Hintergrund

Ärzte, Patienten und Kassen zufrieden? Dann hat Integrierte Versorgung eine Zukunft

Anschubfinanzierung für Integrierte Versorgung (IV)? Das war gestern. Lassen die Kassen die viel diskutierten IV-Modelle deshalb jetzt vor die Wand fahren? Keineswegs! IV kann durchaus Zukunft haben - wie erfolgreiche Projekte mit Diabetespatienten zeigen.

Christoph FuhrVon Christoph Fuhr Veröffentlicht:

"Über 50 aktive Direktverträge allein zu Diabetes" hat die Taunus BKK abgeschlossen. "Wir bewegen hier Riesensummen" sagt der Leiter Vertragswesen der Kasse Andrée Helten, "ein Vertrag, der sich nicht rechnet, würde uns ruinieren".

Wie ein erfolgreicher Vertrag nach Paragraph 140ff SGB V funktioniert, das erläuterte Helten vor kurzem bei einer Fortbildungsveranstaltung über Diabetes und Direktverträge in Frankfurt am Main.

Patienten werden immer wieder an Therapie erinnert

Zur Vertragspalette der Taunus BKK gehört zum Beispiel Diabetiva, ein bundesweites IV-Betreuungsprogramm, bei dem die Kasse mit dem Dienstleister PHTS Telemedizin kooperiert. Wer als Patient mitmacht, erhält ein Blutzuckermessgerät, misst zu Hause regelmäßig Werte nach Vorgabe des behandelnden Arztes und übermittelt über ein Modem die Daten an das Telemedizinische Zentrum von PHTS. Dort werden die Werte in einer Fallakte dokumentiert und stehen behandelnden Ärzten zur Verfügung. Therapie kann so zeitnah angepasst und verändert werden.

In regelmäßigen Telefonaten erhalten die Patienten zudem Hintergrundinformationen zu Diabetes und werden immer wieder an ihre Therapieempfehlungen erinnert.

Die Ergebnisse können sich aus Sicht der Taunus BKK sehen lassen. Die Zahl der Klinikeinweisungen war nach einem halben Jahr zusätzlicher telemedizinischer Betreuung mit dem Diabetiva-Programm um 20 Prozent niedriger als bei einer Kontrollgruppe. Die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus ging bei den telemedizinisch betreuten Patienten um 36 Prozent zurück. Die Durchschnittskosten pro Klinikaufenthalt sanken um 25,5 Prozent.

Ziehen Versorger wie Diabetologen, Gefäßspezialisten, Orthopäden und Hausärzte an einem Strang, kommt das den Patienten zugute. Das zeigt auch ein bei der Veranstaltung in Frankfurt vorgestelltes Modell aus dem Rhein-Main-Gebiet. Dort hat die AOK Hessen einen IV-Vertrag mit dem Bürgerhospital Frankfurt, dem Stadtkrankenhaus Offenbach sowie Hausärzten und diabetologischen Schwerpunktpraxen geschlossen. Einer von vielen Vorteilen für Patienten ist der direkte und schnelle Zugang zu Ärzten, die viel Erfahrung mit dem diabetischen Fußsyndrom haben. Dr. Christian-Dominik Möller, leitender Arzt der Klink für Diabetologie am Bürgerhospital Frankfurt, zeigte sich überzeugt von diesem Konzept. Seine Zwischenbilanz: Patienten sind zufrieden, die Kasse spart Geld durch die Vermeidung von Rezidiv-Ulzera, die Abrechnung für beteiligte Ärzte erfolgt auf Basis von Komplexpauschalen, "extrabudgetär, ohne Regressgefahr, unkompliziert, weil direkt mit der Krankenkasse".

Und noch ein Vertrag wurde in Frankfurt gewürdigt, den die AOK Hessen, die Gesellschaft für angewandte integrierte Versorgungsformen (GiV) und das Gesundheitsnetz Osthessen (GNO) abgeschlossen haben: AOK aktiv + vital, ein Betreuungskonzept für diabetesgefährdete Menschen und Patienten, die bereits an Diabetes Typ 2 erkrankt sind.

Ziel des Programms: eine medizinisch hochqualitative Versorgung von Patienten, um Folgeerkrankungen, Komplikationen und auch das Auftreten der Erkrankung an sich zu verhindern. Der Hausarzt ist Koordinator. Für jeden eingeschriebenen Patienten werden individuelle medizinische Zielwerte vereinbart. Der Erfolg wird danach gemessen, ob und inwieweit sich beeinflussbare Krankheitswerte tatsächlich verbessert haben oder im Zielwertbereich liegen (Blutdruck, HbA1c, Triglyceride). Der behandelnde Arzt erhält neben einer Dokumentationspauschale eine erfolgsabhängige Vergütung, die sich an der Entwicklung dieser medizinischen Werte orientiert. Ein - zumindest in Teilbereichen - "pay for performance"-Modell, das, wie der Vorsitzende des Verbundes Hessischer Ärztenetze Dr. Jörg Simon berichtete, nicht nur bei Patienten gut ankommt.

Erfolgreiche Modelle können sich durchsetzen

Derzeit, so Simon, sind etwa 5000 Patienten eingeschrieben, 100 Praxen machen aktiv mit, 160 000 Euro hat die AOK inzwischen an extrabudgetären Leistungen ausgeschüttet.

Noch Ende vergangenen Jahres hatten Skeptiker befürchtet, dass das Auslaufen der Anschubfinanzierung nicht nur für unwirtschaftliche und mit einem zu kleinen Volumen angelegte IV-Verträge das Ende bedeute, sondern dass die IV insgesamt in Frage gestellt sei.

In Frankfurt wurde deutlich: Für erfolgreiche Modelle nach Paragraf 140ff SGB V, die die Versorgung verbessern und die sich für die Krankenkassen rechnen, gibt es durchaus eine Zukunft.

Bereinigungs-Regelungen sind nicht geklärt

Integrierte Versorgungsverträge nach Paragraph 140ff SGB V haben dann eine Zukunft, wenn sie dazu beitragen, dass Versorgung qualitativ verbessert oder wirtschaftlicher wird. "Gleiche Qualität zu günstigerem Preis oder bessere Qualität zu zumindest gleichem Preis, solche Modelle können sich durchsetzen", sagt Ralf Metzger von der AOK Hessen. Viele Kassen kritisieren allerdings, dass die Anschubfinanzierung für die IV-Verträge viel zu früh eingestellt worden sei. Eindeutig müsse auch geklärt werden, wie eine Bereinigung der Gesamtvergütung realisiert werden kann. Kassen können Ausgaben für IV-Verträge durch Bereinigung der Gesamtvergütung teilweise refinanzieren. (fuh)

Lesen Sie dazu auch: Längst nicht alle IV-Verträge sind Auslaufmodelle

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