Wirkungslos

Neue Bedarfsplanung verpufft

Nur leichte Verbesserungen bei den Hausärzten, keine Wirkung bei der Verteilung der Fachärzte: Das IGES-Institut stellt der neuen Bedarfsplanung ein schlechtes Zeugnis aus.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Der Pfeil gibt die Richtung vor: Dort geht es lang zum Arzt.

Der Pfeil gibt die Richtung vor: Dort geht es lang zum Arzt.

© Armin Weigel / dpa

BERLIN. Die Bedarfsplanung für Vertragsärzte droht ihre Ziele zu verfehlen. Nach den Gesundheitsweisen kommt nun auch eine Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zu dem Ergebnis, dass die haus- und fachärztliche Versorgung in Schieflage bleibt.

Die regionale Verteilung der Ärzte zwischen Stadt und Land bleibe vor allem bei den grundversorgenden Fachärzten unverändert, betonen die Autoren der Untersuchung in der Reihe Faktencheck Gesundheit, die das Berliner IGES-Institut im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt hat.

Lediglich die Verteilung der Hausarztsitze erfahre durch die neue Planung leichte Verbesserungen. Der Anteil der Regionen, in denen so viele Hausärzte praktizieren können, dass der Bedarf befriedigt ist, steigt demnach mit der neuen Bedarfsplanung von 18,7 auf 46,4 Prozent.

Grund sind die neuen Möglichkeiten für kleinräumige Planung. Die Verbesserungen stehen allerdings nur auf dem Papier. Die Ärzte, die auch künftig abseits der Ballungsräume auf dem Land praktizieren, müssen erst noch gefunden werden.

"Landärztegesetz verfehlt sein Ziel"

Die neue, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) entworfene Bedarfsplanung sorgt sogar für völlig unerwünschte Effekte. Statt mehr Niederlassungsmöglichkeiten zu eröffnen, habe 18 Monate nach Inkrafttreten der neuen Bedarfsplanungsrichtlinie die Zahl der Haus- und Facharztsitze um rund 3500 abgenommen, heißt es im aktuellen Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen.

"Aus den neuen Bedarfsplanungszahlen ergibt sich, dass die ambulante Versorgung zukünftig mit insgesamt weniger Ärzten als heute gemeistert werden soll", schreiben die Gesundheitsweisen in ihrem Ende Juni veröffentlichten Gutachten.

Sie berufen sich auf eine von ihnen angestrengte Befragung aller KVen. Demnach liegt bereits ein Drittel der 886 hausärztlichen Planungsbereiche unter dem angestrebten Versorgungsziel, 52 Mittelbereiche in acht KVen werden sogar als drohend unterversorgt ausgewiesen.

Die Richtlinie des GBA muss nicht eins zu eins umgesetzt werden. Die KVen und Landesausschüsse können davon abweichen. Bislang acht KVen haben die Planung regional angepasst.

Dass es mit der Bedarfsplanung hapert, führt Ursula Faubel darauf zurück, dass keine Veränderungen bei der Berechnung des Bedarfs vorgenommen und weiterhin die Ist-Zahlen an Ärzten der 90er Jahre zugrunde gelegt würden. "Die neue Richtlinie ist der alten sehr ähnlich", sagte die Sprecherin der Patientenvertretung im GBA-Unterausschuss Bedarfsplanung.

Nach wie vor unberücksichtigt blieben die Daten zur künftigen Entwicklung der Bevölkerung. Auch sozioökonomische Faktoren wie Einkommensverteilung und Beschäftigung spielten keine Rolle bei der Ausweisung von Arztsitzen.

"Im Wesentlichen verfehlt das Landärztegesetz sein Ziel", kommentierte Dr. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung, die Ergebnisse des Faktenchecks. Die neue Bedarfsplanung geht auf das als Landärztegesetz bezeichnete Versorgungsstrukturgesetz der schwarz-gelben Koalition zurück.

Etgeton: Bedarfsplanung zwingt Landbewohner für die Behandlung in die Stadt

Ein Manko macht Etgeton bei den grundversorgenden Fachärzten aus. Etwa je ein Drittel der Kinder-, Frauen- und Augenärzte praktiziere in Großstädten, obwohl dort nur ein Viertel der Bevölkerung lebe.

"Die Planung verlangt weiterhin von den Bewohnern des Umlandes, sich in der Stadt behandeln zu lassen", sagte Etgeton.

Ausweislich der IGES-Untersuchung verschärft die aktuelle Planung die Kontraste zwischen unter- und überversorgten Gebieten sogar. Bei den Kinderärzten sinke die Zahl der Kreise mit angemessener Ärztedichte von aktuell 106 auf 89.

Statt derzeit 14 wären nach der Umsetzung der Bedarfspläne künftig 38 Kreise deutlich unterdurchschnittlich mit Kinderärzten versorgt. Gleichzeitig steige die Zahl der Kreise mit überdurchschnittlich vielen Kinderarztsitzen von 15 auf 23.

Den Berechnungen von IGES zufolge kämen dann auf einen Kinderarzt in der Stadt 2405 Kinder, dagegen wäre ein Kinderarzt auf dem Land für 3859 Kinder zuständig.

Bei den Gynäkologen haben die Studienautoren nur in 18 Prozent der Kreise eine annähernde Übereinstimmung des Bedarfs und der Arztsitze gefunden. Gleichzeitig öffnen sich große Versorgungsunterschiede zwischen alten und neuen Ländern.

Die Politikempfehlung der Bertelsmann Stiftung lautet, auch bei den Planungen wohnortnah benötigter Fachärzte die Verhältniszahlen zwischen Einwohner und Arzt denen für Hausärzte anzugleichen und die Planungsgebiete kleinräumiger zuzuschneiden.

 Zudem sollten die morbiditätsbezogenen Faktoren in den Regionen wie Sterblichkeit und Pflegebedürftigkeit bei der Planung herangezogen werden.

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