Beim AMNOG fehlen noch die Erfahrungswerte

Ist die schnelle Arzneimittelbewertung ein Ausweg oder ein Holzweg? Kassen, Ärzte und Verbraucherschützer gehen vor allem davon aus, dass alles komplizierter wird.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Was darf die Arznei kosten? Experten sind sich uneinig, ob die schnelle Nutzenbewertung nach dem AMNOG das geeignete Instrument für die Beantwortung dieser Frage ist.

Was darf die Arznei kosten? Experten sind sich uneinig, ob die schnelle Nutzenbewertung nach dem AMNOG das geeignete Instrument für die Beantwortung dieser Frage ist.

© Mellingen / fotolia.com

HAMBURG. Das AMNOG kam nicht gut weg in Hamburg. Beim 9. Eppendorfer Dialog diskutierten Experten die Frage, ob die im neuen Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (AMNOG) eingeführte Arzneimittel-Schnellbewertung als "Ausweg oder Holzweg" zu betrachten sei. Die meisten Referenten tendierten zur zweiten Alternative.

"Bei 50 Prozent der neu zugelassenen Arzneimittel wissen wir nicht, ob sie besser als die Standardversorgung sind", sagte etwa Professor Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Eine Nutzenbewertung zu einem frühen Zeitpunkt sei im Prinzip unmöglich. "Mit der Zulassung geht es erst los damit, die Nutzenergebnisse zu erhalten, die wir zur Verordnung brauchen."

Solche Unsicherheiten seien aber in Kauf zu nehmen, solange nach der Zulassung weitere unabhängige Studien vorgenommen werden, so Ludwig. So sei das AMNOG "eigentlich ein Preisregulierungsinstrument, kann aber bei den Arzneimitteln nicht die Spreu vom Weizen trennen."

Das AMNOG, das zum 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, führt erstmals in Deutschland die "Arzneimittelfrühbewertung" ein.

Danach soll unter anderem der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) das Präparat anhand eines Hersteller-Dossiers im Laufe von drei Monaten nach seiner Markteinführung prüfen, ob das neue Präparat einen Zusatznutzen gegenüber einer "zweckmäßigen Vergleichstherapie" hat.

Ohne erwiesenen Zusatznutzen unterliegt es der Festbetragsregelung. Mit Zusatznutzen wird für das neue Medikament ein Rabatt verhandelt oder bei Nichteinigung per Schiedsamt erzwungen.

Über die Frage, was das neue Gesetz wirtschaftlich bedeute, sprach Professor Bertram Häussler, Geschäftsführer des Institutes für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) in Berlin. Aus Sicht der GKV sei das Gesetz in der Tat eine Kostenbremse, so Häussler.

Denn im Falle eines Zusatznutzens säßen die Kassen bei den Preisverhandlungen am längeren Hebel, weil sie den europäischen Vergleichspreis zur Grundlage nehmen.

Und bei fehlendem Zusatznutzen liege die Einsparung bei der Einordnung in die Festbetragsregelung. Häussler schätzte die Einsparungen durch das AMNOG bei den innovativen Medikamenten mit rund 100 Millionen als "relativ bescheiden" ein.

Ohnehin werde es auch ohne AMNOG keine Kostenexplosion geben, so Häussler. In der Grundversorgung seien viele Patente schon ausgelaufen oder der Markt gesättigt.

Bei den Spezialpräparaten seien zum Beispiel die Fallzahlen zu klein, um Kostenexplosionen zu erzeugen. Kurz: "Die Ausgaben würden sich auch ohne das AMNOG stabilisieren."

Dr. Angelika Kiewel, Beraterin der Innungskrankenkassen, verteidigte das neue Gesetz. In den vergangenen zehn Jahren habe sich der Wert der Verordnungen verdoppelt. "Ohne Gesetzgeber wäre die Marktentwicklung noch viel höher eingetreten", so Kiewel.

Das AMNOG werde nun dazu führen, dass man sich um bessere Arzneimittel bemühen wird. Denn es vertrete eine neue Philosophie, indem es eine Bringschuld der Pharmaindustrie festlege und es ermögliche, dass Arzneimittel ohne Zusatznutzen schneller in die Festbeträge eingeordnet werden können, sagte Kiewel.

Für die Patientenseite forderte Christoph Kranich von der Hamburger Verbraucherzentrale mehr Transparenz. Vor der Anwendung und während der Zulassung müsse unabhängig geprüft werden. "Alle Studien sollen veröffentlicht werden", sagte Kranich.

Für unerwünschte Nebenwirkungen solle ein Meldesystem installiert werden. "Es wäre so einfach, die Qualität der Arzneimittelversorgung zu erhöhen, wenn man die Patienten einbeziehen würde!"

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