HINTERGRUND

Ärzte und Selbsthilfegruppen - die Bereitschaft zur Kooperation wird größer

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Hilfreich: Ärzte und Vertreter von Selbsthilfegruppen im Dialog.

Hilfreich: Ärzte und Vertreter von Selbsthilfegruppen im Dialog.

© Foto: Imago

"Inzwischen wird auch gelacht". Ein erleichternder Satz, aber er klingt auch ein wenig bitter. Marita Meye hat ihn gesagt, die sich in der KV Nordrhein für die "Kooperationsberatung für Selbsthilfegruppen und Ärzte" (KOSA) engagiert.

KOSA begibt sich auf das Feld der Arzt-Patientenbeziehung, und will Selbsthilfegruppen und Ärzte näher zusammenbringen, Verständigung schaffen und Vorurteile abbauen. In Hessen geht man inzwischen ein Schritt weiter: Patienten werden in die Qualitätszirkel eingeladen und referieren über den Alltag mit ihrer Erkrankung. Umfragen zeigen: Ärzte wissen dieses Patienten-Know-How immer mehr zu schätzen.

"Falsche Vorstellungen von Selbsthilfegruppen"

"Wir haben oft falsche Vorstellungen davon, was Selbsthilfegruppen so machen", sagt Angelika Bogenschütz, Ärztin aus Hessen und bei der KV Hessens Organisatorin der Kooperation von Qualitätszirkeln und Selbsthilfegruppen im Land. "Gut informiert, aber medizinkritisch", umreißt Bogenschütz indessen die Haltung vieler Selbsthilfegruppen, "die Mitglieder erzählen gerne ihre manchmal schlechten Erfahrungen mit Ärzten immer wieder und stempeln sie als arrogant ab."

KOSAs gibt es in sechs KV-Regionen

Inzwischen sind beide Gruppen große Schritte aufeinander zu gegangen, bestätigen Meye und Bogenschütz. Nach Angaben der KBV gibt es KOSAs in sechs KVen. Die ältesten in Nordrhein und in Hessen. Auch die KVen in Baden Württemberg, Sachsen Anhalt, Westfalen Lippe und Niedersachsen haben entsprechende Stellen gegründet. In Niedersachsen wurde sie aus politischen Gründen in "Stabsstelle Patientenorientierung der KVN" umbenannt. Die KOSAs vermitteln mit Hilfe eigens eingerichteter Datenbanken Kontakte, richten Gesprächsrunden oder - wie in Nordrhein - "round tables" zu bestimmten Themen aus.

Vor allem Hessen hat der Zusammenarbeit schon seit dem Jahr 2000 einen besonderen Akzent verliehen. Dort treten Patienten als Referenten auf. Begleitet von speziell ausgebildete Moderatoren, oft Hausärzten, lernen die Kollegen in den Qualitätszirkeln von ihren Patienten. "Das Besondere ist, dass der Patientenalltag in den Vordergrund tritt" erklärte Bogenschütz, "die Kollegen hören sich an, was für Lebensbedingungen, Interessen und Wünsche chronisch Kranke in ihrem Alltag haben."

Tief beeindruckt zeigten sich etwa Ärzte und Psychotherapeuten von Kompetenz und Sachverstand ihrer Patienten, als sie über ihre Erfahrungen etwa mit Ängsten berichteten, so Bogenschütz in einem Bericht. Der Medizinsoziologe Wolfgang Slesina aus Halle bezeichnet Selbsthilfegruppen deshalb als "intermediäre Instanzen" zwischen Ärzten und Patienten, die beiderseitige "Lerneffekte und Handlungsanstöße" ermögliche.

Dirk Mecking, Hausarzt in Duisburg, kann das bestätigen: "Manche unserer gut gemeinten Ratschläge sind nicht alltagstauglich. Aber ich kann nicht auf eigene Erfahrungen zurückgreifen und jede Maske der Schlafapnoe-Patienten selber ausprobieren, um ihren Nutzen zu beurteilen. Unter anderem deshalb brauche ich Selbsthilfegruppen."

Allerdings: "Die Patienten haben zwar oft besseren Zugang zu den Informationsquellen, gerade bei seltenen Krankheiten, aber die medizinische Einordnung können sie nicht leisten", sagt Marita Meye, "dazu brauchen sie natürlich weiterhin die Ärzte."

Dass der Ärzte-Kontakt zu Selbsthilfegruppen allgemein immer häufiger wird, belegt eine Studien des Medizinsoziologen Slesina aus Halle über die Situation in Bielefeld/Kreis Gütersloh.

Von 43,8 Prozent der niedergelassenen Ärzte im Jahr 1988 stieg die Zahl der Ärzte, die schon einmal Kontakt zu Selbsthilfegruppen hatten, auf 58,6 Prozent im Jahr 2003 an. Über Selbsthilfegruppen-Kontakte in den letzten 12 Monaten berichteten im Jahr 2003 genau 35,7 Prozent der niedergelassenen Ärzte, so Slesina. Das dürfte als ermutigende Zahl gelten.

Fragebogenaktion in Niedersachsen

Die guten Erfahrungen haben die KV Niedersachsen bewogen, ebenfalls die Kooperation von Selbsthilfegruppen und Qualitätszirkeln zu fördern. Mit einer Fragebogenaktion hat sich die KV Niedersachsen im Bezirk Oldenburg an die Qualitätszirkel im Bezirk gewandt: Gibt es bereits eine Zusammenarbeit? Haben Sie für die Zukunft Interesse daran? Würden Sie zu einer Informationsveranstaltung kommen? Die Ergebnisse sollen bald ausgewertet werden."

Literatur: Kooperationshandbuch - ein Leitfaden für Ärzte, Psychotherapeuten und Selbsthilfe, Wissenschaftliche Reihe des Zentralinstituts für die Kassenärztliche Versorgung in der BRD.

Deutscher Ärzte-Verlag 2004. 180 Seiten, ISBN 3-7691-8058-5, 29,95 Euro.

STICHWORT

KOSA

Ärzte, Psychotherapeuten und Selbsthilfegruppen wollen fachlich beraten werden, wenn es darum geht, gegenseitige Kontakte zu knüpfen und Kooperationsbeziehungen aufzubauen. Die "Kooperationsberatung für Selbsthilfegruppen und Ärzte" (KOSA) hilft als Vermittler vor Ort, die praktische Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Selbsthilfegruppen zu verbessern. Es geht dabei um Verständigung und den Abbau von Vorurteilen.

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