Interview

Ulla Schmidt: "Die Honorarreform wird für eine faire, transparente und kalkulierbare Vergütung sorgen"

Der Honorarbeschluss der vergangenen Woche eröffnet nach Ansicht von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt die Chance für eine bessere Versorgung und eine faire Bezahlung der Ärzte. Dazu äußert sie sich im Interview mit der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Frau Schmidt, die Ärzte erhalten 2009 rund 2,7 Milliarden Euro mehr Honorar. Wer hat mehr Federn lassen müssen: die Ärzte, die Kassen oder die Politik?

Schmidt: Das sollen schlaue Kommentatoren entscheiden. Für mich ist wichtig, dass das Kernanliegen der Gesundheitsreform vorankommt. Das lautet: eine sichere, qualitativ sogar bessere Versorgung der Patienten durchzusetzen. Die neue Honorar-struktur ist ein wichtiger Schritt dahin.

Ärzte Zeitung: Wenn man die Politik der letzten Jahre Revue passieren lässt, fällt auf, dass die Budgetierung des Gesundheitswesens sukzessive gelockert worden ist. 2009 soll nun das Morbiditätsrisiko auf die Kassen übergehen. Können die niedergelassenen Ärzte damit rechnen, dass ihre Arbeit künftig fair bezahlt wird?

Schmidt: Das ist ein Ziel der Honorarreform: Die Ärzte sollen nicht nur eine faire, sondern auch eine transparente und kalkulierbare Vergütung bekommen. Das Instrument hierzu ist die Euro-Cent-Gebührenordnung. Jede Krankenkasse wird außerdem künftig für die gleiche Leistung den gleichen Betrag an die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung überweisen. Das neue Honorarsystem wird es auch ermöglichen, wünschenswerte Leistungen - etwa die Weiterbildung in der Geriatrie, Angebote der Prävention oder Hausbesuche der Allgemeinmediziner - besser als heute zu vergüten.

Ärzte Zeitung: Hört man in die Ärzteschaft hinein, wird all das aber kaum registriert. Woran liegt es, dass Ihre Politik von den Ärzten anders wahrgenommen wird?

Schmidt: Vielleicht, weil in Deutschland zunächst einmal alles zerredet wird. Im Ausland nennen manche das "German disease". Die Regierung kann freilich den heftigen Streit zwischen den Arztgruppen selbst kaum auffangen. Weil es auch in Zukunft eine Obergrenze bei der Vergütung geben wird, werden Konflikte immer wieder aufbrechen. Ich merke aber auf meinen Veranstaltungen, dass die Stimmung unter den Ärzten an der Basis anders ist, als immer wieder behauptet wird.

Ärzte Zeitung: Ein Generalvorwurf an Ihre Adresse lautet: Die Ministerin will aus niedergelassenen Ärzten angestellte Mediziner in MVZ und an Kliniken machen. Haben Sie vor, die Vertragsärztelandschaft auszutrocknen?

Schmidt: Nein, niemand will die Vertragsärzteschaft abschaffen. Ich halte am System aus ambulanter und stationärer Versorgung fest. Was ich will, ist, dass die beteiligten Akteure zusammenarbeiten, dass miteinander geredet wird, Leistungen aufeinander abgestimmt werden. Und dass dort, wo besondere Qualifikationen bei der Bekämpfung schwerer oder seltener Krankheiten erforderlich sind, eine Kompetenzbildung in Zentren erfolgt. Die Behandlung soll dann in Kooperation mit den niedergelassenen Ärzten stattfinden.

Ärzte Zeitung: Angesichts der Entwicklungen der vergangenen Jahre: Würden Sie jungen Menschen heute raten, noch Mediziner zu werden?

Schmidt: Selbstverständlich! Der Arztberuf ist einer der schönsten Berufe und einer der sichersten. Es gibt keinen zweiten Beruf, bei dem die Kinder so selbstverständlich in die Fußstapfen ihrer Eltern treten wie beim Arztberuf.

Ärzte Zeitung: All das, was an zusätzlichen Mitteln ins Gesundheitssystem fließen soll, muss vom Versicherten erst einmal aufgebracht werden. Im Oktober werden Sie im Bundeskabinett den einheitlichen Beitragssatz für den Gesundheitsfonds festlegen. Auf welchen Satz müssen sich die Versicherten einstellen: 15,5, 15,6 oder 15,8 Prozent?

Schmidt: Wir werden sehen, welchen Beitragssatz der Schätzerkreis Ende September vorschlagen wird. Dieser wird auch davon abhängen, auf welche Unterstützung wir uns mit den Ländern einigen werden, was die Investitionen in den Krankenhäusern sowie die Abfederung der zusätzlichen Lasten der Kliniken durch die Tarifabschlüsse angeht. Außerdem wollen wir ein Programm auflegen, mit dem 21 000 zusätzliche Pflegestellen geschaffen werden sollen. Der neue Beitragssatz muss folgendes leisten: Er muss zu 100 Prozent das finanzieren, was 2009 in der gesetzlichen Krankenversicherung gebraucht wird.

Ärzte Zeitung: Um den Beitragssatzanstieg abzufedern, könnten Sie den Steuerzuschuss für den Gesundheitsfonds erhöhen.

Schmidt: Der Bund zahlt bereits ab 2009 jedes Jahr 1,5 Milliarden Euro mehr aus Steuermitteln, insgesamt am Ende 14 Milliarden Euro jährlich. Der Bund schreibt immer noch rote Zahlen. Vorrangiges Ziel der Koalition ist es, die Neuverschuldung auf Null zu fahren. Deswegen ist derzeit im Haushalt nicht noch mehr Geld für den Fonds vorhanden.

Ärzte Zeitung: Kommen wir zur hausarztzentrierten Versorgung. Wir erleben derzeit eine zum Teil heftige Auseinandersetzung um den AOK-Hausarztvertrag in Baden-Württemberg. Teilweise liegen die Nerven blank. Was halten Sie von dem Vorschlag Bayerns, den Verbänden den ersten Zugriff auf solche Verträge einzuräumen?

Schmidt: Ich hätte es lieber gesehen, dass die Hausärzte ihre eigenen Belange innerhalb der Kassenärztlichen Vereinigungen selbst bestimmen können. Leider sind die Körperschaften darauf nicht eingegangen, und es hat über viele Jahre eine Dominanz der Fachärzte über die Hausärzte gegeben. Daraus ist dann der Wunsch der Hausärzte entstanden, außerhalb der Körperschaften für die eigenen Interessen einzutreten. Wir haben darauf reagiert und den Weg über die Verbände gewählt. Der Vorschlag Bayerns ist dazu ein Kompromiss, der allerdings Hürden aufstellt.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet der Vorschlag Bayerns für die Kassenärztlichen Vereinigungen?

Schmidt: Dass sie sich mehr um die Hausärzte kümmern müssen. Dazu gehört, selbst gute Angebote für die Hausärzte zu organisieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir eine starke hausärztliche Versorgung brauchen. In einer Gesellschaft des längeren Lebens mit mehr chronisch kranken und multimorbiden Menschen geht es einfach nicht ohne die Hausärzte. Ohne tüchtige Hausärzte, füge ich hinzu.

Ärzte Zeitung: Die Pläne in Baden-Württemberg sehen außer dem Hausarztvertrag nach Paragraf 73b auch eine Vernetzung mit den Fachärzten über den Paragrafen 73c vor...

Schmidt: ...ich finde, das ist das A und O der Versorgung. Es reicht eben nicht aus, die Verordnungen zu begrenzen. Dann geht der Patient eben zu einem anderen Arzt. Die Vernetzung ist der Schlüssel dafür, dass unnütze Doppeluntersuchungen vermieden werden. Dafür bedarf es einer gemeinsamen Dokumentation. Wir brauchen interdisziplinäre Angebote gerade für ältere, multimorbide Menschen. Ziel muss es sein, die Selbstständigkeit der Menschen so lang wie möglich zu erhalten - und das Gesundheitssystem bezahlbar zu halten.

Ärzte Zeitung: Die Altersgrenze für Vertragsärzte soll fallen. Viele Niedergelassene, die in den vergangenen Wochen 68 Jahre alt geworden sind oder es noch werden, hoffen, dass auch sie noch von der Aufhebung der Altersgrenze profitieren können. Werden Sie diesen Ärzten entgegen kommen?

Schmidt: Meine Haltung ist: die, die möchten, sollen weiter praktizieren können. Ich werde mich für eine Lösung in diesem Sinne einsetzen. Wie diese im Einzelnen aussehen könnte, wollen wir auf der Anhörung des Gesundheitsausschusses zum GKV-Weiterentwicklungsgesetz am 24. September herausfinden.

Ärzte Zeitung: Sie sind seit 2001 Gesundheitsministerin und damit länger im Amt als alle Ihre Vorgänger. Was würden Sie heute anders machen?

Schmidt: Ich würde zum einen keine Prognose mehr zu Beitragssätzen abgeben, da die wirtschaftliche Lage, die Einnahmebasis der Kassen viel zu schwer prognostizierbar ist. Zum anderen hätte ich mir gewünscht, dass die EBM-Reform schon 2007 komplett umgesetzt worden wäre.

Ärzte Zeitung: Nur noch ein Jahr bis zur Bundestagswahl: Kriegt die SPD noch einmal die Kurve, um an der Regierung zu bleiben?

Schmidt: Davon bin ich fest überzeugt. Ich kämpfe für eine Mehrheit der SPD.

Ärzte Zeitung: …mit einer Gesundheitsministerin Ulla Schmidt?

Schmidt: Daran verschwende ich jetzt keinen Gedanken. Ich werde erneut in Aachen für den Deutschen Bundestag kandidieren. Mein Gegenkandidat wird der Vorsitzende des Marburger Bundes (Anm. d. Red.: Rudolf Henke, CDU-Landtagsabgeordneter im Düsseldorfer Landtag) sein.

Frau Schmidt, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Wolfgang van den Bergh und Bülent Erdogan.

Lesen Sie dazu auch: Schmidt stärkt Hausärzten den Rücken

Zur Person

Ulla Schmidt wurde am 13. Juni 1949 geboren. Nach Abitur und Studium arbeitete sie von 1976 bis 1990 als Lehrerin mit lernbehinderten und schwer erziehbaren Kindern. 1983 trat die Aachenerin in die SPD ein, seit 1990 gehört sie dem Bundestag an. Seit Januar 2001 ist sie Bundesgesundheitsministerin. Schmidt ist geschieden und hat eine Tochter.

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