Kunstfehler Geduld

Wenn Hausärzte ihre Patienten nicht rechtzeitig zum Facharzt überweisen, ist das ein Behandlungsfehler. Im vergangenen Jahr war das immerhin der häufigste Fehler, den Hausärzte gemacht haben - so der Vorwurf aus der Behandlungsfehlerstatistik. Angeführt wird die Fehlerstatistik aber von anderen Fachärzten.

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:

BERLIN. Falsche Diagnosen und Behandlungen sowie mangelnde Aufklärung - diese Fehler machen Ärzte, und zwar in Klinik und Praxis.

Nach der Behandlungsfehlerstatistik der Bundesärztekammer haben die Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der Landesärztekammern für das Jahr 2011 in 2287 Fällen einen solchen Behandlungsfehler oder ein Risikoaufklärungsmangel festgestellt. 2010 waren es 2199 Fälle.

Allerdings wurden mehr Anträge bei den Schlichtungsstellen bearbeitet: 2011 waren es 11.107, im Jahr davor 11.016.

"Jeder Schaden muss Anlass für uns sein, etwas besser zu machen", sagte Professor Walter Schaffartzik, Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärzekammern.

In 1901 Fällen wurde ein Behandlungsfehler als Ursache für einen Gesundheitsschaden ermittelt, der einen Anspruch des Patienten auf Entschädigung begründete. Das sind wie in den vergangenen Jahren auch etwa 25 Prozent der entschiedenen 7452 Fälle.

"Ärzte müssen umdenken"

"Uns kann alles jeden Tag passieren", sagte Dr. Andreas Crusius, Vorsitzender der Ständigen Konferenz der Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen in Berlin. Wichtig sei es, aus Fehlern zu lernen: "Die Ärzte müssen umdenken und lernen, offen über ihre Fehler zu sprechen."

Eine völlig fehlerfreie Behandlung werde es nie geben. "Schon daraus resultiert die Verpflichtung, alles dafür zu tun, das Risiko so klein zu halten wie irgend möglich", so Crusius. 99 Menschen starben laut Statistik aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers, 721 Patienten erlitten Dauerschäden.

Die häufigsten Diagnosen, die zu Behandlungsfehlervorwürfen führten, waren laut Bundesärztekammer wie in den Vorjahren, Knie- und Hüftgelenksarthrosen sowie Unterarm-, Unterschenkel- und Sprunggelenksfrakturen.

In der Praxis passierten die meisten Fehler bei der Diagnose, vor allem bei bildgebenden Verfahren (152 Fälle) und im Labor sowie bei Zusatzuntersuchungen (84 Fälle). Die Indikation war in 69 Fällen falsch.

Bei der Behandlung von Brustkrebs in der Praxis hat sich dem Bericht zufolge die Zahl der nachgewiesenen Fehler im Vergleich zu den Vorjahren jedoch deutlich reduziert (2011: 15 Fälle, 2010: 29 Fälle).

Diese positive Entwicklung hänge mit dem Screeningprogramm beim Mammakarzinom zusammen, sagte Professor Schaffartzik.

Wird zu spät überwiesen?

Ein Großteil der Fehler wird immer noch in der Unfallchirurgie und der Orthopädie gemacht: Die Gutachter zählten 2011 insgesamt 573 Fälle. Auf dem zweiten Platz liegen hausärztlich tätige Ärzte (320), es folgen die Internisten (201).

Der häufigste Vorwurf an die Hausärzte: Sie warten zu lange mit einer Überweisung an Fachärzte, sagte Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. In 23 Fällen überwiesen Hausärzte zu spät an einen Facharzt.  

Die Behandlungsfehler müssten immer in Relation zu der Anzahl der Behandlungen gesehen werden, ergänzte Crusius.

Allein Hausärzte hätten im ersten Quartal 2011 rund 45 Millionen Behandlungsfälle mit rund 105 Millionen Patientenkontakten gehabt. Zum Vergleich: In Krankenhäusern habe es etwa 16 Millionen Behandlungen gegeben.

Gesetz soll Rechte von Patienten stärken

Die Bundesregierung will die Rechte der Patienten bei Behandlungsfehlern derzeit in einem eigenen Gesetz stärken. Im Mai hat das Kabinett den Entwurf zum Patientenrechtegesetz beschlossen. Es soll noch 2011 in Kraft treten, hatte der Patientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) vor kurzem angekündigt.

"Es ist zu begrüßen, dass mit dem Gesetz die Patientensicherheit erhöht und die Fehlervermeidungskultur gefördert werden soll", sagte Johann Neu, Geschäftsführer der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern.

Kritisch sei, dass auch künftig die Unterlagen von freiwilligen Fehlermeldesystemen nicht vor dem Zugriff in Strafverfahren geschützt seien.

Hierzu sei ein Beschlagnahmeverbot dringend notwendig. Das Patientenrechtegesetz sei aber kein Gesetz "gegen irgend jemanden", ergänzte Professor Walter Schaffartzik, Ärztlicher Leiter des Unfallkrankenhauses Berlin. Er hob hervor, dass es keine generelle Beweislastumkehr geben wird.

Der GKV-Spitzenverband drängt derweil auf eine leichtere Beweislastumkehr für Patienten: Patienten sollten nur noch beweisen müssen, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und dass er einen Schaden erlitten habe, sagte Christian Zahn, alternierender Vorsitzender des Verwaltungsrates des GKV-Spitzenverbandes.

Auch Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink forderte, dass die Patientenrechte bei Behandlungsfehlern ausgebaut werden sollten. Die bisherigen Pläne der Koalition zum Patientenrechtegesetz brächten den Patienten keine neuen Rechte.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Mehr Arbeit, mehr Fehler?

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