband hatte Ende 2013 für eine Reform der Psychotherapie geworben. Vor allem zwei Vorschläge verursachten Streit: Eine Deckelung der Psychotherapiestunden auf insgesamt 50 Zeitstunden und einer Interimszeit von sechs Wochen nach einer ersten Kurzzeittherapie.

Die Psychotherapeuten reagierten empört auf diese Vorschläge: "Der mit den Portionierungen beabsichtigte Druck auf Patient und Therapeut und die regelhafte Unterbrechung laufender Therapien würden zwangsläufig bei vielen Patienten zu unberechenbaren negativen Auswirkungen auf den Therapieverlauf und die Heilungschancen führen", kritisierten Vertreter des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten. Eine Versorgungsverschlechterung und höhere Kosten wären absehbare Folgen.

Der Kassen-Verband sieht sich auf dem richtigen Weg: "Mit dem Positionspapier konnten wir wichtige Impulse für die inhaltliche Debatte über die Weiterentwicklung der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland geben", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbandes Florian Lanz der "Ärzte Zeitung".

Experten warnen jedoch vor juristischen Fallstricken: Eine solche verordnete Zwangspause könnte als unterlassene Hilfeleistung ausgelegt werden. Sogar von einem Verstoß gegen Berufsrecht ist die Rede. Das müsste in jedem Fall gründlich geprüft werden!

Dass es eine Reform geben muss, darin sind sich Therapeuten und Kassen einig. Gestritten wird jedoch darüber, wie dies geschehen soll. Die Psychotherapeuten kommen anders als die Kassen zu dem Schluss, dass die gut 1000 zusätzlichen Sitze, die mit der Reform der Bedarfsplanung zusätzlich für Psychotherapeuten geschaffen wurden, nicht ausreichen.

Kritik an Sprechstunden-Vorschlag

Der Zugang zu einem Psychotherapeuten sollte "zeitnah" erfolgen, darin herrscht Einigkeit. Die Kassen plädieren für eine vorgeschaltete, obligatorische Sprechstunde für Beratung, Akutbehandlung und Krisenintervention.

Die DPtV widerspricht: Zur ersten Orientierung sei eine Sprechstunde sinnvoll, allerdings sei sie nicht für eine Krisenintervention geeignet. Diese setze eine differenzialdiagnostische Abklärung voraus. Des Weiteren schlagen die Kassen vor, die Anzahl von derzeit fünf auf drei probatorische Sitzungen zu reduzieren.

Auch hier übt die DPtV scharfe Kritik: Durch diese Kürzung auf drei Sitzungen seien Psychotherapeuten und ihre Patienten zu einer vorschnellen und nicht gründlich durchdachten Entscheidung gezwungen, heißt es in dem DPtV-Papier.

Viele entscheidende Fragen sind nach wie vor ungeklärt. Erfreulich ist jedoch, dass beide Seiten Diskussionsbereitschaft signalisieren. "Um die Versorgung der Patienten konkret zu verbessern, setzen wir uns dafür ein, dass beim Gemeinsamen Bundesausschuss möglichst kurzfristig eine Arbeitsgruppe zur Weiterentwicklung der Psychotherapierichtlinie eingesetzt wird", so Lanz.

Vielleicht kann an diesem Tisch gemeinsam mit allen Akteuren eine sinnvolle Lösung im Sinne der Patienten erarbeitet werden.

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