Bedarfsplanung

Gemeinsam wider die Bürger-Präferenzen?

Ärztemangel, Bevölkerungsschwund, Kliniken am Rande des Ruins – eine sektorübergreifende Bedarfsplanung könnte die Probleme der Gesundheitsversorgung lösen, wenn sie Spielräume für regionale Besonderheiten lässt. Dann wollen aber auch die Länder mehr zu sagen haben.

Julia FrischVon Julia Frisch und Helmut LaschetHelmut Laschet Veröffentlicht:
Bei der Bedarfsstruktur zeigen sich in Deutschland regionale Unterschiede.

Bei der Bedarfsstruktur zeigen sich in Deutschland regionale Unterschiede.

© vege / fotolia.com

BERLIN. "Wir haben gleichförmige Rahmenbedingungen in der gesetzlichen Krankenversicherung, aber die Versorgung ist nicht gleichförmig", verwies Martin Albrecht, Geschäftsführer des IGES-Instituts, bei einer Tagung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) auf die regionalen Unterschiede, die es bei den Versorgungszielen und in der Bedarfsstruktur gibt.

Die einheitlichen Verhältniszahlen in der Bedarfsplanung müssten durch "regionale Entscheidungskompetenz" ersetzt werden.

Frage der Zukunft

Die Frage der Zukunft werde in vielen Regionen sein: "Wenn eine Klinik schließt, kann man dann nicht als Ausgleich die Arztzahlen erhöhen? Und kann nicht andersherum eine Klinik ambulante Leistungen übernehmen, wenn es zu wenig Vertragsärzte gibt?", sagte Josef Hecken, Vorsitzender des Gemeinamen Bundesausschusses (GBA).

Für eine solche sektorübergreifende Bedarfsplanung müssten Länder und Bundesebene besser zusammenarbeiten. Bisher schaue jeder bei der ambulanten Bedarfs- und der Krankenhausplanung nur "autistisch" auf sich selbst, so Hecken.

Eine "echte" sektorübergreifende Planung sei dringend erforderlich, sagte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. "Wenn wir die Ressourcen vernünftig einsetzen wollen, kommen wir an einer engeren Zusammenarbeit von ambulantem und stationärem Sektor nicht vorbei". In Gebieten mit Bevölkerungsschwund müsse entschieden werden, welche Kliniken und welche Vertragsarztpraxen benötigt werden. Das müssten die KVen und Länder vor Ort bestimmen.

Forderung nach mehr Einfluss der Länder

Mehr Einfluss der Länder bei der Versorgungssteuerung forderte Ministerialdirigentin Gabriele Hörl vom Bayerischen Gesundheitsministerium. Eine Versorgungssteuerung mit zentralen Vorgaben lehne der Freistaat ab, in Bezug auf die Krankenhausplanung könne es aus grundgesetzlichen Gründen ohnehin keine bundesgesetzliche Regelung geben.

Sie schlägt eine Verpflichtung für Versorgungskonferenzen unter Beteiligung von Ärzten, Kliniken, Kassen und Kommunen vor.

Die Forderung nach mehr Einfluss der Länder auf die Bedarfsplanung kommentierte Hecken kritisch. "Wenn die Länder eine aktivere Rolle einnehmen wollen, müssen sie auch Mitfinanzierungsverantwortung übernehmen. Wer bestellt, bezahlt." Hecken sprach sich aber dafür aus, Bedarfs- und Krankenhausplanungen künftig abzustimmen. Dafür sei ein Zwang zu Konsultationen im Gesetz notwendig.

90 Prozent halten mehr als 20 Kilometer zum Hausarzt für akzeptabel

Völlig anders als geltende offizielle Bedarfsplanungsdaten sieht die Bevölkerung die Versorgungslage, wie eine Umfrage des Bertelsmann-Gesundheitsmonitors zeigt: Insbesondere bei Fachärzten wird Unterversorgung registriert, nicht nur auf dem Land, auch in Städten. Selbst in Regionen mit zahlenmäßig hoher Versorgungsdichte nehmen die Bürger subjektiv in erheblichem Ausmaß Unterversorgung wahr.

Die Ursache dafür ist nicht die Entfernung zwischen Wohnort und Praxis. Für über 90 Prozent der Befragten – in Stadt und Land – ist die Entfernung zum Hausarzt kürzer als zehn Kilometer, für die meisten davon kürzer als zwei Kilometer. Auch die Distanz zum Facharzt ist eher selten (etwa bei 25 Prozent) größer als zehn Kilometer.

Entfernungen spielen aus Versichertenperspektive eine eher untergeordnete Rolle: Fast 90 Prozent der Befragten halten mehr als 20 Kilometer zum Hausarzt für akzeptabel. Wirklich entscheidend für die Auswahl eines Arztes ist das Vertrauensverhältnis (90 Prozent).

Der Versuch, bei Ärztemangel alternative, eher unpersönliche Services wie Telefon-, Video- oder E-Mail-Kontakt und Telemedizin einzusetzen, hat noch keine breite Akzeptanz gefunden. Hier scheint noch viel Aufklärung nötig.

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