EU: Neue Regeln zu Bereitschaftsdiensten

BRÜSSEL/BERLIN (spe). Nach jahrelangem Tauziehen haben sich die 27 Arbeits- und Sozialminister der Europäischen Union (EU) in der Nacht zum Dienstag auf eine Änderung der europäischen Arbeitszeitregelungen geeinigt.

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Für deutsche Klinikärzte ändert sich bei der Arbeitszeit erst einmal nichts.

Für deutsche Klinikärzte ändert sich bei der Arbeitszeit erst einmal nichts.

© Foto: dpa

Die Richtlinie enthält Mindeststandards für die Arbeitszeitgestaltung in allen EU-Ländern. Die Europäische Kommission hatte ihren Vorschlag für eine Neufassung der Vorschriften bereits im September 2004 vorgelegt.

Für Deutschlands Klinikärzte bleibt zunächst alles beim Alten. Vertreter der Ärzteschaft fürchten aber, dass sich die Arbeitsbedingungen in deutschen Krankenhäusern aufgrund der neuen Vorschriften langfristig verschlechtern könnten.

Der Kompromiss sieht vor, dass Arbeitnehmer in Krankenhäusern sowie bei Rettungsdiensten und Feuerwehren auch künftig im Schnitt nicht länger als 48 Stunden pro Woche arbeiten dürfen. Gleichwohl soll es möglich sein, die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 65 Stunden heraufzusetzen. Damit sind die EU-Minister vor allem einer Forderung der Briten nachgekommen. Die britische Regierung hatte verlangt, tarifvertragliche Ausnahmeregelungen (opt out) zur Verlängerung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit weiterhin zuzulassen. Deutschland und einige osteuropäische Länder haben diese Position unterstützt. Die Kommission hatte vorgeschlagen, das opt out abzuschaffen. Bevor die Änderungen in Kraft treten können, müssen die Europaabgeordneten über die Vorschläge zur Höchstarbeitszeit und zur Definition der Bereitschaftsdienste abstimmen. Dass sie dem Kompromiss vollständig mittragen werden, gilt jedoch als unwahrscheinlich. Die Abgeordneten hatten sich schon 2005 gegen die Opt-out-Regelung ausgesprochen.

Für mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitgestaltung soll die Neudefinition der ärztlichen Bereitschaftsdienste sorgen. Die EU-Minister einigten sich darauf, dass die Dienste künftig in aktive und inaktive Phasen unterteilt werden sollen. Als "inaktiv" gilt beispielsweise ein Arzt, der während seiner Bereitschaft schläft. Diese Zeiten sollen nicht mehr auf die Arbeitszeit angerechnet werden dürfen. Die Höchstgrenze für eine geregelte Arbeitszeit unter Anrechnung der aktiven Bereitschaftsdienstphasen soll maximal 65 Stunden betragen dürfen. Dem deutschen Arbeitszeitrecht zufolge sind Bereitschaftsdienste seit Anfang letzten Jahres voll auf die Arbeitszeit anzurechnen.

Damit trägt der deutsche Gesetzgeber der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) Rechnung. Die Richter hatten in mehreren Urteilen bestätigt, dass die gesamte Zeit, die ein Arzt im Bereitschaftsdienst ableistet, als Arbeitszeit anerkannt werden müsse. Die Neufassung der Vorschriften war dennoch nötig geworden, da sich die meisten europäischen Staaten weigern, diese Rechtsprechung in eigenes Recht umzusetzen. Sowohl Bundesarbeitsminister Olaf Scholz als auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (beide SPD) versicherten gestern, dass das deutsche Arbeitszeitgesetz trotz der geplanten Änderungen unverändert bestehen bleiben werde. Deutschland habe eines der "fortschrittlichsten Arbeitszeitrechte in Europa", das für viele Ärzte eine Entlastung bedeute, sagte Scholz.

Auch die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) geht davon aus, dass sich für die Krankenhausärzte zunächst nichts ändern wird. "Wir verlassen uns auf das Wort des Ministers", so Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des MB. Er kritisiert jedoch, dass die Neudefinition des Bereitschaftsdienstes Spielraum für Interpretationen lasse. Da die inaktiven Phasen nicht zur Arbeitszeit zählen sollen, wäre es theoretisch denkbar, dass die Ärzte über ihre geregelte Arbeitszeit hinaus verfügbar sein müssten. Das widerspräche dem Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu garantieren, so Ehl.

STICHWORT

Arbeitszeitrichtlinie

Die Europäische Kommission hatte Ende September 2004 einen Vorschlag für eine aktualisierte Fassung der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt. Die Regelung gilt unter anderem für Krankenhäuser, Rettungsdienstellen, Pflegeeinrichtungen und Feuerwehren. Die neuen Mindeststandards, an die sich alle EU-Länder halten müssen, sollen den entsprechenden Branchen eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung ermöglichen.

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