Die Reform der Körperschaften entpuppt sich heute als grandioser Fehlschlag

Die Körperschaften sind angezählt. Die Chaos-Kommunikation in Sachen Euro-EBM hat für viele Ärzte das Fass zum Überlaufen gebracht. Doch wer die KVen abschaffen will, muss sagen, wer deren Job übernehmen soll.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:

Die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Bundesvertretung stecken in einer der schwersten Krisen seit ihrer Gründung. Der öffentliche Druck, die über Jahre gewachsenen KV-Strukturen spätestens in der nächsten Legislaturperiode zu zerschlagen, nimmt zu. Auch nach der KBV-Vertreterversammlung am vergangenen Donnerstag bleibt die Zukunft ungewiss. Was bedeutet das für die 150 000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten?

Ein Blick zurück: Die rot-grüne Koalition hatte den Ärzten zu Beginn des Jahres 2004 mehr Professionalität verordnet. Im GKV-Modernisierungsgesetz wurde festgeschrieben, dass der gesamte Verwaltungsapparat von KVen und KBV verschlankt, aber auch mit mehr Befugnissen im Innenverhältnis, vor allem mit Blick auf die Aufgaben der Hauptgeschäftsführung ausgestattet werden sollte. Im Außenverhältnis wurde jedoch deren Handlungsspielräume beschnitten. Ein Beleg dafür ist der Ausschluss von der Integrationsversorgung (Paragraf 140). Berufsverbände, Ärztenetze und Genossenschaften sollten auf Augenhöhe mit den Kassen verhandeln dürfen. Der erste Schritt in Richtung Aushöhlung des Sicherstellungsauftrags war getan.

Es gab auch von Seiten der Koalition überhaupt nicht den Wunsch, die Rolle der KV als Interessenvertreter zu stärken. Im Gegenteil: Durch die Erweiterung der Kompetenzen im Innern setzte man vielmehr auf den staatlichen Erfüllungsgehilfen.

Auch personell waren die Erwartungen hochgesteckt. Die Hauptamtlichkeit wurde für KV-Vorstände zur Pflicht erhoben. Die Arbeitszeit der neuen KV-Chefs in eigener Praxis sollte gegen null gefahren werden. Doch: Warum sollten dieselben KV-Vorstände, die jahrelang ihren Job semiprofessionell gemacht haben, plötzlich die KV-Welt völlig neu gestalten? Im Jahre 2005 merkte "Ironius" in der "Ärzte Zeitung" kritisch an: "Sie werden wahrscheinlich nach sechsjähriger Amtszeit sofort oder alsbald in Rente gehen: Ihre Positionen sind sicher, wenn sie nicht gerade goldene Löffel stehlen(!)" Sollte "Ironius" vier Jahre später Recht behalten?

Politiker wollten nie eine selbstbewusste KV.

Fakt ist, dass nur wenige KVen in den vergangenen Chaos-Wochen in der Lage waren, den neuen Euro-EBM ihren Ärzten verständlich zu erklären. Späte und unvollständige Rundschreiben haben Ärzte im Unklaren gelassen, auf welcher Grundlage das Honorar kalkuliert wurde. Da schielte man dann doch wieder Richtung Berlin und wusste sehr schnell, an wen man den Schwarzen Peter weiterreichen konnte.

Geradezu bizarr ist der Versuch des obersten Kassenarztes aus Bayern, der zum Rundumschlag ausholt, seine Kollegen der Gier und qualitativen Mittelmäßigkeit bezichtigt und dabei offenbar völlig ausblendet, seit Jahren selbst Teil dieses Systems zu sein. In verantwortlicher Position hätte und hat er mehrfach die Möglichkeit zur völligen Neu- und Umgestaltung gehabt. Zur Erinnerung: Bis Mitte 2004 saß Bayerns KV-Chef sogar im KBV-Vorstand.

Ziel der rot-grünen Koalition war die sukzessive Schwächung des Monopolisten Kassenärztliche Vereinigung. Parallel dazu sollten die Verbände gestärkt werden. Daran hat auch die große Koalition nicht gerüttelt. Im Gegenteil: Auf Betreiben der CSU wurde die Position des Hausarztverbandes so privilegiert, dass er von der KV das alte Monopol übernehmen könnte. Über den Bundesrat soll das nun wiederum korrigiert werden.

Im SGB V gibt es keine Bestandsgarantie für KVen und KBV. Deren Aufgaben können durchaus auch von anderen Institutionen übernommen werden. Nur: Wer käme dafür infrage? Als potenzieller Kandidat böte sich der Hausärzteverband an. In Vertragsangelegenheiten hat der Verband schon längst seine Kompetenz unter Beweis gestellt. Bestes Beispiel dafür sind eben nicht mehr nur Hausarztverträge in Bayern und Baden-Württemberg. Der Vertrag mit den Rentenversicherungsträgern in Baden-Württemberg zur Nachbetreuung von Reha-Patienten ist ein weiterer Beleg für sein Verhandlungsgeschick. Parallel dazu bastelt der nächste Ärzteverbund an Verträgen zur spezialisierten fachärztlichen Versorgung - und das alles unbeeindruckt von den aktuellen Querelen innerhalb der KVen.

Die Ansprüche an eine Vollversorgung sind hoch.

Es ist noch zu früh abzuschätzen, ob Verbände irgendwann die Rolle der KVen übernehmen werden - entscheidend ist das Umfeld. Das ist in Baden-Württemberg aus Sicht der Verbände ideal - ein professionelles Zweckbündnis zwischen Hausärzteverband und Medi, eine hoch motivierte Krankenkasse, die bereit ist, für neue Versorgungsformen Geld in die Hand zu nehmen, und schließlich ein schwacher KV-Vorstand. Dort, wo Verbände und Kassen gemeinsam bereit sind, die komplette ambulante Versorgung zu organisieren, stellen sie eine echte Alternative zur KV dar. Aber nur dort.

Politiker, die jetzt nach der Abschaffung der KVen rufen, sollten sehr wohl bedenken, dass deren Aufgaben von anderen Gremien übernommen werden müssen. Sonst würde auf das Chaos das Nirvana folgen. Wer würde sich sonst um die Honorarverteilung, das Vertragsgeschäft, das Prüfwesen, die Qualitätssicherung und die Fortbildung kümmern? Auch auf diese Frage wird Bayerns CSU-Gesundheitsminister Markus Söder nach den Exerzitien in Kloster Banz eine Antwort geben müssen.

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