Der Arztberuf zehrt - aber befriedigt durch Erfolg

Die jetzt vorgelegte fünfte Burnout-Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV zeigt: Seit 2007 haben sich wichtige Aspekte der Arbeitswelt niedergelassener Ärzte verbessert. Weniger Frustration, mehr Erfolg.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

BERLIN. Arzt zu sein, gehört zu den fordernden Berufen. Nahezu unverändert arbeitet der durchschnittliche Vertragsarzt jeden Tag 10,6 Stunden und behandelt 50 Patienten.

Eine der größten Sorgen ist, zu wenig Zeit für Patienten zu haben. Tagtäglich erleben Ärzte den Konflikt, sich intensiv den Sorgen und Nöten ihrer Patienten mit hinreichender Empathie zuzuwenden - und andererseits ein volles Wartezimmer "abzuarbeiten".

Die jetzt in fünfter Auflage für das Jahr 2010 vorgelegte Burnout-Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV-Virchowbundes zeigt individuell deutliche Belastungsunterschiede bei den befragten 6000 niedergelassenen Ärzten.

Eine kleine Gruppe von etwa fünf Prozent, die unter frustrierend hohen Belastungen leiden und zugleich keinen zufriedenstellenden Erfolg bei ihrer Arbeit sehen. Andererseits existiert eine etwas größere Gruppe von zwölf bis 18 Prozent, denen jegliche Frustration fremd ist. Bei 80 Prozent der Ärzte mischen sich Erfolgserlebnisse mit teils belastenden Anforderungen.

50 Patienten pro Tag, 12,7 Minuten pro Patient

Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede im Umgang mit knapper Zeit und dem dabei erlebten Konflikt zwischen Zuwendung zum Patienten und Arbeitsmenge. Die Burnout-Gruppe der Ärzte hat mit 53 Patienten deutlich mehr zu tun als Ärzte ohne Burnout (44,5 Patienten).

Noch ausgeprägter sind die Unterschiede bei der täglichen Arbeitszeit: 13,5 Stunden bei Ärzten mit Burnout, 10,6 Stunden im Schnitt aller Befragten, nur 9,8 Stunden bei Ärzten ohne Burnout.

Alles in allem steht den Ärzten pro Patient nur ein Budget von 12,7 Minuten zur Verfügung; Ärzte mit Burnout liegen mit 15,3 Minuten weit über Durchschnitt - um den Preis eines immens langen Arbeitstages.

Tatsächlich stehen für unmittelbare Arbeit am Patienten nur etwa zwei Drittel der Zeit zur Verfügung. Der Rest wird verwendet für Arztbriefe und Gutachten, Fort- und Weiterbildung, für die Abrechnung und Anleitung des Praxisteams.

Die hohe Belastung der BurnoutGruppe scheint zumindest teilweise selbstgemacht zu sein: Nur 45 Prozent dieser Ärzte sind mit der eigenen Praxisorganisation zufrieden. Im Durchschnitt sind dies 74 Prozent der Ärzte, in der Gruppe ohne jegliche Burnoutsymptome sogar 93,4 Prozent.

Bei 70 Prozent der Ärzte leidet das Privatleben

Generell dominiert bei allen Ärzten das Gefühl, zu wenig Zeit für Patienten zu haben (65 Prozent), besonders ausgeprägt aber wiederum in der Burnout-Gruppe (97 Prozent). Als konstant hoch wird von 80 Prozent eine steigende Erwartungshaltung der Patienten als Belastungsfaktor angegeben, in der Burnout-Gruppe sind es sogar 87 Prozent.

Gut ein Drittel aller Ärzte haben ihre Not mit Patienten, die andere Therapievorstellungen haben. Weitaus größer noch ist die Belastung mit Patienten, die mit unangemessenen Forderungen an ihren Arzt herantreten: im Schnitt erleben 80 Prozent der Ärzte dies als Erschwernis, in der BurnoutGruppe sogar 94 Prozent.

Angesichts der generell hohen Arbeitslast sagt nur jeder vierte Arzt, er habe noch genügend Zeit zur Wahrnehmung seiner persönlichen Interessen. In der Burnoutgruppe findet sich hingegen niemand. Korrespondierend dazu geben 70 Prozent aller Ärzte an, dass ihr Privatleben darunter leidet.

Bei generell hoher Arbeitsbelastung ist aber festzustellen: Die Erfolgserlebnisse sind 2010 deutlicher ausgeprägt als 2007. Und umgekehrt haben frustrierende Aspekte der Arbeit signifikant abgenommen. Die weitaus meisten Ärzte - 70 Prozent - würden wieder den gleichen Beruf wählen.

Kommunikation und Kollegialität

Knapp zwei Drittel aller befragten Ärzte hat Ansprechpartner für Probleme, die sie belasten. Im Zeitablauf ist dieser Anteil nahezu konstant.

Zwischen Ärzten mit Burnout-Symptomatik, dem Durchschnitt und den Ärzten ohne jegliche Burnout-Symptome gibt es deutliche Unterschiede: Ärzte in der Burnoutgruppe sind in hohem Maße isoliert und vereinsamt. Nur 45 Prozent (20 Prozentpunkte weniger als der Durchschnitt) haben einen Ansprechpartner. Ärzte, bei denen alle Burnout-Symptome fehlen, sind hingegen hochkommunikativ: 80 Prozent von ihnen haben einen Ansprechpartner.

Ein wichtiger Aspekt ist das Verhältnis zu Kollegen: Alles in allem klagen 2010 fast 50 Prozent der Ärzte über einen Mangel an Kollegialität und wachsende Konkurrenz. Dieser Anteil ist im Zeitablauf deutlich gewachsen.

Aber besonders jene Ärzte, die ausgeprägte Burnout-Symptome haben, erleben besonders intensiv Wettbewerb und fehlende Kollegialität (fast 65 Prozent). Deutlich geringer ist dies in der Gruppe ohne Burnout-Symptome: aktuell sind dies 36 Prozent. Ein Warnsignal dürfte es sein, das sich in den letzten 14 Jahren dieser Wert verdoppelt hat. Ein Indiz dafür, dass es unter Ärzten rauer und ruppiger zugeht und selbst die robusten Naturen erkennen, dass es Mängel im Teamgeist gibt.

Der Studienautor Dr. Klaus Gebuhr: "Die deutlich Mehrheit sieht eine fehlende Geschlossenheit der Ärzteschaft als das größte Handicap der Ärzteschaft." Aktuell sind dies knapp 60 Prozent, drei Jahre zuvor waren es noch knapp 72 Prozent.

Burnout-Studie der Brendan-Schmittmann-Stiftung

Die Brendan-Schmittmann-Stiftung des NAV-Virchowbundes hat seit 1996 in insgesamt fünf Untersuchungen die Befindlichkeit von Vertragsärzten untersucht. Dazu sind jeweils 6000 Vertragsärzte bundesweit befragt worden.

Davon sind 35,5 Prozent Allgemeinärzte/Praktiker, 15,9 Prozent Internisten, 8,2 Prozent Gynäkologen; der Rest verteilt sich auf die anderen Fachgebiete. Regional sind die einzelnen Bundesländer näherungsweise repräsentativ vertreten. Die 2010 befragten Vertragsärzte sind im Schnitt 53,66 Jahre alt. Im Laufe der Zeit ist das Durchschnittsalter um 4,5 Jahre gewachsen. Im Durchschnitt sind die Befragten 15,36 Jahre niedergelassen. 39 Prozent der Befragten sind Ärztinnen.

Als Niederlassungsform dominiert mit 58,2 Prozent die Einzelpraxis, 2007 waren es noch 66 Prozent. In Gemeinschaftspraxen arbeiten 31 Prozent der Antwortenden, in Praxisgemeinschaften 10,2 Prozent.

Als Burnoutgruppe wurden jene Ärzte definiert, die folgende fünf Merkmale zugleich erfüllen: Meine Arbeit laugt mich aus; am Ende meines Arbeitstages bin ich völlig erledigt; am liebsten würde ich alles hinwerfen; ich bin oft verzweifelt; ich habe Schlafdefizite. Der Anteil der so antwortenden Ärzte liegt bei 4,73 Prozent; 2007 waren es 5,26 Prozent.

Lesen Sie dazu auch: Erfolgserlebnisse trotz Praxis-Stress

Lesen Sie dazu auch den Standpunkt: Per aspera ad astra

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