Vergütungsreform: Baustelle mit Fallgruben

Die Vergütungsreform bleibt eine Baustelle. Bis zur Jahresmitte will die KBV Korrekturen durchsetzen, mit denen Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten der am 1. Januar in Kraft getretenen Reform behoben werden sollen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

KBV-Chef Dr. Andreas Köhler war wohl selbst überrascht über die Zahlen, die er der Öffentlichkeit am vergangenen Freitag in Berlin präsentierte: Schon im vergangenen Jahr haben die Ärzte nach den jetzt vorliegenden Abrechnungen für das erste Halbjahr kräftig dazu verdient. Das Gesamthonorar stieg um sechs Prozent auf mehr als 14,35 Milliarden Euro - hochgerechnet auf das Gesamtjahr wäre dies ein Zuwachs von 1,77 Milliarden Euro. Bei allen Berechnungen im Erweiterten Bewertungsausschuss hat man nur das Grundlohnplus unterstellt - und das wären nur 222 Millionen Euro gewesen.

Fest steht aber: Im Vergleich zu 2007 bekommen die Vertragsärzte drei Milliarden Euro zusätzlich, insgesamt 30,393 Milliarden Euro. Nur die Zuwächse verteilen sich zeitlich anders als in den Simulationsrechnungen bislang unterstellt. Und dieser Effekt führt dazu, dass die Zuwächse in diesem Jahr im Vergleich zum Vorjahr viel niedriger ausfallen.

Schmidt: Kein Spielraum für Mehrforderungen

Der Erfolg, den die KVen bereits 2008 in ihrer jeweiligen Region eingefahren haben, bereitet nun einiges Kopfzerbrechen. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um förderungswürdige Leistungen, die extrabudgetär mit einem Punktwert bezahlt worden sind, der teils deutlich über dem heute geltenden einheitlichen Orientierungspunktwert von 3,5 Cent liegt.

Bereits im August vergangenen Jahres hatte der Erweiterte Bewertungsausschuss dafür eine Öffnungsklausel beschlossen: Regional können die KVen für diese Leistungen einen Zuschlag vereinbaren, wobei die bislang geltenden Verträge berücksichtigt werden sollten.

Die spannende Frage ist: Woher soll das Geld genommen werden? Hoffnung auf frisches Geld machte zunächst ein Schreiben von BMG-Staatssekretär Klaus Theo Schröder vom 16. September: "Generell gehe ich davon aus, dass der Bewertungsausschuss die Regelungen im Rahmen seines großen Entscheidungsspielraums so ausgestalten kann, dass auftretende Versorgungsprobleme in einzelnen Regionen vermieden werden, ohne zugleich das finanzielle Gesamtergebnis des Beschlusses maßgeblich zu verändern." Das sah nach einer Öffnungsklausel aus.

Diese Hoffnung starb am 3. November. Da teilte das BMG mit, "dass leistungsbezogene Zuschläge zum Orientierungswert in einer gesetzeskonformen Auslegung ... allein aus Rückstellungen ... zu finanzieren sind". Eine Auffassung, die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt, am letzten Freitag noch einmal bekräftigte: Drei Milliarden Euro zusätzlich sind den Ärzten garantiert - aber kein Cent mehr! "Für neue Mehrforderungen ist kein Spielraum", so Schmidt.

Verteilungskonflikt wieder bei den Ärzten

Damit landet der Verteilungskonflikt wieder bei der ärztlichen Selbstverwaltung. Neu ist: Planungssicherheit haben die Ärzte jetzt mit den Regelleistungsvolumina - für eine vorgegebene Leistungsmenge bekommen sie vorab feststehendes Honorar.

Von der Gesamtvergütung müssen aber erhebliche Teile abgezweigt werden: für abgestaffelt honorierte Leistungen jenseits des Regelleistungsvolumens, für Ärzte, die kein RLV haben und für Leistungen, die extrabudgetär (also ganz außerhalb der RLV) honoriert werden.

Das ist je nach Fachgruppe und je nach KV höchst unterschiedlich. Allein bei den Hausärzten betragen die Rückstellungen je Arzt und Quartal zwischen 7900 und über 12 000 Euro. Bei den Fachärzten liegt die Spanne zwischen knapp 13 000 Euro und gut 22 000 Euro. Wollte man für extrabudgetär vergütete Leistungen Zuschläge vereinbaren, müssten die Rückstellungen erhöht werden - und dies ginge nur auf Kosten des Honorars für die Regelleistungsvolumina.

Nach den ersten Korrekturbeschlüssen des Erweiterten Bewertungsausschusses vom 15. Januar - er erlaubt eine Begrenzung von Honorarverlusten auf einen von KVen regional zu vereinbarenden Maximalwert zulasten der Gewinner und eine bessere Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten - hat die KBV weiteren Änderungsbedarf definiert:

Noch im Februar soll der Erweiterte Bewertungsausschuss über die Zuschläge zum Orientierungswert für besonders förderungswürdige Leistungen entscheiden. Außerdem, so fordert die KBV, sollen ambulante Operationen im Krankenhaus und alle belegärztlichen Leistungen aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung herausgenommen werden.

Die RLV werden gründlich überarbeitet

Mit Wirkung zum 1. Juli 2009 sollen die Regelleistungsvolumen neu berechnet werden. Dann soll es auch Zusatz-RLV geben, beispielsweise für qualifikationsgebundene Leistungen bei Haus- und Fachärzten. Eine weitere Differenzierung soll nach über- und unterdurchschnittlicher Leistungserbringung möglich werden.

Bestimmte Leistungen, wie Bronchoskopie, Gastroskopie, Narkosen und Gesprächsleistungen von Psychiatern und Nervenärzten sollen außerhalb des Regellleistungsvolumens vergütet werden. Am 27. Februar wird ferner über die Honorierung delegationsfähiger Leistungen verhandelt. Die Positionen liegen derzeit weit auseinander - sieben Euro pro Krankenbesuch durch eine Arzthelferin bieten die Krankenkassen, die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordert zwischen 14 und 18 Euro.

Außerdem soll die Kalkulation der EBM-Punktzahlen auf eine neue Grundlage gestellt werden. Denn die Punktzahlen basieren auf einem Punktwert von 5,11 Cent, der geltende Punktwert liegt aber bei 3,5 Cent. Entsprechend sollen die Punktzahlen erhöht werden. Da aber nicht mehr Geld dafür ins System fließt, würde diese Operation aber auf eine Leistungsrationierung hinauslaufen.

Hürden für neue EBM-Leistungen

Auch wenn nach der Vergütungsreform die Morbidität der Versicherten das wesentliche Kriterium dafür ist, wieviel Honorar zur Verfügung gestellt werden muss - neue Leistungen in den EBM aufzunehmen, bleibt ein Problem. Beispiele:

Delegationsfähige Leistungen: die Kassen bieten gerade einmal sieben Euro - die KBV fordert deutlich mehr.

Balneophototherapie ist nach einer Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses eine GKV-Leistung. Die Aufnahme in den EBM wurde zurückgestellt.

Das Neugeborenen-Hörscreening, ebenfalls vom Bundesausschuss beschlossen, wird nicht in den EBM aufgenommen.

Die Intravitreale Injektion, wichtig für Augenärzte bei der behandlung von Patienten mit feuchter altersbedingter Makuladegeneration, kommt ebenfalls nicht in den EBM.

Die Versorgung von HIV-/Aids-Patienten wird kurzfristig ebenfalls nicht nach einer bundeseinheitlichen Regelung vergütet; allerdings werden regionale Vereinbarungen entsprechend verlängert. (HL)

Die Gesamtvergütung der Ärzte steigt jetzt im Vergleich zu 2008 um 4,2 Prozent
30,4 Milliarden Euro Gesamthonorar / Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg mit Rückgängen
Kassenärztliche
Vereinigung
Simulierte Gesamtvergütung 2009 lt. Bewertungsausschuss Veränderung 2009 zu 2007 in Mio. Euro + in % Veränderung 2009 zu 2008** in Mio.Euro + in %
Schleswig-Holstein 978,3 58,1 6,3 % - 7,4 - 0,7 %
Hamburg 654,6 53,5 8,9 % 25,9 4,1 %
Bremen 266,7 18,9 7,6 % 8,4 3,2 %
Niedersachsen 3.056,9 433,2 16,5 % 318,0 11,6 %
Westfalen-Lippe 2.817,2 270,2 10,6 % 27,4 1,0 %
Nordrhein 3.306,5 202,1 6,5 % 18,3 0,6 %
Hessen 2.220,1 209,3 10,4 % 66,7 3,1 %
Rheinland-Pfalz 1.418,0 112,4 8,6 % 26,4 1,9 %
Baden-Württemberg 3.775,0 92,4 2,5 % - 134,7 - 3,4 %
Bayerns 4.967,4 294,4 6,3 % 78,6 1,6 %
Berlin 1.308,4 142,4 12,2 % 72,4 5,9 %
Saarland 398,5 47,4 13,5 % 32,5 8,9 %
Mecklenburg-Vorp. 695,6 112,1 19,2 % 71,2 11,4 %
Brandenburg 922,3 128,0 16,1 % 70,3 8,3 %
Sachsen-Anhalt 905,3 147,1 19,4 % 103,6 12,9 %
Thüringen 828,7 163,7 24,6 % 122,9 17,4 %
Sachsen 1.608,2 265,9 19,8 % 198,8 14,1 %
Gesamt 30.392,7 3.004,9 11,0 % 1.232,0 4,2 %
West 25.167,6 1.930,2 8,3 % 532,5 2,2 %
Ost 4.960,0 816,6 19,7 % 566,9 12,9 %
*einschl. der erwarteten Vergütungen für Leistungen des Hautkrebs-Screenings und der U7a in Höhe von 265 Mio. Euro
** Gesamtvergütung 2008 hochgerechnet aus den Abrechnungsdaten des 1. Halbjahres 2008
Quelle: KBVTabelle: ÄRZTE ZEITUNG

Lesen Sie dazu auch: Hohes Honorarplus 2008 schmälert Zuwachs in 2009

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