"Wir waren gerne Landärzte"

Die hausärztliche Tätigkeit in Deutschland ist attraktiver als ihr Ruf. Ein Arzt-Ehepaar, das 25 Jahre lang auf dem Land niedergelassen war, widerlegt eine Reihe von Vorurteilen.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Nach vielen Jahren als Landärzte in Westfalen, zieht es Dr. Viola und Dr. Hans-Otto Wagner nun an die Küste.

Nach vielen Jahren als Landärzte in Westfalen, zieht es Dr. Viola und Dr. Hans-Otto Wagner nun an die Küste.

© di

HAMBURG. Dr. Viola und Dr. Hans-Otto Wagner gehören zu der Generation, die jetzt nach und nach ihre Praxen abgibt. Mit 56 und 59 Jahren sind sie sogar noch etwas früher dran als viele Kollegen, von denen manche keinen Nachfolger finden werden.

Dr. Hans-Otto und Viola Wagner

Aktuelle Position: Dr. Hans-Otto Wagner ist heute wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeinmedizin am Hamburger UKE, seine Frau Viola Chefärztin der Maria Meeresstern Mutter-Kind-Klinik in Timmendorfer Strand. Vorher war das Arzt-Ehepaar in Gemeinschaftspraxis im Siegerland niedergelassen.

Werdegang/Ausbildung: Hans-Otto Wagner hat nach seinem Abitur 1971 und Zivildienst zunächst Physik und Theologie studiert, bevor er auf Medizin umsattelte. Nach seiner Promotion am Max-Planck-Institut in Bad Nauheim 1981 arbeitete er mehrere Jahre an den Städtischen Kliniken in Dortmund.

Neben seiner Niederlassung war Wagner auch als Dozent tätig, u.a. für die Akademie für Ärztliche Fort- und Weiterbildung der Landesärztekammer Hessen. Seit 1995 hat er einen Lehrauftrag an der Justus-Liebig-Universität Gießen für Allgemeinmedizin und Pharmakologie.

Seine aus Wetzlar stammende Frau Viola kommt aus einer Familie mit langer Arzttradition. Sie ist die vierte Generation nacheinander, die diesen Beruf ergriffen hat. Sie war treibende Kraft beim Umzug in den Norden - das Leben an der Küste reizte sie.

Das Ehepaar hatte Glück und einigte sich zum Oktober 2011 mit einem Interessenten für ihre Praxis in Burbach in Westfalen.

Danach siedelten sie um in den Norden, wo Viola Wagner als ärztliche Leiterin an der Mutter-Kind-Klinik Maria Meeresstern im ostholsteinischen Niendorf und Hans-Otto Wagner am Hamburger Institut für Allgemeinmedizin arbeitet.

Von Freude, endlich die Tretmühle Praxis und die von vielen beklagten Missstände in der ambulanten Medizin hinter sich zu haben, aber keine Spur. "Wir waren gerne Landärzte", sagen die beiden.

Über die Allgemeinmedizin kursieren viele Vorurteile

Die berufliche Veränderung ging einher mit dem Wunsch von Viola Wagner, in einer Stadt an der Küste zu leben. In Lübeck fühlen sie sich wohl, ebenso in ihren neuen Tätigkeiten.

Für Hans-Otto Wagner steht aber schon fest, dass er neben seiner Halbtagstätigkeit am Hamburger Institut noch eine halbe Stelle als angestellter Hausarzt in einer Praxis annehmen wird - entweder in Hamburg oder in Lübeck.

Dass heute wenige junge Nachwuchsärzte Interesse an der Allgemeinmedizin zeigen, führt Wagner, der auch Mitglied der Leitlinienkommission der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin (DEGAM) ist, auf die wenigen Berührungspunkte mit dem Fach im Studium zurück, aber auch auf viele negative Haltungen zur Hausarzttätigkeit, die nach seinen Erfahrungen nicht stimmen.

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" räumen beide mit einigen Vorurteilen auf:

Geringe Verdienstmöglichkeiten? Falsch, sagen die beiden. Im Jahr 2010 erzielten sie ohne IGeL und Zusatzdienste Einnahmen von 376 000 Euro mit ihrer Praxis, wobei Viola Wagner nicht Vollzeit gearbeitet hat. Nach Abzug der Kosten blieb ihnen ein Gewinn von 178 000 Euro, im Jahr zuvor waren dies 172 000 Euro.

Früher war es für Ärzte leichter, Geld zu verdienen? Falsch! "Wir haben nie so gut verdient wie in den letzten Jahren", sagt Hans-Otto Wagner. Seine Erfahrung: Abrechnungsoptimierern wurde das Leben erschwert, heute ist die Verteilung gerechter.

In anderen Berufen können Akademiker leichter Geld verdienen? Falsch. Im Gegensatz zu vielen anderen in ihrem Freundeskreis haben Wagners ihren Beruf mit deutlich weniger Druck und Ängsten ausüben können. "Wir kennen keine Existenzängste", sagt Viola Wagner. Ausstehende Forderungen in fünfstelliger Höhe, mit denen Selbstständige in anderen Berufen zu kämpfen haben, sind Vertragsärzten im KV-System fremd.

Landärzte sind immer im Dienst? Falsch! Durch Organisationsformen wie Anlauf- oder Notfallpraxen haben auch Ärzte auf dem Land nach der Sprechstunde oft Freizeit. Viola Wagner hat in Burbach erfahren, dass sich Patienten zunehmend an die Sprechzeiten halten und die Freizeit der Ärzte akzeptieren.

Wegen der langen Ausbildung und wegen der hohen Investitionen müssen Ärzte länger arbeiten? Falsch! Die Wagners haben immer den Mindestsatz in die Ärzteversorgung eingezahlt und nebenbei ihre Praxisimmobilie finanziert, die sie jetzt verkaufen können. Beides zusammen sichert ihnen das Einkommen im Alter.

Die hohe Niederlassungsdichte in den Ballungszentren ist auch der Grund, weshalb sich nach Ansicht Wagners bei vielen Ärzten und in der Öffentlichkeit der Eindruck verfestigt hat, dass niedergelassene Allgemeinmediziner nicht gut verdienen. Damit habe sich die in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck verstärkt, die Honorierung der Hausärzte sei insgesamt schlecht.

In Ballungsgebieten ist die Konkurrenz groß

Kleine Hausarztpraxen haben es schwer, gute Gewinne zu schreiben. Das ist vor allem in Städten ein Problem, meint Hausarzt Dr. Hans-Otto Wagner.

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Wagner, Sie waren als Hausarzt meistens zufrieden mit Ihrem Einkommen. Worauf führen Sie die Unzufriedenheit vieler Kollegen zurück?

Dr. Hans-Otto Wagner: Ich vermute, dass bei dieser Frage die Hausärzte in Ballungsgebieten stark vertreten sind. Diese Gruppe ist medial präsent. Damit hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung der Eindruck verstärkt, die Honorierung der Hausärzte sei insgesamt schlecht - was so nicht stimmt.

Ärzte Zeitung: Der Standort spielt für das Einkommen der Hausärzte also eine entscheidende Rolle?

Wagner: Nach den vorliegenden Daten der Kassenärztlichen Vereinigungen ist es tatsächlich so, dass Ärzte in den großen Städten wegen der höheren Arztdichte geringere Scheinzahlen aufweisen und unter dem Strich weniger verdienen.

Ärzte Zeitung: Kann es sein, dass in Praxen mit geringerem Umsatz auch organisatorische Mängel ausschlaggebend sind?

Wagner: Darüber liegen uns keine Erkenntnisse vor. Hauptgrund dürfte die hohe Konkurrenz sein. In ländlichen Gebieten sind Scheinzahlen von über 1300 keine Seltenheit - in Hamburg oder Berlin schon.

Ärzte Zeitung: Damit steigt auch die Arbeitsbelastung - ein oft genanntes Argument gegen den Hausarztberuf.

Wagner: Die Belastung ist sicherlich hoch, aber nicht unzumutbar. Seit es Anlauf- und Notfallpraxen gibt, können auch Landärzte Freizeit genießen. Es kommt auch darauf an, dass man sich und seinen Patienten klar macht, dass zu häufige und lange Konsultationen nicht möglich sind und dass das Ende der Sprechstunde respektiert werden muss. Nach unseren Erfahrungen ist das kein Problem.

Das Interview führte Dirk Schnack.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Überzeugende Werbebotschaften

Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Wo lang im Gesundheitswesen? Der SVR Gesundheit und Pflege empfiehlt mehr Richtungspfeile für alle Akteure.

© StefanieBaum / stock.adobe.com

Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege

Gesundheitsweise empfehlen Primärversorgung für alle – und Quotierung der Weiterbildung

„Wenn die Politik Wissenschaftlern sagen würde, wir wollen dieses oder jenes Ergebnis, ist das Propaganda.“ Klaus Überla – hier im Treppenhaus seines Instituts – über Einmischungen aus der Politik.

© Patty Varasano für die Ärzte Zeitung

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Dr. Iris Dötsch Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologin und Ernährungsmedizinerin hat die Hauptstadtdiabetologinnen, eines neues Netzwerk für Frauen in der Diabetologie, gegründet.

© snyGGG / stock.adobe.com

Hauptstadtdiabetologinnen

Ein Netzwerk für Diabetologinnen