Die theoretische Medizin verarmt

Nachwuchs-Probleme an den Unikliniken: Vor allem für die vorklinischen Fächer fehlen immer mehr Nachwuchskräfte. Experten glauben die Ursache gefunden zu haben: die Vergütung.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Muss auch jemand machen: Präparation in der Pathologie.

Muss auch jemand machen: Präparation in der Pathologie.

© Sven Lambert / imago

FRANKFURT/MAIN. Der Hochschulmedizin geht der Nachwuchs aus. Das betrifft vor allem die vorklinischen Fächer wie Anatomie, Physiologie, Pharmakologie oder Biochemie. Die Wissenschaftler werden mit mageren Gehältern abgespeist.

In den theoretischen Fächern fehlen die Bewerber, die klinischen Stellen hingegen könne er ohne Probleme besetzen, sagte Professor Josef Pfeilschifter, seit zehn Jahren Dekan des Fachbereichs Medizin der Frankfurter Goethe-Universität, auf einer Veranstaltung über die Perspektiven der Hochschulmedizin.

Der Gehaltsunterschied zwischen den theoretischen und den klinischen Fächern betrage 800 bis 1000 Euro pro Monat.

Teilweise könnten Naturwissenschaftler die Aufgaben übernehmen, Mediziner würden aber gebraucht, um im Forschungslabor die Sicht auf den Patienten zu gewährleisten ("bench to bedside").

Um Nachwuchskräfte insbesondere in den vorklinischen Fächern zu gewinnen, ist nach Pfeilschifters Worten ein Wissenschaftstarifvertrag für alle Positionen unterhalb der Professur dringend nötig.

Clash zwischen Hannover und Frankfurt

Die Hochschulen könnten schon jetzt nicht mehr auf den Idealismus junger Forschungswilliger setzen. Forschung und Lehre müssten adäquat finanziert werden, forderte der Dekan.

In Frankfurt seien Medizinfakultät und Universitätsklinikum besonders unzureichend finanziert. So nehme die Medizinische Hochschule Hannover nur halb so viele Studienanfänger auf wie Frankfurt und habe doppelt so viel Geld zur Verfügung.

Pro Medizinstudent erhalte Frankfurt nur etwa 60 Prozent der Mittel, die im Bundesdurchschnitt aufgewendet würden. "Damit sind wir an der Armutsgrenze."

In Hessen sei die Hochschulmedizin massiv unterfinanziert und schlechter gestellt als in den anderen Bundesländern.

Als löbliches Gegenbeispiel führte Pfeilschifter die Niederlande an, wo die Universitätskliniken einen Zuschlag für Spitzenmedizin in der Krankenversorgung und für die Medizinerausbildung erhalten.

Mit 36 Universitätskliniken sei Deutschland gut versorgt, sagte Dr. Michael Hartmer, Geschäftsführer des Deutschen Hochschulverbands. Weitere müssten nicht hinzukommen, da damit nur die Unterfinanzierung diversifiziert würde.

Klinikprivatisierung gescheitert

Allein der Investitionsstau summiere sich auf vier Milliarden Euro. Nach seiner Einschätzung ist Hessen mit der Privatisierung des Universitätsklinikums Marburg-Gießen gescheitert, außerhalb der öffentlich-rechtlichen Trägerschaft sei für die Hochschulmedizin derzeit keine sinnvolle Positionierung zu erkennen.

Auch Hartmer forderte attraktivere Bedingungen für Forscher, statt der Wochenend- und Freizeitforschung seien dienstrechtlich genau festgelegte Forschungszeiten nötig.

Tiefgreifende Änderungen im medizinischen Wissenschaftsbetrieb seien schon wegen der zunehmenden Feminisierung des Fachs unumgänglich.

Professor Heyo Kroemer, Vizepräsident des Medizinischen Fakultätentags, verwies auf die ökonomische Bedeutung der Hochschulmedizin.

Mit 140.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 15 bis 17 Milliarden Euro könnten sich die Universitätsklinika durchaus sehen lassen im Vergleich zum geplanten neuen Klinikkonzern Helios-Rhön, der nach seinen Angaben mit 80.000 Beschäftigten einen Umsatz von rund 5,3 Milliarden Euro erwirtschaften würde.

Der aktuelle Umgang mit der Hochschulmedizin sei "erschreckend", und zwar bundesweit, nicht nur im Norden herrsche Investitionsstau.

Forschung für den Facharzt anerkennen

Ein Hauptgrund für die schlechte Finanzlage der Uniklinika ist laut Kroemer die Einführung der Fallpauschalen, die für alle Kliniken gleich seien. "Ausbildung und Innovation werden nicht vergütet."

Mit Leistungsausweitung hätten die Uniklinika versucht, die Einnahmeeinbußen zu kompensieren, seit 2011 sei dies wegen der Abschläge nicht mehr möglich. Auch er plädierte dafür, die Hochschulmedizin in öffentlichen Händen zu lassen.

Forschung ist an den Uniklinika nicht zuletzt wegen der Arbeitsverdichtung schwieriger geworden, so Professor Leena Bruckner-Tuderman, als designierte Vizepräsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft zuständig für Medizin.

Die Herausforderung für die nächsten Jahre sei, die forschende Medizin attraktiver zu machen durch zeitliche Flexibilisierung, adäquate Vergütung und auch verbessertes Prestige.

Forschungsarbeit sollte als Teil der Facharztausbildung anerkennbar werden. Hier seien auch die Ärztekammern gefordert.

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