Hintergrund

Machtpoker ums Versorgungsgesetz

Das böse Erwachen kam für die Gesundheitsminister der Länder schnell: Nach Feierlaune am vergangenen Mittwoch herrscht seit Freitag Katerstimmung. Die schwarz-gelbe Koalition hat die Länderpläne zu mehr Mitbestimmung bei der Bedarfsplanung wieder gekippt.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Findet die Eckpunkte "nicht akzeptabel": Hessens Gesundheitsminister Stefan Grüttner.

Findet die Eckpunkte "nicht akzeptabel": Hessens Gesundheitsminister Stefan Grüttner.

© Seeliger / imago

"Durchbruch" und "Zuversicht" - mit diesen Worten feierten vergangene Woche die Bundesländer gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsminister die Eckpunkte zum Versorgungsgesetz.

Jetzt kommt die Katerstimmung: Die Reformpläne stehen auf der Kippe. Auf Druck der Koalitionsfraktionen sollen entscheidende Punkte der Länder aus dem Entwurf gestrichen worden sein.

Hessens Gesundheitsminister und GMK-Vorsitzender Stefan Grüttner (CDU) fordert neue Gespräche, "und zwar mit allen Parteien: Länder, Ministerium und Bundestagsfraktionen", heißt es aus dem hessischen Ministerium im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Die Länder denken jetzt laut darüber nach, das geplante Gesetz im Bundesrat kippen zu wollen, Bremen gibt dies bereits offen zu Protokoll. Sollte Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) das Konzept nicht noch einmal wesentlich überarbeiten, "dann zeigen die Länder ihm im Bundesrat geschlossen die rote Karte", sagte der parteilose Bremer Gesundheits-Staatsrat Hermann Schulte-Sasse der "tageszeitung" am Montag.

"Für uns Länder stellt sich jetzt die Frage: Ist Rösler überhaupt verhandlungsfähig? Lohnt es sich, sich mit ihm stundenlang zusammenzusetzen, wenn er die Einigung nicht mal in seinen Fraktionen durchkriegt?", so Schulte-Sasse.

In Bremen regiert eine rot-grüne Mehrheit den Senat. Auch die Opposition im Bundestag zeigte sich irritiert. Rösler sei "gut beraten" auf die Länder zuzugehen, hieß es aus Kreisen der SPD.

Die Länder ärgert beispielsweise, dass ihr Einfluss auf die Entscheidungen gegen den Ärztemangel doch weniger stark sein soll, als es ihnen Rösler zunächst zugesagt hatte.

Wird von den Ländern als Verhandlungspartner in Frage gestellt: Gesundheitsminister Rösler.

Wird von den Ländern als Verhandlungspartner in Frage gestellt: Gesundheitsminister Rösler.

© Sven Simon / imago

Grüttners Satz im Interview mit der "Ärzte Zeitung" am vergangenen Freitag - "Die Länder haben ihre Interessen bei der Bedarfsplanung durchgesetzt" -  stimmt inzwischen nicht mehr.

Nach den neuen Eckpunkten sollen die Länder kein Beanstandungs- und Initiativrecht in Bezug auf Selektivverträge und ihre Auswirkungen auf das regionale Versorgungsgeschehen erhalten.

Das hätte den Ländern ermöglicht, landesspezifische Fragestellungen unmittelbar mit den Kassen zu erörtern, so Grüttner. Außerdem entfalle bei der Bedarfsplanung die geforderte Berücksichtigung der Morbidität in den jeweiligen Regionen.

Mit dem Versorgungsgesetz sollen laut Minister Rösler mehr Ärzte aufs Land gelockt werden. Das geht seiner Ansicht nach nicht mit Planung und nicht mit Sanktionen. Der Minister setzt in seinem geplanten Versorgungsgesetz vorrangig auf finanzielle Anreize, damit sich der ärztliche Nachwuchs in unterversorgten Regionen niederlässt.

Die schwarz-gelbe Koalition wird dafür mehr Geld in die Hand nehmen müssen - das ruft die Opposition auf den Plan. Diese wittern ein "Ärztebeglückungsgesetz", da das Geld der Versicherten in Richtung der Ärzte umverteilt werde.

Rösler lässt sich davon wenig beirren. Zwar gebe es mehr Ärzte denn je, jedoch werde die Gesellschaft immer älter und daraus entstehe ein veränderter Versorgungsbedarf. Dem stehe eine immer älter werdende Ärzteschaft gegenüber.

"Mit einem Bündel an Einzelmaßnahmen" wolle er diesem Problem begegnen, sagte der Gesundheitsminister bei der Vorstellung der Eckpunkte. Schließlich müsse auch künftig die medizinische Versorgung wohnortnah sichergestellt werden.

Finanziert werden sollen die Anreize über einen "neu einzurichtenden Strukturfonds". Darin sollen 0,1 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung von den Kassenärztlichen Vereinigungen und ergänzend eine entsprechend gleich große Summe von den Krankenkassen einfließen.

Auf diese Weise soll es künftig möglich sein, "flexibel und ungebunden" gezielte Maßnahmen zu ergreifen. "Dazu können etwa Investitionskostenzuschüsse, Vergütungs- und Ausbildungszuschläge oder auch die Förderung von Studenten gehören", heißt es in den Eckpunkten.

Finanzielle Anreize will Rösler dadurch schaffen, indem Ärzte in unterversorgten Gebieten von sonst geltenden Honorarabzügen verschont bleiben.

Eine ambulante Notfallversorgung soll über eine bessere Kooperation mit den Krankenhäusern sichergestellt werden. Darüber hinaus sollen mobile Versorgungskonzepte ausgebaut werden. So könnten die KVen Praxen errichten und Ärzte einstellen.

Einigkeit unter den Koalitionären gibt es in der Frage der Organisation der Medizinischen Versorgungszentren. Die Leitung der MVZ muss künftig "rechtlich und faktisch" in ärztlicher Hand liegen. Ursprünglich wollte das Ministerium Ausnahmen in unterversorgten Gebieten zulassen.

Das findet sich in den aktuellen Eckpunkten nicht mehr wieder. Darüber hinaus sollen MVZ nicht mehr in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft geführt werden dürfen. Für bestehende Einrichtungen soll es uneingeschränkten Bestandsschutz geben.

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