Ein Jahr Bahr

Vor exakt einem Jahr hat Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr sein Ministerbüro in der Berliner Friedrichstraße bezogen. Er zählte im Frühjahr 2011 zur "Boy Group" in der FDP. Und musste sich gleich als EHEC-Krisenmanager bewähren.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Jung, durchsetzungsfähig, selbstbewusst: Daniel Bahr ist seit einem Jahr Bundesgesundheitsminister.

Jung, durchsetzungsfähig, selbstbewusst: Daniel Bahr ist seit einem Jahr Bundesgesundheitsminister.

© dpa

BERLIN. Hin und wieder erlaubt sich Daniel Bahr einen Scherz. Er freue sich darauf, ruft er je nach Anlass Ärzten, Funktionären von Krankenkassen oder Journalisten zu, als Gesundheitsminister auch in der kommenden Legislatur vor ihnen zu stehen.

Gemeinsam lasse sich dann verfolgen, wie sich die ärztliche Versorgung auf dem Land, die Pflegereform, die Eingriffe in den Arzneimittelmarkt, die Patientenrechte oder auch die neue Gebührenordnung für Ärzte entwickelten.

Die Lacher sind ihm sicher. Denn das Publikum geht meist wie selbstverständlich davon aus, dass die FDP in einer kommenden Regierung keine Rolle spielen wird, mithin Daniel Bahr im Herbst 2013 sein Ministerbüro in der Berliner Friedrichstraße räumen muss.

Das hat er am heutigen Samstag, den 12. Mai, genau vor einem Jahr bezogen. Im Frühjahr 2011 zählte er zu der "Boy Group" junger Liberaler, die in der Besetzung Philipp Rösler, Christian Lindner und Daniel Bahr den Abgesang auf den damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle anstimmte.

Rösler übernahm den Parteivorsitz und das für Liberale vermeintlich Image-freundlichere Wirtschaftsministerium, sein Staatssekretär Bahr folgte ihm ins Amt des Gesundheitsministers. Seither bohrt der heute 35-Jährige die Bretter, die Rösler zuvor nur angeritzt hatte.

Das dickste Brett für Bahr: die Pflegereform

Das Dickste davon ist die Pflegereform. Bei diesem Großprojekt ist heute eigentlich schon klar, dass Bahr das von seinem Vorgänger übernommene Projekt in dieser Legislaturperiode nicht zum Abschluss bringen wird. Mehrere Baustellen sind noch offen.

Noch ist ein von Bahr eingesetzter Beirat damit befasst, einen neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff zu formulieren. Genauer: Der Beirat aktualisiert die noch zu Zeiten der Großen Koalition 2009 formulierten Vorstellungen, wie an Demenz erkrankte Menschen in die soziale Pflegeversicherung geholt werden könnten. Das macht die zeitliche Dimension dieser Reform deutlich.

Trotzdem hat Bahr auf diesem Feld gepunktet und eine Art Reform vor der Reform durchgesetzt. Für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, gemeint sind damit vor allem die an einer Demenz erkrankten, wird es ab 2013 neue Sozialleistungen geben.

Für den jungen Minister ist dies ein Erfolg. Opposition und Pflegeverbände aber spotten über das aus ihrer Sicht nicht ausreichende "Reförmchen".

Auf der Habenseite des Ministers steht noch mehr. Zum Beispiel ein Plus an Infektionsschutz.

Bahr mitten in der EHEC-Krise

Kaum im Amt, sah sich Bahr mit der EHEC-Epidemie konfrontriert. Bockhornkleesprossen aus Ägypten sollen die enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) nach Deutschland und Frankreich gebracht haben.

In Deutschland infizierten sich 3842 Menschen, die meisten bekamen wässrige bis blutige Durchfälle. 855 von ihnen entwickelten ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS), rund die Hälfte von ihnen mit neurologischen Ausfällen bis hin zur Beatmungspflicht, 53 Patienten starben.

Meriten lassen sich für einen Politiker bei einem solchen Ausbruch kaum verdienen. Immerhin wollte Bahr die Meldewege vom Arzt bis zum Robert Koch-Institut verkürzen. Doch bislang bremsen ihn die Länder.

In Kliniken und Arztpraxen muss, so sieht es die Novelle des Infektionsschutzgesetzes vor, noch stärker auf Hygiene geachtet werden. Allerdings haben die neuen Regeln ihre Bewährungsprobe im Ernstfall noch vor sich.

Vieles werden Ärzte erst noch zu spüren bekommen

Vieles von dem, was Bahr in seinem ersten Jahr als Minister angestoßen hat, werden niedergelassene Ärzte erst in den nächsten Jahren in ihrem Berufsalltag spüren.

Das Versorgungsstrukturgesetz, manchmal etwas unscharf "Landärztegesetz" geheißen, bündelt zahlreiche Instrumente, um dem sich abzeichnenden Ärztemangel entgegenzuwirken.

Vor seine tatsächliche Umsetzung hat der Gesetzgeber allerdings noch viel Arbeit der Selbstverwaltung gesetzt.

Daneben hatte der Minister noch mehr zu tun. Von den Gebührenordnungen für Zahnärzte (fertig) und Ärzte (in Arbeit) über die Novelle der Apothekenbetriebsordnung bis zu einer Kodifizierung der Patientenrechte reichte das stramme Zwölfmonats-Programm des Ministers.

Gleichzeitig sank der politische Einfluss der FDP im politischen Gefüge der Koalition. Bahr gab den Vorsitz des mächtigen nordrhein-westfälischen Landesverbandes seiner Partei auf zu Gunsten von Christian Lindner auf, der am Sonntag um den Wiedereinzug der kriselnden Liberalen in den Düsseldorfer Landtag kämpft.

Bahr gilt als Fachpolitiker mit scharfem Sachverstand

Die Auseinandersetzungen in der nicht nur in Detailfragen oft uneins wirkenden Koalition seien nicht spurlos an dem jungen Minister vorübergegangen, sagen politische Wegbegleiter.

Überlegter sei er als zu Zeiten in der Abteilung Attacke der Opposition. Manchmal fällt der Begriff "Technokrat".

Fast immer jedoch, auch in vielen Äußerungen aus dem Lager der Opposition, schwingt Respekt mit. Ein Fachpolitiker mit scharfem Sachverstand sei er, der die komplexe Materie der Gesundheitspolitik durchdrungen habe.

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