AOK und Hausärzte zeigen: Wettbewerb geht

Mehr als eine Million eingeschriebene Patienten, fast 3800 teilnehmende Ärzte, verbindliche Qualitätssicherung und koordinierte Behandlung chronisch Kranker - die AOK im Südwesten hat eine vielversprechende Alternative zur Regelversorgung geschaffen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:

BERLIN. Übellaunige, weil von Bürokratie und Honorarwirrwarr gestresste Ärzte, Patienten, die von ihren Ärzten mit mehr oder minder versteckter Rationierung verunsichert werden, unnötige Kosten und mindere Qualität als Folge einer unkoordinierten Versorgung - so lassen sich nach übereinstimmender Auffassung vieler Experten die Schwächen des konventionellen kollektivvertraglichen Versorgungssystems charakterisieren. Das Wissen ist weit verbreitet. Aber nur wenige handeln.

Seit Dr. Christopher Hermann in Baden-Württemberg zusammen mit Dr. Rolf Hobert an der AOK-Spitze sitzt, wird gehandelt. Erste Vertragspartner waren die mit dem KV-System unzufriedenen Hausärzte, Medi folgte sukzessive mit Kardiologen und Gastroenterologen. 73c-Verträge mit Neurologen/Psychiatern sind fast fertig und mit Orthopäden in Arbeit.

Drei Jahre nach dem Start der Hausarztverträge der AOK wurde gestern beim Hauptstadtkongress Bilanz gezogen. Besonders wichtig: Die Verträge erreichen die Zielgruppe in hohem Maße. 66 Prozent der eingeschriebenen Versicherten sind chronisch krank; 33 Prozent sind es in der konventionellen Versorgung.

Erste Erfolge sichtbar

Das heißt: Ärzte, die in 73b und -c-Verträgen arbeiten, bewältigen eine besonders hohe Morbiditätslast mit großem Koordinationsaufwand - aber auch der Chance, Versorgungsqualität zu verbessern und zugleich Rationalisierungspotenziale in der Versorgung mit Arznei- und Heilmitteln zu erschließen. Eine vernetzte und leistungsfähigere ambulante Versorgungsstruktur soll ferner das Ausmaß an Hospitalisierung zurückfahren.

Erste Erfolge sind sichtbar, wie Hermann darlegte: Die Quote rabattierter Arzneimittel erreicht 72 Prozent, in der Regelversorgung 55 Prozent. Der Check up wird in der HzV mit 44,5 Prozent doppelt so häufig in Anspruch genommen wie in der konventionellen Versorgung.

Binnen eines Jahr hat sich die Zahl der VERAH auf 857 verdoppelt. 4,3 Millionen Euro gibt die AOK dafür zusätzlich aus. Die Zufriedenheitswerte der teilnehmenden Versicherten erreichen sozialistische Ausmaße. Fazit für Hermann: "Herr Bahr könnte sich einen guten Start verschaffen, wenn er etwas für den Versorgungswettbewerb tun würde."

3330 Ärzte in 313 Zirkeln

Das sieht Hausärzte-Chef Ulrich Weigeldt genauso: Das wichtigste Ziel bei den bald anstehenden Beratungen zum Versorgungsgesetz wäre die Anerkennung der flächendeckenden Selektivverträge als zweite Form der Regelversorgung; die Vertragspartner müssten dann auch an der Bedarfsplanung beteiligt werden.

Ein Charakteristikum der AOK-Verträge ist, dass sie evaluiert werden und dass eine flächendeckende verbindliche Qualitätszirkelarbeit stattfindet. Das Besondere: Pharmakotherapiefortbildung basiert auf den konkreten Verordnungen und Versorgungsproblemen der jeweiligen Praxis.

Inzwischen arbeiten 3330 Ärzte in 313 Zirkeln, so Professor Joachim Szecsenyi, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Uni Heidelberg.

Mythen ranken sich um die HzV - inzwischen sind sie wohl alle entkräftet

Zehn Mythen haben die kontroverse Debatte um die AOK-Hausartzverträge mitbestimmt - alle nicht zutreffend, wie Baden-Württembergs Hausärzteschef Dr. Berthold Dietsche darlegt.

1. Der Hausarzt wird zum AOK-Hausarzt. Falsch, denn der eingeschriebene Arzt ist Partner der hausärztlichen Vertragsgemeinschaft, die ihrerseits Vertragspartner der AOK ist.

2. Die Therapiefreiheit wird eingeschränkt. Falsch, denn im konkreten Einzelfall entscheidet letztlich immer der Arzt.

3. Die Abrechnung ist zu aufwendig. Falsch, denn neben wenigen Pauschalen gibt es noch eine Reihe von Einzelleistungen.

4. Der Vertrag hält in puncto Honorar nicht das, was er versprochen hat. Falsch, denn der Fallwert liegt bei 80 Euro. Die werden bei der KV weit unterschritten.

5. Die Einzelleistungen sind in Pauschalen versenkt worden. Falsch. Es kommt auf das Gesamthonorar an, das der Arzt in der HzV erzielen kann; mit welchen Leistungen, bleibt seine freie Entscheidung.

6. Die Vertragssoftware funktioniert nicht und ist zu teuer. Ein Startproblem. Inzwischen werden mehrere arbeitsfähige Systeme angeboten.

7. Die Vertretungsfrage ist nicht klar geregelt. So nicht richtig: Im Regelfall muss ein vertretender Arzt ebenfalls HzV-Arzt sein. Das kann aber im Einzelfall flexibel gehandhabt werden.

8. VERAH lohnt sich nicht. Die Zusatzqualifikation ist zwar teuer mit 4000 Euro. Sie hat sich aufgrund der Zuschläge aber nach etwa einem Jahr rentiert.

9. Wenn der Vertrag nicht funktioniert, steht man als Arzt vor dem Nichts. Falsch, denn der geltende Vertrag läuft bis 2015; lange Kündigungsfrist; Rückkehr in KV-System ist möglich.

10. Die HzV entwickelt sich nicht weiter. Falsch. Dieses Jahr kommen Neurologen/Psychiater als weitere Facharztgruppen hinzu, sodann Orthopäden. Nach der Arznei- steht nun die Rationalität der Heilmittelverordnungen auf dem Plan, ferner ein System zur Optimierung von Klinikeinweisungen. Darüber hinaus wird der Vertrag evaluiert.

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